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(picture alliance) Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt: Darf sie so First Lady werden?

Bundespräsident in wilder Ehe - Muss Gauck heiraten?

Joachim Gauck, Kandidat für das Bundespräsidentenamt, ist verheiratet. Allerdings nicht mit der Frau, mit der er ins Schloss Bellevue einziehen will. Das sorgt für Diskussionen – auch über die Rolle der First Lady

Wenn es um ihren Präsidenten geht, verstehen die Deutschen offenbar keinen Spaß. Da sollen sie nun einen unermüdlich für Freiheit und Bürgerrechte kämpfenden brillanten Redner zum obersten Repräsentanten bekommen. Einen, den sie vor zwei Jahren schon am liebsten kollektiv ins Schloss Bellevue getragen hätten. Weil dieser Joachim Gauck ihnen einer zu sein schien und es noch heute ist, der das Zeug hat, den Menschen in diesen unsicheren und verlotterten Zeiten moralischen Halt zu geben.

Und, jetzt, da der ersehnte Tag so nahe rückt, was machen sie? Sie wühlen als erstes in seinem Schlafzimmer herum. Und was tritt zutage: Dass da etwas nicht stimmen kann. [gallery:Joachim Gauck, der Bürgerpräsident]

Der Präsident, ein Ehebrecher – ein Mann Gottes noch dazu, der in wilder Beziehung lebt. Pfui Teufel, finden die einen. Modern und zeitgemäß sei das, kontern die anderen. Und, was beinahe noch am schlimmsten, weil am verlogensten, ist: Na ja, sagen die meisten. Man will ja nicht mittelalterlich wirken. Aber ein Staatsoberhaupt, dessen Ehefrau in der vorpommerschen Provinz lebt, während er mit seiner Freundin zum Champagner-Empfang bei Obamas eingeladen ist? Einer, der dem Volke von der hohen Moralkanzel herab ins Gewissen reden und demnächst beim Papst uns alle würdig repräsentieren soll – so einer sollte dann schon in geordneten Verhältnissen leben. Und wenn er denn seine Liebste schon nicht heiratet, dann doch wenigstens sollte er geschieden sein.

Mag der Wulff ja gewesen sein, wie er will. Aber das hat der wenigstens hinbekommen. Und so übel war ja Bettina nun auch wieder nicht. Hat lächelnd neben ihm gestanden, sich um Kranke und Vernachlässigte gekümmert und ihm zwischendurch den Rücken frei gehalten. So sahen wir sie gern, unsere First Lady. Zumindest so lange, wie sie ihre Kleider selbst bezahlt und uns darin im Fernsehen keine Schande gemacht hat.

Und nun Gauck. Der Mann, der mit seiner Frau in der DDR vier Kinder großgezogen hat und nach dem Mauerfall seinen eigenen Weg gegangen ist. Ohne sie. War es eine bewusste Entscheidung, ihre Ehe bis heute nicht zu scheiden, aus sentimentalen Gründen oder wirtschaftlichen? Das Ehepaar Gauck wird Gründe dafür haben und sie gehen auch niemanden etwas an.

Gauck hat sich allerdings dazu entschieden, das höchste Staatsamt in der Republik zu übernehmen. Und er hat bereits vor zwei Jahren deutlich zu erkennen gegeben, dass er nicht vor hat, diesem repräsentativen Amt nur sein eigenes Leben zu widmen, sondern auch das seiner Lebensgefährtin. Er hätte durchaus allein ins Schloss Bellevue kommen können. Doch für ihn stand fest, Daniela soll First Lady werden. „Sie würde sich freuen, in diesem Fall an meiner Seite zu stehen und alles, was das Amt braucht, als Begleiterin auch zu leisten.“ Das hat der Kandidat 2010 über sein Verständnis der künftigen Rolle seiner Lebensgefährtin gesagt.

Wobei man sich schon damals über den Tonfall und Duktus gewundert hat, in dem der Freiheitsdenker Gauck über Daniela Schadt gesprochen, oder sollte man besser sagen: über sie hinweg gesprochen hat. Frau Schadt nämlich ist heute 52 Jahre alt, eine moderne selbständige Frau, die sich zeitlebens, wie man so schön sagt, durch eigener Hände Arbeit ernährt hat. Und die, um an seiner Seite stehen zu können, ihr berufliches Leben, ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit und auch ihr persönliches Umfeld im tiefen Süden Deutschlands aufgeben muss. Man muss weder Feministin noch katholischer Priester sein, um darin Anlass für vielerlei Debatten zu sehen. Ob es angeht, dass ein verheirateter Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin nach Berlin zieht, ist dabei wohl die am wenigsten drängende.

Seite 2: Im Kerngeht es um das wahre Bild von Partnerschaft in diesem Land

Naheliegender wäre es, zum Beispiel den Blick auf Frau Schadt und ihr „Amt“ zu lenken. Ein Amt, das in der Vorstellungswelt der Deutschen zwar viele repräsentative Aufgaben vorsieht, das seine Amts-Inhaberin allerdings zur unbezahlten Staatsdienerin macht. Schließlich bekommt nur „er“ das Geld für den hohen Job. „Sie“ soll zwar neben ihm stehen (was den zeitlichen Aufwand des Jobs der First Lady nur sehr verkürzt wiedergibt), hat aber lediglich die Wahl, das aus Liebe und/oder Pflichtgefühl zu tun. Oder eben in Nürnberg zu bleiben und weiter ihrer eigenen Karriere nachzugehen.

Im Kern rührt die Diskussion über Herrn Gauck, Frau Gauck und Frau Schadt aber an einer viel tieferliegenden Frage. Der nämlich über das wahre Bild von Partnerschaft in diesem Land. Wie viel Ungeordnetheit sind wir eigentlich bereit zuzulassen, trotz Ganztagskita und Frauenquoten – bei unseren Kindern, Nachbarn und schon gar dem höchsten Amts- und Würdenträger des Landes. Könnte sein, wir stellen fest, dass das traditionelle deutsche Bild von „geordneten Verhältnissen“ gar nicht so unmodern ist, wie wir es in unserem Bestreben, im schnelllebigen Modernisierungskampf der Welt immer ganz vorn mitzuspielen, gern darstellen. [video:CICERO vor Ort: Was halten Sie von Joachim Gauck?]

Dass uns die Familienverhältnisse des Joachim Gauck interessieren, dafür müssen wir uns also nicht schämen. Wir leben gottlob nicht mehr in den bigotten Zeiten, als Ehe die einzig gesellschaftlich akzeptierte Form des Zusammenlebens war und sich Politiker vor nichts so sehr zu fürchten hatten, wie der Offenlegung ihrer wahren, weil nicht ins Moralraster passenden, Familienverhältnisse. Längst diskutiert die Gesellschaft weitgehend frei von überkommenen Ressentiments über die vielfältigen Formen des Zusammenlebens von Mann und Frau, von Mann und Mann, Frau und Frau und über all die Fragen, die damit im Zusammenhang stehen: Kinder, Beruf, Freiheit und natürlich auch Sicherheit. Wirtschaftliche Sicherheit, ja auch darüber. Wer sich zueinander bekennt, wer einen Teil seines Lebens miteinander verbringt, den wirft das Schicksal oft in Situationen hinein, in denen einer sich in die Abhängigkeit des anderen begibt. Und es stellt sich natürlich die Frage, wie weit eigentlich unser Gesetzbuch, vom Renten- bis zum Steuer- oder Scheidungsrecht angesichts der rasanten Modernisierung unseres Partnerschaftsbildes mitgehalten hat. Wo stehen wir eigentlich wirklich zwischen Tradition und Moderne, wenn es um Ehe, Familie und Partnerschaft geht?

Als Christian Wulff vor zwei Jahren ins Schloss Bellevue eingezogen ist, hat es viele gegeben, die nachdenklich die Augenbrauen hochgezogen haben. Die Anlässe dafür waren immer politischer Natur. Ob der Mann aus Niedersachsen die intellektuelle Statur oder aber den Weitblick habe, dem Land moralischen Halt und eine Idee von der Zukunft zu geben: Das wurde damals landauf, landab von den Leitartiklern der Republik ventiliert. Ob der Mann in „geordneten“ familiären Verhältnissen lebt, spielte keine Rolle. Ganz offensichtlich hatte das Staatsoberhaupt vor dem Gang ins Schloss alles so geregelt, dass niemand daran Anstoß nahm. Er war ordnungsgemäß geschieden, er war ordnungsgemäß wieder verheiratet und seine Frau hat selbstverständlich mit einem Lächeln im Gesicht das getan, was die Ehefrauen von Bundespräsidenten tun. Oder besser, was sie in den Augen der Deutschen tun sollten.

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