- Merkel schwebt präsidial über den Parteien
Niederlagen in den Landtagen, FDP am Abgrund, Griechenland außer Kontrolle, Frankreich widerspenstig: Angela Merkel regiert ein Minenfeld. Der Politikberater, Blogger und Ex-BamS Chefredakteur Michael Spreng im Interview über die risikobehaftete Zukunft der Bundeskanzlerin
Herr Spreng, wie glauben Sie, schätzt Angela Merkel
momentan ihre eigenen Chancen für die Bundestagswahlen 2013
ein?
Gut aber risikobehaftet, würde ich sagen.
Beginnen wir für einen Überblick der Risikofelder bei
der Innenpolitik: Was bedeutet das Wahlergebnis in Schleswig
Holstein für die Zukunft der Kanzlerin?
Erst einmal gar nichts. Ihre Stärke hat Merkel gewonnen, seitdem
sie in Europa Führung zeigt, also in etwa seit letztem Herbst. Ihre
Popularität und die Frage ihres Wahlerfolges 2013 ist von
Landtagswahlergebnissen völlig unberührt.
[gallery:Schleswig-Holstein – Das kleine Skandalland im Norden]
Auch für den Fall, dass es in Kiel am Ende für
Rot-Grün plus SSW reicht?
Das wäre für die CDU in Schleswig-Holstein ärgerlich, aber wie
gesagt, Merkels Popularität wird das dadurch nicht ankratzen. Sie
schwebt präsidial über den Parteiniederungen, genauso wie über den
Parteiniederlagen, für die sie nicht haftbar gemacht wird.
Die Wahl in Nordrhein-Westfahlen dagegen ist unmittelbar
mit den Aufstiegschancen ihres wohl wichtigsten, parteiinternen
Rivalen – Norbert Röttgen – verknüpft. Könnte man also umgekehrt
sagen, dass die vorhersehbare Wahlniederlage Röttgens Merkels
Position stärkt?
Ich glaube, die CDU Führung hat NRW schon abgeschrieben. Das
maximale Ergebnis wäre der Eintritt in eine große Koalition als
Juniorpartner der SPD, was auch kein Erfolg für die CDU wäre.
Röttgen wird möglicherweise sogar ein noch schlechteres Ergebnis
einfahren als Jürgen Rüttgers 2009, das wird ihm wie ein Klotz am
Bein hängen. Aus der Riege potentieller Merkel-Nachfolger hat er
sich so selbst herausgekegelt. Für Angela Merkel, die ja
offensichtlich nicht daran interessiert ist, starke Männer und
Frauen um sich zu haben, ist das ein Unruheherd weniger. Allerdings
ist das für die Partei fatal, denn es legt offen, dass hinter
Merkel an Führungsfiguren in der CDU nicht mehr viel kommt.
Wenn die Grundlage für Merkels Beliebtheit wirklich der
Erfolg ihrer Europapolitik ist, dürften die aktuellen Entwicklungen
in Frankreich und Griechenland sie sehr nervös machen. Beginnen wir
mit Francois Hollande: Sein Verhältnis mit Merkel gilt jetzt schon
als belastet, er will den Stabilitätspakt neu verhandeln und
Sparbeschlüsse zurückdrehen, was hieße das für Merkel?
Das ist natürlich eine drohende Gefahr für sie. Frankreich ist nun
mal nach Deutschland die stärkste europäische Wirtschaftsmacht.
Wenn nach dem Tandem „Merkozy“ diese Achse nun belastet wird, und
Merkels Fiskal- und Sparpolitik durch Frankreich aufgeweicht wird,
riskiert sie, ihren Ruf als Führerin Europas zu verlieren - und
damit ihr Standing als Kanzlerin, die ihr Land sicher durch die
Krise führt. Merkel verliert dann ihr Ansehen bei den Wählern, wenn
diese den Eindruck bekommen, Merkel habe die Lage nicht mehr im
Griff und könne Deutschland nicht länger sicher durch die Krise
führen.
Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, warum die CDU ihre soziale Kompetenz wieder verloren hat
Nichts verstärkt diese Unsicherheit momentan so sehr,
wie die instabilen Verhältnisse in Griechenland. Wird Merkels
Europa-Kurs mit Hellas scheitern?
In Griechenland ist tatsächlich völlig offen, ob dort die bisherige
Sparpolitik fortgesetzt wird. Falls nicht, wird sofort wieder
Unruhe in Europa entstehen, verbunden mit der Frage, welches Land
als nächstes folgt: Spanien, Portugal, Italien? Das wäre sehr
gefährlich für Merkel.
Seit kurzem wird spekuliert, die CDU/CSU könne
angesichts eines drohenden Europa-Desasters in Versuchung geraten,
die Koalition vorzeitig aufzulösen, solange sie noch vom
Merkel-Bonus profitiert. Für wie wahrscheinlich halten Sie
das?
Im Augenblick sehe ich diese Situation nicht. Aber wenn der Nimbus
der Kanzlerin als Krisenmanagerin tatsächlich aufgezehrt wird,
gerät auch die Bundestagswahl 2013 in Gefahr. Dann gäbe es wieder
eine Chance für SPD und Grüne. Es gibt in der CDU durchaus
Diskussionen, im Extremfall die Notbremse zu ziehen, bevor Merkels
Ruf verspielt ist. Aber soweit ist es noch lange nicht. Vielleicht
entwickelt sich das Verhältnis Merkel und Hollande besser als
erwartet und Griechenland bleibt beim Sparkurs. Dann bliebe das
Szenario wirklich reine Spekulation.
[gallery:Instrumentalisiert oder schützenswert – Tiere in der Politik]
Für den Fall das nicht: Wie könnte die CDU/CSU denn
einen möglichen Koalitionsbruch rechtfertigen?
Die CDU hat in der Koalition mit der FDP ihre soziale Kompetenz
wieder verloren, die sie in der Koalition mit der SPD gewonnen
hatte. Sie muss alles daran setzen, diese soziale Kompetenz
zurückzugewinnen, wenn sie die SPD in ihrem 30 Prozent Ghetto
eingrenzen will. Wenn es also zu einem Koalitionsbruch käme – und
wie gesagt, das ist hochspekulativ – dann müsste die CDU/CSU ein
Thema bemühen, das ihr soziales Profil schärft. Beispielsweise
Mindestlohn oder Finanztransaktionssteuer.
Wird denn mit einer möglicherweise durch Kubickis und
eventuell auch Lindners Wahlerfolge gestärkten FDP so ein Szenario
wahrscheinlicher, oder eher nicht?
Gute Frage. Die FDP hat ja momentan sozusagen zwei Führungen: Eine
offizielle, mit Herrn Rösler und seinen Leuten und eine
inoffizielle, nämlich Kubicki und möglicherweise ab nächstem
Sonntag auch Lindner. Sollte die FDP demnächst den
Lindner-Kubicki-Kurs einschlagen, würde sie sich selbst
möglicherweise ein Stück in Richtung sozialer Gerechtigkeit bewegen
und offener sein, die soziale Marktwirtschaft gegenüber der
internationalen Finanzspekulation zu stärken. Damit hätte sich die
politische Spekulation um einen Bruch der Koalition erledigt.
Danke sehr für das Gespräch!
Das Interview führte Constantin Magnis
Michael Spreng bloggt auf www.sprengsatz.de
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