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(Maurice Weiss) Marco Bülow setzt sich gegen verdeckten Lobbyismus ein

SPD-Abgeordneter Bülow - Kritiker der eigenen Zunft

Für manche ist er ein Nestbeschmutzer, für andere einer der wenigen selbstkritischen Politiker, der offen sagt, was falsch läuft im Parlamentsalltag. Der SPD-Abgeordnete Marco Bülow geht seit Jahren hart ins Gericht mit der eigenen Zunft. Gemocht wird er deshalb nicht

Marco Bülow klickt sich durch seine Termine. Nein, zum Arbeitskreis Umwelt könne man die Presse nicht mitnehmen. Die Kollegen –  sie sagten ja sowieso schon immer: „Der Bülow und seine Journalisten…“ Marco Bülow lacht während er sie nachefft. Ist da etwa Neid unter Hinterbänklern, um das bisschen Aufmerksamkeit?

Einen wichtigen Fraktionsposten hat der Abgeordnete nicht, trotzdem tritt er in Talkshows auf oder wird vom Deutschlandfunk befragt. Denn der SPD-Mann aus Dortmund ist Chefkritiker der eigenen Zunft, der Abgeordneten. Wenn über Lobbyismus, Transparenz oder Nebeneinkünfte diskutiert wird, dann stehen die Fernsehteams in seinem Büro. Nach acht Jahren im Bundestag schrieb er 2010 ein Buch mit dem denkwürdigen Titel „Wir Abnicker“, in dem er das Versagen der Politik im Umgang mit Interessengruppen beklagt.

Zwei Jahre ist es her, dass Bülows Buch erschien. Die Reaktionen der Medien waren damals überwiegend positiv. Wann gibt ein aktiver Bundestagsabgeordneter sonst solche Einblicke in seine Arbeit? Marco Bülow diagnostizierte, dass Deutschland längst eine „Lobby-Republik“ sei und sprach von einer politischen Selbstentmachtung, der sich die Abgeordneten hingäben. Dass der Autor selbst Journalist ist, merkt man nicht nur seinem Buch an: Er kennt die Funktionsweisen der Medien sehr genau und erfüllt ihre Anforderungen mit Bravour. Der 41-Jährige ist ein gern gesehener Interviewpartner. Seine Kritik ist gerade so tief gehend, dass genügend Sprengstoff enthalten ist, aber gerade noch so zurückhaltend, dass er seine Abgeordnetenkollegen nicht komplett verprellt. Diese Kollegen im Bundestag haben sich nicht geäußert zum Abnicker-Buch. „Ich habe alle eingeladen, mit mir zu diskutieren.“ Aber Kritik kam nur über Dritte. Offen hat sich keiner geäußert. „Deshalb fühle ich mich indirekt bestätigt“, sagt Bülow.

Es gibt eine Zeit vorher und eine Zeit danach. Heute ist das schwer vorstellbar –Marco Bülow trägt seine Aufrichtigkeit und moralische Korrektheit permanent vor sich her –, aber er war mal selbst Teil des „Hamsterrads“. Er hat Lobbyisten getroffen, war abends auf ihren Wohlfühlveranstaltungen, hat sich dem Fraktionszwang hingegeben und Dinge „abgenickt“, von denen er wusste, dass sie nicht richtig waren. Damals war er umweltpolitischer Sprecher seiner Fraktion, die SPD noch an der Regierung – deshalb bekam er oft Gesetzesvorschläge, auch von Lobbyisten. Das ist üblich. Die Wirtschaft soll auch ihre Sicht der Dinge artikulieren können. „Wenn ich dann aber gesehen habe, dass manche Kollegen das eins zu eins übernommen haben und als ihre eigene Meinung ausgaben, musste ich stutzen“, sagt Bülow.

Ihm wurde klar, welchen Einfluss die Interessenvertreter der Profitwirtschaft haben. Das eigentliche Problem sei die fehlende Waffengleichheit, sagt er heute: Die Umweltverbände könnten sich beispielsweise keinen Lobby-Apparat leisten. „Ich habe gemerkt, dass es so zumindest für mich nicht weitergehen kann. Das ist nicht meine Vorstellung vom Abgeordneten-Dasein.“ Damit begann die Zeit danach. Eine Art Katharsis, deren Ausdruck die Buchveröffentlichung war. Vom Saulus zum Paulus – alles nur eine Entscheidungsfrage, könnte man denken. Heute trifft er Lobbyisten zwar immer noch, aber die Termin-Anzahl ist gesunken. Grund dafür ist auch, dass jedes Treffen nachträglich auf der Homepage öffentlich gemacht wird. „Die meisten möchten das nicht und verzichten ganz.“

Seite 2: Keiner mag Besserwisser

Am 4. Oktober zum Beispiel traf Marco Bülow einem Vertreter von Gazprom. Dabei habe es sich um ein Kennenlernen gehandelt. Wohlfühl-Lobbyismus eben: Beziehungen aufbauen und Gemeinsamkeiten entdecken. „Sie kennen jemanden in meinem Wahlkreis,  sind Fan des gleichen Fußballvereins und machen gerne Geschenke“, sagt Marco Bülow. Am Ende soll sich der Parlamentarier wichtig fühlen – im entscheidenden Moment auch mal dem Klienten des Interessenvertreters einen Gefallen tun. Das laufe viel subtiler ab, als es sich anhöre – „aber es funktioniert in den meisten Fällen.“

Mit keinem Wort greift Marco Bülow seine Kollegen direkt an. Wer aber nur einen Schritt weiterdenkt, weiß, gegen wen sich seine Kritik richtet. Als ob er sagen wollte: Seht her, ich mache es richtig, habe mich befreit – und ihr seit noch immer in den Fängen des Lobbyismus.

Er selbst ist als SPD-Direktkandidat für Dortmund in einer bequemen Position – sein Wahlkreis gilt als sicher, ist Überbleibsel der alten SPD-Herzkammer Ruhrgebiet.  Deshalb kann er sich heute auch mal entscheiden, nicht mit dem Rest seiner Fraktion zu stimmen. „Das akzeptiert man“, sagt er. Allerdings flog die SPD kurz vor Bülows Wandel aus der Koalition. In der Opposition sind Eigenbrötler kein Problem. Ob ein Abweichen auch akzeptiert würde, wenn es um die Kanzlermehrheit ginge?

„Das weiß man nie.“ Trotzdem habe sich grundlegend etwas verändert, ob Regierung oder nicht. Inzwischen sind die Forderung nach einem Lobbyregister, die Ratifizierung der UNO-Korruptionskonvention und seit neuestem auch die Offenlegung der Nebeneinkünfte SPD-Konsens. Allerdings waren die Verdienste von Abgeordneten außerhalb des Bundestages auch bei den Sozialdemokraten lange ein heikles Thema. Es bedurfte erst einer beherzten Attacke von Union und FDP auf Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, dass sich Bülows Genossen auf absolute Transparenz einigen konnten.

Ein Blick auf die Uhr. Die Aktuelle Stunde zu Nebeneinkünften von Abgeordneten beginnt jetzt, Bülow muss los. Es geht um seine Themen: Transparenz und Abgeordnetenbeeinflussung – sprechen wird er dazu trotzdem nicht. Das macht Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer. Es ist das Schicksal der Kassandras, der Abweichler. Manchmal behalten sie Recht, ihre Karriere aber profitiert nicht davon.

Wenige Tage später ist Marco Bülow im Deutschlandfunk zu Gast. Es geht um Nebeneinkünfte und die Kehrtwende der SPD in dieser Frage. Bülow sagt: „Seit zwei Jahren stehe ich für diese Position.“ Es ist wieder eines dieser Interviews, in denen er den selbstbewussten Chefkritiker gibt. Er wusste es ja schon immer. Marco Bülows Problem ist, dass keiner Besserwisser mag. Auch nicht in der SPD.

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