
- Merkel, die schwarze Witwe?
Seit dem Rauswurf Röttgens flammen in Medienberichten wieder krude Beschreibungen über Angela Merkel auf. Für die Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg ist die „männermordende Kanzlerin“ vor allem eine Bedrohungsfantasie
Margreth Lünenborg ist Professorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und Autorin des Buches „Ungleich Mächtig. Das Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation“.
Nachdem Merkel ihren Umweltminister Röttgen entließ,
wurde sie in Medienberichten als die „männermordende Merkel“
dargestellt. Hätten die Journalisten einen männlichen Kanzler auch
so beschrieben?
Ganz offensichtlich nicht.
Es ist ein absurdes archaisches Muster, das die Medien
verbreiteten: Die Medea, die aus Rache ihren eigenen Sohn tötet. In
den letzten Tagen und Wochen konnten wir noch einmal extensiv
erleben, wie ihr „Klügster“ von Mutti verstoßen wurde und ihre
Gunst und Gnade verlor. Das ist ein so trivialer Rückgriff auf
dichotome Geschlechterbilder, dass man eigentlich darüber
schmunzeln müsste.
Merkel wurde deswegen auch als unmenschlich
beschrieben…
Die gütige Mutter, die für alle Verständnis hat, kann keine
Entscheiderin sein. Und die Entscheiderin, die auch mal jemand über
die Klinge springen lässt wenn es darauf ankommt, kann nicht
warmherzig sein. Die Medien verbreiten Bilder über Merkel, die so
polarisierend sind, dass es an einem Ende immer anbrennen muss. Sie
sind so schlicht konstruiert, dass Frauen darin gar nicht an der
Spitze erfolgreich sein können.
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Gemäß den Medienberichten hat Merkel die Männer allesamt
aus dem Amt gejagt, dabei lag das Scheitern meist an den Männern
selber. Warum wird darüber nur wenig berichtet?
Aus all den Metaphern spricht eine Bedrohungsfantasie. Bei Schröder
war klar, dass ein Regierender sehr wohl die Gestaltungs- und
Entscheidungsmacht hat, um sich von bestimmten Personen zu trennen
und zu sagen wo es langgeht. Offenkundig praktiziert Merkel einen
anderen Führungsstil.
Es geht ihr nicht um das dramatische Ausleben von Machtritualen,
sie arbeitet mehr hinter den Kulissen. Gleichwohl fällt sie immer
wieder Entscheidungen, an denen wir sehen können, wofür und wogegen
sie ist. Dass diese Entscheidungen mit solch einer Dramatik
aufgeladen werden, zeigt, wie bedrohlich eine mächtige weibliche
Figur ist.
[gallery:Merkel, ihre Männer und die Macht]
Als Merkel ursprünglich für das Kanzleramt kandidierte,
wurde viel über ihr Aussehen berichtet, zwischenzeitlich legte sich
das wieder. Warum kommen solch geschlechtsspezifischen
Beschreibungen jetzt wieder hoch, nach fast sieben Jahren
Kanzlerschaft?
Ich stimme Ihnen darin zu, dass die Debatten darum, ob sie es kann
- was auch daran verhandelt wurde, ob ihre Frisur angemessen ist -
aufhörten in dem Moment, in dem sie die Macht innehatte. Wir haben
allerdings festgestellt, dass Journalisten trotz der unangetasteten
Machtrolle, die sie als Kanzlerin innehat, immer auf ihr
Geschlecht, auf schlichte Begriffe und Muster zurückgreifen. Beim
Leser sollen vertraute Arrangements aufgerufen werden.
Und deshalb erscheinen immer wieder dieselben Debatten: Regiert sie
nun richtig, haut sie genug auf den Tisch? Wenn sie es nicht tut,
dann ist es ein Ausdruck von Schwäche. Wenn sie es jetzt mit
Röttgen tut, dann ist sie die mordende Mutter.
Das ist die klassische Form des „double bind“: Agiert eine Frau in
der Politik weiblich, wird ihre Kompetenz und ihr Sachverstand
zumindest angezweifelt. Agiert sie explizit machtvoll, wird ihre
Weiblichkeit in Frage gestellt. Das haben wir bei Merkel in den
letzten Tagen nochmals ganz deutlich vorgeführt bekommen.
Ist Hannelore Kraft die Zukunft der mächtigen Weiblichkeit?
Hat es denn in den Jahren ihrer Kanzlerschaft keinen
Wandel in der politischen Kultur gegeben?
Es ist ein bisschen erschreckend, nicht? Frau Merkel als Mutter zu
beschreiben, ist ja geradezu absurd. Sie ist nun mal keine Mutter,
ihr Sitzen am Kabinettstisch hat wahrhaftig nichts Mütterliches. Da
wurde echt in die falsche Klischeekiste gegriffen. Obwohl wir mit
Ursula von der Leyen und Hannelore Kraft neue Varianten von
Weiblichkeit in der politischen Kommunikation haben, ist der
Fortschritt eine Schnecke.
Wir müssen mit Blick auf den Journalismus fragen: Welche kruden
Erzählungen von Macht werden uns da präsentiert? Was wollen
Journalisten, die uns das harte Geschäft in Berlin erklären wollen,
damit eigentlich erzählen? Die historische Erfahrung mit
machtvollen Frauen ist in Deutschland nach wie vor eine recht
kurze. Es braucht eine beträchtliche Zeit, bis sich die
öffentlichen Bilder wandeln.
Sind wir denn wenigstens auf dem Weg zum
Wandel?
Da bin ich verhalten mit einer Einschätzung. Merkel macht
zweifellos erkennbar: eine Frau kann auch Kanzler. Es gibt heitere
Erzählungen von Journalisten, deren Kinder bei Plakaten von Merkel
fragen, „sag mal, gibt es eigentlich auch einen Mann, der Kanzler
ist?“ Für eine junge Generation ist es Normalität. Im Vergleich
verschiedener gesellschaftlicher Felder ist die Sichtbarkeit von
Frauen in der Politik, den Quotierungsregeln sei dank,
vergleichsweise hoch. Die Wissenschaft und insbesondere die
Wirtschaft hinken da hinterher. Die größere Sichtbarkeit von Frauen
in Medienberichten bedeutet aber nicht, dass nicht mehr auf
altbackene Muster zurückgegriffen wird, um diese Frauen zu
beschreiben.
Eine Frau, die machtpolitische Entscheidungen fällt,
irritiert also immer noch?
Wir verfügen offensichtlich im kollektiven Bewusstsein nicht über
viel Varianz von Mustern und Erzählungen über mächtige Frauen. Wir
haben ungleich viel mehr in den Ausprägungen machtvoller
Männlichkeit: Die burschikose Macht; die des Sportlers, der es
geradezu körperlich ausficht; die des analytisch-intellektuell
Distanzierten, der sich die Finger nicht schmutzig macht, um nur
einige zu nennen.
Bei Hannelore Kraft, der jetzt das Attribut der Landesmutter
zugesprochen wird, erleben wir eine neue Inkarnation des schlichten
Bildes der machtvollen Weiblichkeit, die nicht mit rigoroser Härte
daherkommt, sondern eine Wärme, ein
„sich-für-sein-Land-ins-Zeug-Legen“ ausstrahlt.
Ist die „Kümmerer-Macht“, die Frau Kraft ausstrahlt, ein
Rezept für mächtige Frauen oder ist es ein Rückschritt in die
Vergangenheit?
Also ich würde es keineswegs als Fortschritt bezeichnen. Es ist das
passgenaue Einfügen von Spitzenpolitikerinnen in normierte
Schemata, die historisch von Männern gesetzt worden sind. Ein
bisschen mehr Irritation, Verwirrung würde uns ausgesprochen
guttun.
Ist dieser Typus der mütterlichen Politikerin denn nicht
ein Bedürfnis der Wähler nach Wärme in Zeiten der Finanzkrise?
Könnte ein solches Image nicht auch einen männlichen Politiker zum
Erfolg führen?
Dem männlichen Politiker würde dann gewiss nicht Mütterlichkeit
zugeschrieben. Aber der Kümmerer ist ja durchaus ein bestimmter
Typus von Politiker, einer, der auf Augenhöhe, auf Tuchfühlung mit
den Wählern unterwegs ist. Zweifellos gibt es in der immer
komplexeren und national nicht mehr zu regelnden Konfliktlage die
Sehnsucht nach Politikern, die zeigen, dass sie an bestimmten
Problemen arbeiten und nicht nur bürokratische Maschinen sind.
Dieses Bild des Kümmerers ist aber eine Frage der strategischen
politischen PR. Es geht nicht um Sachkompetenz, sondern um
Gefühlsmanagement. In einer emanzipatorischen Demokratie ist das
keine zufriedenstellende Perspektive.
Das Interview führte Gita Topiwala
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