
- Ein homo politicus
Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ist tot. Er starb mit 91 Jahren in Dresden, Sachsen war sein Erfolg. Vor allem aber stand dieser weltgewandte und zukunftsorientierte Ökonom für eine Politikergeneration, die heute schmerzlich vermisst wird. Ein Nachruf von Ernst Elitz.
Eine Verabredung mit Kurt Biedenkopf unterschied sich für den Journalisten von den üblichen Politiker-tête-à-têtes. Bei Biedenkopf ging es eben nicht nur um die üblichen wohlformulierten Phrasen, um Parteien-Hickhack, um wer mit wem und wer gegen wen. Sondern Biedenkopf konnte im Gespräch zukunftsweisende Ideen entwickeln – und sie schließlich auch umsetzen.
Er war ein Gelehrter der Jurisprudenz und der Nationalökonomie, er hatte Erfahrungen in den USA gemacht und in der Geschäftsführung des Industrieunternehmens Henkel. Und er gab in den Siebzigerjahren Impulse für das Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz. Er war kein Pöstchenhopper, den die Partei irgendwo unterbringen musste. Er war ein homo politicus und ein homo oeconomicus, den sein umfassendes Wissen und seine gesammelte Erfahrungen in der Welt der Wirtschaft und der Politik zu einem gefragten Mann machten.
Biedenkopf steht für eine Epoche in der deutschen Politik, die gemessen am heutigen politischen Alltag eindrucksvoll und vorbildlich war. Unvorstellbar wäre ein Kurt Biedenkopf in einer vertraulichen Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin, in der Teilnehmer munter per Smartphone den Journalisten am anderen Ende der Leitung den Gesprächsverlauf samt Sottisen über andere Sitzungsteilnehmer reportieren. In seinen Augen wäre das mit Recht eine charakterlose Bande, die aus Eitelkeit und Eigeninteresse dem Ansehen der Politik unendlichen Schaden in den Augen der Öffentlichkeit zufügt. So viel zum Unterschied im politischen Stil zwischen damals und heute.
Kohl servierte ihn ab
Biedenkopf lebte und wirkte in einer Epoche deutscher Politik, die auch nicht nur durch politischen Anstand, sondern auch von diversen parteiübergreifenden Parteispendenaffären gezeichnet war – an denen Kurt Biedenkopf nicht beteiligt war. Auch damals strahlte nicht der Heiligenschein allumfassender Fairness am Himmel über Bonn und Umgebung. Auch damals gereichte Angst vor der Konkurrenz dem Erfolgreichen nicht immer zum Vorteil. Biedenkopf hatte als Generalsekretär der CDU zu Zeiten des Parteivorsitzenden Helmut Kohl die Organisationsstruktur der CDU von Grund auf modernisiert. Auf dieser Basis konnte der ursprünglich altväterliche Honoratiorenverein für Jahrzehnte zur stabilen Kanzlerpartei werden. Aber Helmut Kohl spürte das Drängen seines Gefährten nach mehr Einfluss in und über die Partei und servierte ihn ab.
Zweifellos war Biedenkopfs überragende Intelligenz in Verbindung mit seinem Managementgeschick gepaart mit der Eitelkeit, vieles besser zu wissen und besser umsetzen zu können als andere. Gespräche mit ihm hatten stets auch den Anflug eines Hauptseminars; seine Haltung die eines wohlmeinenden Ordinarius gegenüber dem wissbegierigen Studenten. Doch Biedenkopf war kein Kathederweiser. Dass er ein mit allen Wassern gewaschener innovativer und handlungsorientierter Politiker war, konnte er nach der Wiedervereinigung als Ministerpräsident in Sachsen beweisen. Alles davor war für ihn Lehrzeit. Alle Connections, die er in Jahrzehnten in Wirtschaft, in Politik und mit den Gewerkschaften gesammelt hatte, konnte er für den Aufbau dieses ihm anvertrauten Landes einsetzen.
Verletzlichkeit des stolzen Mannes
Sachsen war sein Erfolg. Dass auch Erfolge brüchig sein können, beweist der peinliche Rechtsdrift des Freistaats. Bei dem autoritätsgewöhnten Bewohner des Landes aber wurde seine herrschaftliche Attitüde mit der Ehrbezeichnung „König Kurt“ geadelt. Doch zuweilen trat in persönlichen Gespräche auch die Verletztheit des stolzen Mannes zutage, wenn andere – noch dazu aus seiner Regierungsfraktion – sich öffentlich kritisch über ihn äußerten. Geschah das im Deutschlandfunk, hatte ich einen tief verletzten Beschwerdeführer am Autotelefon. Aber Intendanten müssen in solchen Fällen auch Psychotherapeuten sein. Aber sie suchen keine Interviewpartner aus, die Regierungschefs genehm sind.
Das, was Kurt Biedenkopf angepackte, hat er in den meisten Fällen – sei es bei der Reform der Union, in der gewerkschaftlichen Mitbestimmung oder beim Aufbau seines Bundeslandes – zu einem eindrucksvollen und nachhaltigen Erfolg geführt. Er war in einer Zeit, in der kraftstrotzende political animals wie Kohl und Schröder die Bundesrepublik zum Nutzen ihrer Bürger regierten, einer in der Reihe derer, denen das Land viel zu verdanken hat.