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Linkspolitikerin über ihre Partei: - „Ein Klima der Angst und Denunziation“

Ein durchgestochenes Personalpapier sorgt in der Linkspartei für heftige Debatten. Die Parteichefin Katja Kipping bestreitet jegliche Beteiligung. Halina Wawzyniak kritisiert nun die Diskussionskultur der Partei und greift die Parteivorsitzende scharf an

Autoreninfo

Halina Wawzyniak ist Rechtsanwältin und Politikerin der Partei Die LINKE. Bis Juni 2012 war sie deren stellvertretende Vorsitzende. Seit 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages.

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In der Linkspartei rumort es. Ein heftiger Streit über die innerparteiliche Kultur ist entbrannt. Auslöser war ein Artikel des Nachrichtenmagazins Der Spiegel unter dem Titel „Katja die Grobe“. Darin wird  aus einem Papier, das laut Spiegel aus dem Vorstandsbüro der Linken-Parteizentrale stamme, zitiert. Es wird davor gewarnt, den Mitarbeiterstab der Bundestagsfraktion als „Reste-Rampe“ für ausgeschiedene Bundestagsabgeordnete zu nutzen. In diesen Kontext werden unter der Überschrift „personelle No-Gos“ Steffen Bockhahn und Halina Wawzyniak namentlich erwähnt. Die Vorsitzende Katja Kipping hat mittlerweile einen Anwalt eingeschaltet und möchte nicht mehr mit dem Papier in Verbindung gebracht werden. Halina Wawzyniak ist nach der Veröffentlichung im Spiegel von ihrem Amt als stellvertretende parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion zurückgetreten. Sie begründete diesen Schritt mit einem „Bruch mit der innerparteilichen Kultur“. Bei Cicero Online kritisiert sie Katja Kippings Führungsstil und fordert eine Debatte über die Diskussionskultur in der Linkspartei

In hierarchisch organisierten Strukturen geht es immer um Macht oder  – um es nicht so martialisch klingen zu lassen – um Einfluss. Parteien sind hierarchisch organisierte Strukturen. Auch die Linke. Die Auseinandersetzung um Einfluss oder Macht ist nicht per se etwas Schlechtes. Wenn es darum geht, die günstigsten Ausgangsbedingungen dafür zu schaffen, dass die eigenen inhaltlichen Positionen in einer Organisation mehrheitsfähig werden, ist der Kampf sogar notwendig. Auch soweit es darum geht, an Macht und Einfluss viele partizipieren zu lassen, macht es Sinn, genau um diese zu streiten.

Kulturkampf um Macht und Einfluss
 

Der Kampf um Einfluss und Macht ist immer auch ein Kulturkampf. An der Art und Weise, wie er geführt wird, zeigt sich im Regelfall, wie Einfluss und Macht ausgeübt werden. So wie ich heute kämpfe, um Macht und Einfluss zu gewinnen oder zu verteidigen, so werde ich diese morgen ausüben. Ich bin 1990 in die damalige PDS eingetreten, weil ich das Gefühl hatte, hier findet ein Selbsthäutungsprozess auch im Parteienverständnis statt. Trotz aller Veränderungen spricht die Satzung der Linken heute noch eine Sprache, in der die Rechte der Mitglieder sehr hoch gewichtet werden. Gerade zu Beginn der 90er Jahre gab es selbstkritische, offene und ehrliche Debatten. Auch um die Frage, wie Macht und Einfluss ausgeübt und begrenzt werden können.

Im Großen und Ganzen gibt es in meinen Augen nur zwei Wege, wie um Macht und Einfluss in hierarchisch organisierten Organisationen, Parteien und damit auch in der LINKEN gestritten werden kann. Ein Weg setzt auf Wissen, der andere auf Unwissenheit.

Der erste Weg ermächtigt diejenigen, die Macht und Einfluss vergeben – also Delegierte –,  durch volle Transparenz nach eigenen Beurteilungsmaßstäben eine Entscheidung zu treffen. Es ist der Weg, der auf mündige Delegierte setzt, die ihre Entscheidung in Kenntnis aller Fakten treffen. Ein solcher Weg lässt Debatte und Fragen zu, ein solcher Weg fragt nicht zuerst, ob es schadet, wenn eine Debatte öffentlich wird oder nicht. Ein solcher Weg sieht in Widerspruch und Kritik eine zwingende Notwendigkeit zur Fortentwicklung eigener Positionen.

Der Weg der Halbwahrheiten, der Weg der Linkspartei
 

Der zweite Weg ist mit Halbwahrheiten, Andeutungen und dem Bedienen von Stimmungen gepflastert. Er setzt darauf, dass aus Andeutungen und Halbwahrheiten Gerüchte werden. Er setzt darauf, bis in die Privatsphäre von Menschen hinein „Negativ-Stempel“ zu vergeben. Gegen Gerüchte ist eine Verteidigung unmöglich, gegen solcherart „Negativ-Stempel“ auch. Es kommt zu einem Klima der Angst und der Denunziation. Herbert Grönemeyer beschrieb das einst so: „Angst als Methode angewandt, das Einschüchtern ist geplant.“

Die methodische Differenz in den Fragen innerparteilicher Kultur, des Erringens, Verteidigens und Ausübens von Macht und Einfluss liegt zwischen diesen beiden Wegen. Der zweite Weg scheint sich in der Linken derzeit durchgesetzt zu haben. Eine solche Kultur will ich aber nicht, und ich werde diese Kultur auch immer kritisieren, notfalls öffentlich. Und wenn eine solche Kultur zu Papieren führt, in denen ich neben anderen Menschen als „No-Go-Personalie“, als „Resterampe“ oder als „Versorgungsfall“, der in keinem Fall in der Bundestagsfraktion als Beschäftigte arbeiten darf,  bezeichnet werde, dann ist es Zeit zu sagen: Macht einen gewissen Teil der Arbeit ohne mich. Ich trete von einem Posten zurück. By the Way: Vielleicht hätte ich gar nicht vorgehabt, in der Fraktion zu arbeiten, wenn ich nicht wiedergewählt worden wäre.

Die Linke braucht eine Klimadebatte
 

Das alles sieht nach internen Auseinandersetzungen aus. Häufig höre ich deshalb, könnt ihr das nicht intern klären? Aber wie eine Partei diskutiert und Probleme löst, lässt drauf schließen, wie sie im Falle von Macht und Einfluss in der Gesellschaft agieren würde. Deswegen haben Wählerinnen und Wähler einen Anspruch darauf zu erfahren, wie Parteien mit Konflikten umgehen. Parteien, auch Die Linke, werden daran gemessen, ob sie das, was sie nach außen erklären, selbst leben. Glaubwürdigkeit nennt sich das. Wer eine solidarische und gerechte Gesellschaft will, der muss innerhalb der eigenen Partei solidarisch miteinander umgehen.

Das setzt voraus, Fragen und Kritik ohne persönliche Denunziation herauszufordern und einen Sound zu entwickeln, der nicht „Ruhe“ heißt. Deshalb ist in der Linken eine Debatte darüber notwendig, wie ein Klima entstehen konnte, in dem Delegierte über die Existenz eines Fahrplans zur Abwahl eines Schatzmeisters im Dunkeln gelassen wurden und Personen auf eine „Schwarze Liste“ im Hinblick auf Anstellungsverhältnisse kommen konnten. Natürlich ist es immer noch interessant, wer wann von welchen Papieren wusste oder diese geschrieben hat. Aber die entscheidende Frage ist, ob diese Mittel und Methoden als legitim im Kampf um Macht und Einfluss angesehen werden. Diese Debatte nicht zu führen und stattdessen zu beklagen, dass Whistleblower dafür gesorgt haben, dass diese Debatte überhaupt erst möglich ist, würde auch einiges über die Glaubwürdigkeit einer Partei aussagen.

Zu einer solchen Debatte gehört auch, zu fragen, ob es gewünscht wird, zukünftige Personaldebatten mit Fakten oder mit Andeutungen bzw. Halbwahrheiten zu führen. Wenn es darum geht, Personen (beruflich) nicht schaden zu wollen, dann darf es eben auch kein Agieren geben, dass genau diese Schädigungsgefahr hervorruft. Auch das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und wenn diese Gefahr sich realisiert, dann ist es die Verantwortung der Gefahrenverursacher/innen, schnell und öffentlich den Gerüchten den Boden zu entziehen. Eine Argumentation, eine solche Debatte, schadet dem Wahlkampf und ist eine, die nicht von der Ursache her denkt, sondern von der Wirkung. Vor 1989 musste für eine solche Argumentation „der Klassenfeind“ herhalten.

Nach dem von mir präferierten ersten Weg müsste in Personalauseinandersetzungen den mündigen Delegierten offengelegt werden, worin das Problem besteht. Sie würden nicht erklärt bekommen, dass es einen Konflikt gibt und – etwas theatralisch aufgepumpt –  „schmerzhafte Erfahrung“ mit fehlendem Vertrauen, sie würden auch keine Andeutungen über „schmutzige Politik“ erfahren (geschehen auf dem Bundesparteitag in der Personalauseinandersetzung um das Amt des Bundesschatzmeisters), sondern einfach: „Auf Grund der Entscheidung X und der Entscheidung Y, die wir so nicht teilen können, empfehlen wir Person Y zu wählen. Diese bringt die notwendigen Qualifikationen mit, denn sie hat dieses und jenes gemacht.“ Dies würde Person Z die Möglichkeit geben, die Entscheidung X und die Entscheidung Y aus seiner/ihrer Sicht darzustellen, und die Delegierten könnten sich ihr eigenes Urteil bilden.

Die innerparteiliche Kultur stellt die Privatheit in Frage
 

Eine Partei, die die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern verteidigt, wird unglaubwürdig, wenn sie Ansätze entwickelt, Mitglieder in ihrem privaten Verhalten zu kontrollieren. Dies ist jedoch eine Bedingung, um mit dem zweiten Weg erfolgreich zu sein. Von daher müssen dann schon einmal ominöse „Kneipenrunden“ herhalten, um „Negativ-Stempel“ zu verteilen. Ob und wie häufig jemand an „Kneipenrunden“ teilgenommen hat, ist egal. Der Stempel reicht. Ein solches Agieren jedoch führt – was Linke im Übrigen im Hinblick auf Überwachung immer wieder sagen – zu Verhaltensänderungen und stellt das Recht auf Privatheit in Frage. Wann ich mit wem in welche Kneipe gehe, was ich dort trinke, esse und berede, ist meine Privat- und keine Parteiangelegenheit. Wenn ich anfange, selbst in Privatgesprächen darüber nachzudenken, was ich sage, weil es könnte ja sein, dass das, was ich sage, irgendwann politisch gegen mich verwendet wird, dann erstirbt irgendwann jeglicher offener Diskurs.

Katja Kipping instrumentalisiert den Feminismus
 

Hierachisch strukturierte Organisationen haben ein Problem mit Geschlechtergerechtigkeit. Parteien haben dieses Problem. Auch Die Linke. In der derzeitigen Auseinandersetzung um die Kultur in der Linkenhat die Parteivorsitzende nun in einer „Klarstellung“ die Debatte  aufgemacht, dass die im Spiegel veröffentlichte Geschichte ein „hervorragendes Studienobjekt für feministische Diskursanalyse“ sei. Ich teile das im konkreten Fall ausdrücklich nicht. Denn Geschlechtergerechtigkeit heißt, nicht die Zuschreibung bestimmter Klischees an Männer und Frauen in Auseinandersetzungen zu übernehmen. Es wird dem Thema Geschlechtergerechtigkeit kein Gefallen getan, wenn Auseinandersetzungen um Macht, Einfluss und Führungsstil als solche um Geschlechtergerechtigkeit dargestellt werden. Es ist ja richtig, dass im Allgemeinen Männern zugeschrieben wird, sie seien professionell und durchsetzungsstark. Und es ist richtig, dass solche Verhaltensweisen bei Frauen häufig als anrüchig, intrigant und machtbesessen wahrgenommen werden.

Wäre es jetzt aber nicht Aufgabe auch feministischer Politik, diese Zuschreibungen in Frage zu stellen und deutlich zu machen, dass Männer wie Frauen anrüchig, professionell, durchsetzungsstark und machtbesessen sein können? Wäre es nicht Aufgabe feministischer Politik, die Debatte aufzumachen, was welche Verhaltenszuschreibung ausmacht und ob ein solches Verhalten akzeptabel ist oder nicht? Aus Kritik an der eigenen Person ein Studienobjekt für feministische Diskursanalyse zu machen, spielt mit dem Klischee der Frau als Opfer. Kritik an der eigenen Person in den Geschlechtergerechtigkeitsdiskurs einzubetten, ist am Ende nichts anderes als ein männlicher Machttrick, um die Debatte zu beenden. An einer so gelabelten Debatte können sich unbefangen nur noch Frauen beteiligen. Parteien, die zulassen, dass solche wichtigen Themen instrumentalisiert werden, müssen sich fragen lassen, bei welchen anderen Themen dies auch möglich ist.

Hierarchisch strukturierte Organisationen haben sich schon immer schwer getan mit offenen, ehrlichen Debatten um die Art des Erringens, Ausübens und Verteidigens von Macht und Einfluss. Auch Parteien. Auch Die Linke. Wenn es nicht gelingt, darüber zu reden, dann kehrt Ruhe ein. Ruhe, die zur Friedhofsruhe wird.

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