
- Kreuzlos glücklich?
In nahezu allen westlichen Ländern steigt die Zahl der Nichtwähler dramatisch an. Vor allem Arbeitslose mit schlechter Bildung und fehlender sozialer Teilhabe gehen nicht mehr an die Urne. Doch auch die Corona-Krise dürfte der demokratischen Kultur ihren Tribut abverlangen.
Jo Einfeld macht nicht mehr mit. Früher, sagt er, sei er alle vier Jahre – zumeist an einem Sonntag im späten September – zu einer benachbarten Grundschule gegangen und habe sich dort in eine lange Schlange vor dem Raum 50 gestellt. Der hochgewachsene Berliner, der sich selbst als Musiker und Gelegenheitskünstler bezeichnet, weiß die Zahl noch wie heute. 50. Wie 50:50, die Hälfte eines guten Deals. Einfeld lacht, während er eine Zigarette zwischen seinem Mittel- und Zeigefinger balanciert. Zur Abgeordnetenhauswahl sei er schon gar nicht mehr gegangen. Das letzte Mal vor vielen Jahren.
Bundestagswahl aber sei etwas anderes. Dabei, sagt Einfeld, röche auch die nach Linoleum und Bohnerwachs. Wieder muss er lachen, so sehr, dass die runde Brille auf seiner Nase zu vibrieren beginnt. „Der Duft in Raum 50 ist so furchtbar wie ein Gang zum Sozialamt. Und das nennt sich Hochamt der Demokratie.“ Was soll’s: Er macht ja jetzt eh nicht mehr mit. Früher sei das gar keine Frage gewesen. „Urnengang war Bürgerpflicht, hieß es bei uns zu Hause immer.“