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Rheinland-Pfalz - Ministerpräsidentin Malu Dreyer – Die eiserne Prinzessin

Hinter dem Lächeln von Malu Dreyer, der künftigen Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, stecken Methodik und Disziplin

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Die Ministerin kommt aus der Wand. Ganz plötzlich, die Tür gehört zum Wandschrank hinter dem Schreibtisch, sie ist leicht zu übersehen, grau wie die Fächer und Regale, wie der Teppich des Amtszimmers, das Malu Dreyer, gestützt auf ihre Pressesprecherin, nun betritt. Sie nimmt den ganzen Raum ein. Ihre Wirkung entsteht aus der tastenden Behutsamkeit, mit der sie zum Konferenztisch geht und dem sicheren Auftritt einer Frau, die seit zehn Jahren Ministerin ist und ab 16. Januar Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Man fragt sich, was hinter diesem Wandschrank liegt, wie groß der Raum ist, ob er eine Couch hat, vielleicht ein Bad?

Sie übergeht die Frage und lächelt. Eine Fotografin will Bilder machen. Während sich die Politikerin auf die Kante des Konferenztischs setzt und posiert, wechselt sie Kontrollblicke mit der Pressesprecherin: okay so?

Seit Kurt Beck Ende September verkündet hat, dass er geht und seine 51 Jahre alte Sozialministerin Dreyer als Nachfolgerin benannt hat, ist sie eine Geschichte geworden. Die Fotos von ihr hoben sich sofort ab vom alten Regierungschef, den die Millionen aus der Pleite des Freizeitparks am Nürburgring herunterziehen und der in der Fußgängerzone ausrastet, wenn ihm einer dumm kommt. Angesichts all der Anwärter auf Becks Erbe in der SPD hatte keiner mit ihr gerechnet. Sie war plötzlich da, so wie sie gerade eben aus der Wand gekommen ist. Weiblich, gut aussehend, unbelastet. Der Landtagspräsident von der SPD hat sie gleich die „Königin der Herzen“ genannt.

Dreyer leidet an Multipler Sklerose. Das macht ihren Fall für viele zu einer Art Märchen. Von Politikern wird verlangt, dass sie perfekt sind, unbestechliche, starke Helden. Wenn so eine dann noch mit einer Krankheit fertig wird, wird sie zur Prinzessin: Die schöne Malu, zart, aber mutig, die im Mehrgenerationendorf wohnt und für Gerechtigkeit eintritt. Es ist eine Zuschreibung, eine Rolle. Das Besondere an Malu Dreyer ist etwas anderes: Sie vermag es, Schwächen wegzuorganisieren und Härte mit Liebenswürdigkeit zu überspielen. Sie ist keine Illusionistin, sie spielt nicht falsch. Sie will die Dinge beherrschen. Vor allem beherrscht diese Frau sich selbst.

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Wie sie jetzt am Konferenztisch ihres Büros sitzt, wirkt sie nicht mächtig. Fast das ganze Gespräch hindurch lächelt sie. Ihre Gesichtszüge wirken dabei offen und unverstellt, aber dieses Lächeln macht auch etwas zu. Sie sagt kaum etwas, das sie nicht durchdacht hat. Die Pressesprecherin sitzt neben ihr und beobachtet die Chefin.

Man kann versuchen, die Freundlichkeit zu durchbrechen, indem man sie angeht. Gefallen Sie sich in der Rolle der Prinzessin, die König Kurt auf seinen Thron setzt? „Erstens bin ich keine Prinzessin. Zweitens hat mich die SPD nominiert.“ Keine Spur von Schärfe. Wäre es nicht eine größere Leistung, wenn sie sich den Job erkämpft hätte, statt ihn zu erben? Becks Vorschlag sei eine große Ehre. „Ob ich Erfolg habe, hat nichts mit dieser Ehre zu tun. Sondern mit der Frage, ob ich das gut oder schlecht mache.“ Das Lächeln ist die ganze Zeit im Gesicht geblieben.

Ulla Schmidt kennt Malu Dreyer lange. Schmidt war Bundesgesundheitsministerin, gemeinsam verhandelten sie für die SPD die Gesundheitsreformen. Ihr Ressort ist vielleicht das härteste der Politik. Für die Bürger geht es um Gesundheit, für die Interessenvertreter geht es um Geld. „In dem Geschäft gibt’s keine Beißhemmung“, sagt Ulla Schmidt. Sie muss darauf eigentlich nicht hinweisen, sie hat Jahre des Beißens und Bellens ertragen, sie hat zurückgeschnappt. Schmidt würde eine durchinszenierte Prinzessin niemals ernst nehmen. Über Dreyer sagt sie anerkennend: „Sie arbeitet hart und gibt nie auf.“

In den Verhandlungsrunden haben sie sich unterschieden. Der Ton wurde immer mal rau, erzählt Schmidt, da konnte sie selbst ausflippen. Dreyer dagegen habe stets ausgeglichen reagiert und werde nie jemanden persönlich angreifen. „Auf sie passt das Aachener Sprichwort: ‚Willst du jemandem die Zähne zeigen, dann lächele.‘“

Julia Klöckner muss damit klarkommen. Die CDU-Landeschefin hat ihrer Partei in Rheinland-Pfalz eine Grundreinigung verpasst. Geschwindigkeit hoch, Sprache knallig. Mit ihrer Aggressivität hatte sie es sogar geschafft, den alten Beck in Bedrängnis zu bringen. Sie war fast am Ziel. Dann präsentierte Beck Malu Dreyer. Wie soll Klöckner bloß eine Konkurrentin angreifen, die selbst gar nicht angreift?

Seite 2: Harte Attacken gegen eine Behinderte?

Klöckner ist schon jetzt vorsichtig, als wäre sie hinter einem Fairnesspreis her. Es werde nicht schwieriger, sondern nur anders. Für sie selbst ergebe sich sogar die Möglichkeit, eine andere Facette zu zeigen: Menschen und Meinungen an einen Tisch holen, wie in Berlin, als sie Staatssekretärin für Verbraucherschutz war, fair im Umgang und klar in der Sache. Für eine Herausforderin hört sich das ganz schön brav an. Vielleicht findet sie das selbst, denn sie stichelt wenigstens indirekt gegen die Konkurrentin. „Kommende Generationen interessiert es nicht, ob immer schön gelächelt und sich gut verstanden wurde, sondern was bei Problemstellungen rauskam.“

Es wird schwer für die Gegner der künftigen Ministerpräsidentin. Eine Frau mit Behinderung ist fast unberührbar. Harte Attacken gelten da schnell als fies. Auch wenn Dreyer sagt, dass sie nicht anders behandelt werden will wegen ihrer Erkrankung.

Multiple Sklerose greift das zentrale Nervensystem an. Die Ursache ist nicht erforscht. Ein Teil des Immunsystems arbeitet falsch, die Abwehr richtet sich gegen den eigenen Körper. In Gehirn und Rückenmark kommt es zu Entzündungen. Die Krankheit variiert, es heißt, dass sie 1000 Gesichter hat. Die Sehkraft kann gestört werden, oder die Muskeln geben nach, oder der Körper fühlt sich geschwächt an. Mal verläuft die Krankheit in Schüben, mal schleichend, aber hier gibt es ebenso Mischformen der MS. Die Erkrankten belastet auch, dass kaum vorhersehbar ist, wie die Krankheit verläuft.

Vom ersten Kribbeln, von den ersten Sehstörungen kann es Jahre dauern, bis die ärztliche Diagnose feststeht. Malu Dreyer bekam sie 1996, sie war damals 35, gerade erst in die SPD eingetreten und zur Bürgermeisterin der Stadt Bad Kreuznach gewählt worden. Sie hat eine schleichende MS, es kommt nicht zu Schüben.

Lange erzählte sie nur Vertrauten von der Krankheit und machte weiter, wurde Sozialdezernentin in Mainz, dann Sozialministerin. Zehn Jahre lang schwieg sie in der Öffentlichkeit. Die Krankheit ist ja erst sichtbar geworden, als ihr das Gehen schwerfiel.

Nicht über eine Behinderung zu sprechen, kann schwierig werden für einen Politiker. Wer über seine Schwächen selbst redet, über den wird vielleicht weniger schlecht geredet. Wie diese Mechanik funktioniert, kann man an Wolfgang Schäuble sehen. Nachdem der Minister nach dem Attentat querschnittsgelähmt war, hat er sich konsequent geöffnet, hat die Reporter ins Krankenhaus bestellt und später berichtet, wie ihn sein Hund im Rollstuhl nicht erkannte, als er an Weihnachten nach Hause kam. Wie er im Rollstuhl friert, wie bei Stehempfängen Bier auf ihn runterschwappt, wie es war, als er umgekippt ist, was er träumt. Er gibt viel preis, aber dafür wird ihm auch Sympathie entgegengebracht. Weil er so radikal in die Offensive geht mit der Behinderung und auch mit seinen politischen Forderungen als Minister, wird er aber auch nicht geschont. Vielleicht wird das Dreyer genauso passieren, wenn sie sich stärker exponiert.

Bei Schäuble hat ein Kommentator einmal eine Verbindung zwischen der Sicherheitspolitik des damaligen Innenministers und der Behinderung hergestellt. Die These galt damals als unfair. Trotzdem erzählt Schäuble auch gegen solche Geschichten an, gegen die Schwäche, gegen ein Raunen vom bitteren Alten.

2006 hat sich Malu Dreyer entschieden, dass es klug ist zu reden. „Es ist eine Gratwanderung, wenn man eine chronische Erkrankung hat, die nicht so sichtbar ist“, sagt sie. „Weil Sie immer darum ringen: Werden Sie als gute Ministerin wahrgenommen oder als Frau mit einer Erkrankung?“

Über die Krankheit, sagt sie, habe sie geredet, als sie sich stark genug fühlte. Dort musste sie erst hinkommen. 2002 hat Kurt Beck sie eines Tages angerufen, er gab ihr 30 Minuten, um zu entscheiden, ob sie den Job will. Aber man steigt nicht so leicht auf von der Sozialdezernentin zur Ministerin. Die ersten Jahre waren hart.

Seite 3: Nur nicht noch mal einer Katastrophe begegnen

Im November 2003 brachen Jugendliche aus einem Erziehungsheim in Rodalben in der Pfalz aus und erstachen dabei eine junge Erzieherin. Es war eine neue Einrichtung, ein neues Konzept des Justiz- und des Sozialministeriums: Heim statt U-Haft. Die CDU machte Dreyer für den Tod der Erzieherin verantwortlich, ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet. Nun flocht die Union ein Netz aus Zeitdruck, konzeptionellen Fragen, Aufsichtspflichten zwischen den Ministerien, dem Landesjugendamt und dem Träger des Heimes. Im Juni 2005 im Landtag verlangte sie Dreyers Rücktritt. Sie übernahm die politische Verantwortung, aber sie trat nicht zurück. Sie erklärte, die Sicherheit des Personals liege in der Verantwortung des Trägers.

Im Protokoll von damals liest sich ihre Argumentation sperrig, Subsidiaritätsprinzip, Ablaufverantwortung: Eine Juristin kämpft um ihr Amt. Spricht man sie heute auf die Ereignisse an, bricht die Selbstkontrolle für einen Moment auf. „Das war eine unglaublich tragische Geschichte mit dieser jungen Frau, die mir persönlich sehr nahegegangen ist. Und das Zweite ist: Es war die größte Sauerei von der damaligen CDU-Opposition zu versuchen, mich dafür verantwortlich zu machen.“

2006 wird die SPD wiedergewählt, sogar mit absoluter Mehrheit. Dreyer ist in einer sicheren Position. Am 4. Oktober gibt sie eine Pressekonferenz, sie sagt es im Kabinett, ihren Mitarbeitern, der SPD-Fraktion, alles an einem Tag. Die Kommunikation hat sie bestimmt. „Das war gut organisiert“, sagt sie heute zufrieden.

Dreyer ist eine Systematikerin geworden. Die SPD in Trier hat sie umgebaut, Nervensägen schaltete sie aus, ihr Mann wurde Oberbürgermeister: Bloß nicht ohne Machtbasis dastehen. Sie hat reiflich überlegt, ob sie das Amt der Regierungschefin übernehmen würde, seit im Sommer Kurt Beck das erste Mal gefragt hat: nie mehr so eine Entscheidung in nur 30 Minuten treffen. In ihrem Ministerium hat sie dafür gesorgt, dass Mitarbeiter Probleme früh erkennen und keine Angst haben, Fehler ihren Chefs zu gestehen: Nur nicht noch mal einer Katastrophe begegnen wie 2003, als in Rodalben die Erzieherin starb.

Die vermeintliche Prinzessin arbeitet methodisch und diszipliniert. Alles gut organisiert. Aber sie schafft es dabei, ihr Handeln nach Leichtigkeit aussehen zu lassen. Sie will die Dinge im Griff haben. In den Wochen bis zur Wahl im Januar hat sie ein Fachgespräch nach dem nächsten geführt, eine Ministerpräsidentin muss von allen Ressorts Ahnung haben. Sie bereitet sich vor, sichert sich ab. Sie hat früher ihre Juraexamen mit Prädikat gemacht, warum soll sie den neuen Aufgaben nicht gewachsen sein? Sie will ja sogar ihre Krankheit kontrollieren.

Die MS sei nicht das Thema, das im Mittelpunkt ihres Lebens stehe, sagt sie. „Die Krankheit tritt zurück.“ Der Satz ist formuliert wie ein Befehl. Aber natürlich ist sofort das Lächeln da.

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