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Medien und IS - Des Terrors nützliche Idioten

Kisslers Konter: Überall rüsten bärtige Männer zum Kampf und die Medien tragen die Botschaft brav in die Welt. Der Journalismus läuft Gefahr, zu einer Außenstelle der Terrorpropagandisten zu werden

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es war ein herrlicher Spätsommersonntag in Deutschland, der Oktober will golden werden. Doch die Seele wird auf November gedimmt, die Welt stehe am Abgrund. So wird es mir minütlich in die Ohren gehämmert. Wer in diesen Tagen auch nur einen Blick wirft auf Smartphone oder Tablet, wer Zeitung liest, Fernsehen schaut, Radio hört, dem wird beklommen zumute. In fast jeder Ecke dieser schönen Welt rüsten bärtige Männer zum Kampf gegen unser aller Leben. Den Tod wollen sie, die Freiheit hassen sie, Liebe kennen sie nicht.

Ja, ich weiß, es ist furchtbar bestellt um diese schöne Welt an immer mehr Stellen. Ja, es wird gemordet und gemetzelt, kein Gott will sich erbarmen. Doch steht die Welt am Abgrund? Und falls sie es tut: Ist sie dem Abgrund näher als anno 1917 oder 1944 oder inmitten des zu schlimmsten Bestialitäten sich auftürmenden Dreißigjährigen Krieges? Nein, das ist sie nicht. Wohl aber wird uns, wird mir jede Gräueltat brühwarm ins Haus geliefert, reicht die stets sich erneuernde Blutspur bis in unsere Wohnzimmer und Schlafstuben. Und, schlimmer noch: Auch die bloße Ankündigung eines Gräuels zählt zum Standard im Nachrichtengeschäft. Der Journalismus läuft Gefahr, sich in eine Außenstelle der Terrorpropagandisten zu verpuppen.

Jede Ankündigung neuer Gewalttaten wird zum Nachrichtenereignis
 

Warum hat der Medienkonsument in diesen Tagen kaum eine Chance, den Drohgebärden der Menschenhasser zu entkommen? Warum wird jede Ankündigung neuer Gewalttaten zum Nachrichtenereignis? Weshalb machen Medien sich zum Verstärker der Drohbotschaften und erfüllen brav jenen Part, den die Terroristen ihnen zugedacht haben? Wer heute sich vermummt, bewaffnet, ein Video dreht und Schlimmstes ankündigt – sei es mit, sei es ohne Geisel –, der wird zur Person der Zeitgeschichte geadelt, über die zu berichten sich lohnt. Sein Video wird gezeigt oder referiert, seine Fotos werden millionenfach verbreitet. Auf diese Weise werden Journalisten zum verlängerten Arm der Extremisten. Die Medien tanzen nach dem Peitschenknall der Gotteskrieger.

Ja, Fürchterliches geschieht, das uns alle herausfordert. Doch es sollte reichen, über Ereignisse zu berichten und nicht über jede Drohgebärde. Irgendwo gibt es leider immer ein Netzwerk, eine Miliz, eine Front, eine Armee, eine Bewegung oder eine Brigade, denen es gefällt, die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen – mit Worten und in Bildern. Sie drohen, weil sie sicher sein können, mit Drohungen die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Sobald diese nicht mehr mitspielt, sobald nicht mehr jede Gewaltpose in den globalen Nachrichtenstrom eingespeist wird, sinkt die Attraktivität dieser zynischen Bilderpolitik. Das Terrorgeschäft braucht Wahrnehmung. Wahrnehmung sorgt für den identifikatorischen Kitt, der zurückwirkt in die Terrorgruppe hinein und ausstrahlt auf neue Mitstreiter. Globale Wahrnehmung ist das vornehmste Mittel der Mitgliederwerbung und der Gruppenzusammengehörigkeit. Wir sollten es den Terroristen nicht derart billig liefern.

In diesem Sinne empfiehlt sich eine doppelte Askese: Nicht alles, was in diesen Tagen als Nachricht firmiert, ist es wert, wahrgenommen zu werden. Und nicht jedes Video, das auf Redaktionsmonitoren landet, darf zur Nachricht nobilitiert werden. Sonst werden beide Seiten, die Mediennutzer und die Medienmacher, zu des Terrors nützlichen Idioten.

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