Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Sterbehilfe bleibt eine moralische Grundsatzfrage unserer Zeit

Sterbehilfe - Ein folgenreicher Beistand?

Ein Gesetz soll künftig kommerzialisierte Sterbehilfe unter Strafe stellen – doch der Entwurf stößt auf Widerstand. Woran entzündet sich die Kritik?

Es ist eines der heikelsten Themen im ethischen Spannungsfeld zwischen der Selbstbestimmung des Menschen und dem Schutz des Lebens. Nur so ist zu verstehen, dass der jüngste Entwurf eines Gesetzes zum Thema Sterbehilfe umgehend heftige Reaktionen ausgelöst hat. Dabei sind jedoch auch Missverständnisse und Gruppeninteressen im Spiel.

Was ist mit dem neuen Gesetz geplant?

Die eigenverantwortliche Selbsttötung ist wie die Beihilfe dazu nach deutschem Recht straffrei. Union und FDP sehen jedoch Regelungsbedarf bei der kommerzialisierten Sterbehilfe und verankerten ein entsprechendes Gesetzesvorhaben im Koalitionsvertrag.

In dem jetzt ausgearbeiteten Referentenentwurf von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), der dem Tagesspiegel vorliegt, geht es um entgeltliche Dienstleistungen wie beispielsweise „das Verschaffen eines tödlich wirkenden Mittels“ oder „das Anbieten einer Räumlichkeit, in der das Gift durch die suizidwillige Person eingenommen werden kann“. Darunter fällt auch die Vermittlung von Räumlichkeiten im Ausland.

Ein neuer Straftatbestand soll im Strafgesetzbuch geschaffen werden, der erstens die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Und in einem zweiten Absatz sollen Angehörige und andere „nahestehende Personen“ straffrei sein, wenn sie schwerkranken Angehörigen beistehen wollen. Zu diesem Personenkreis zählen nach dem Referentenentwurf auch „Lebensgefährten, langjährige Hausgenossen oder nahe Freunde“. Auch Ärzte und Pflegekräfte können dazu zählen, „wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung entstanden ist“ wie bei einem langjährigen Hausarzt.

Was ist daran umstritten?

Der CDU geht der Entwurf zu weit. Nur soweit tatsächlich eine „erhebliche emotionale Zwangslage“ wie bei engen Angehörigen bestehe, sei es gerechtfertigt, von einer Strafe abzusehen, sagte Andrea Voßhoff, rechtspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Sie will den Personenkreis stark eingrenzen.

Ein Ministeriumssprecher sagte am Mittwoch, dass das geplante Gesetz „keine Herzensangelegenheit“ der Ministerin sei. Und in der FDP weist man darauf hin, der Passus im Koalitionsvertrag sei vor dem Hintergrund entstanden, dass der Hamburger Ex-Senator Roger Kusch 2008 einen „Selbsttötungs-Automaten“ vorgestellt habe. Auf seiner Internetseite informierte Kusch, damit erstmals beim Suizid einer 79-jährigen Frau assistiert zu haben.

Die Kritik von Seiten der CDU an dem Referentenentwurf weist FDP-Rechtspolitiker Christian Ahrendt als „substanzlos“ zurück. Die Festlegung, auch nahestehenden Personen Straffreiheit zu gewähren, rechtfertigt er auch mit dem Hinweis auf den Notstandsparagraphen 35 im Strafgesetzbuch. „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld“, ist dort zu lesen. Der vorliegende Gesetzesentwurf nehme das Problem auf, sagte Ahrendt dem Tagesspiegel.

Der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag lehnt Sterbehilfe ab, mit der Profit gemacht wird. „ Eine Abgrenzung zwischen straffreier Suizidhilfe und dem Profitstreben ist notwendig. Ob das mit dem Referentenentwurf gelingt, bezweifle ich“, sagte Montag dem Tagesspiegel. Er habe aber kein Problem damit, dass die Straffreiheit auch für Ärzte gelte, die dem Patienten nahestehen. „Bei der Straffreiheit kommt es auf die persönliche Nähe an. Ob das ein Arzt oder ein Ingenieur ist, spielt dabei keine Rolle.“ Dass Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery bei dem Referentenentwurf von einem „Stück aus dem Tollhaus“ gesprochen habe und mit seinem Einwand, der Entwurf würde Ärzte zu straflosen Sterbehelfern machen, seinen eigenen Berufsstand schlecht rede, sei „absurd“, sagte Montag.

Warum haben manche Ärzte solche Probleme mit dem geplanten Gesetz?

Die kommerzielle Sterbehilfe stößt auch bei den Ärzten einhellig auf Ablehnung. Zur Sterbehilfe ganz allgemein gibt es – wie in der Bevölkerung – jedoch verschiedene Ansichten. Zumindest auf Bundesebene haben sich vorerst die Gegner des ärztlich assistierten Suizids durchgesetzt. Ärztekammer-Präsident Montgomery, drückte beim Ärztetag 2011 ein striktes Verbot durch. Nach der seitdem gültigen Muster-Berufsordnung ist es Ärzten nicht mehr erlaubt, „Hilfe zur Selbsttötung“ zu leisten. Die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung – der Arzt stellt das Glas mit der tödlichen Dosis Schlafmittel auf den Tisch, der Patient nimmt das Glas selbstständig und trinkt – ist nach ärztlichem Standesrecht künftig untersagt, wenn es nach Montgomery geht. Das Standesrecht ist damit strenger als das Strafgesetz, nach dem die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist.

Allerdings gibt es in der Ärzteschaft Widerstand gegen den Ärztetagsbeschluss. Einige Landesärztekammern – sie setzen das Standesrecht durch – haben das Verbot der Beihilfe zum Suizid nicht übernommen, etwa Bayern und Westfalen-Lippe. In Berlin wird eine Delegiertenversammlung im September darüber beraten, der Ausgang ist ungewiss. „Die berufsrechtliche Lage ist nun föderal zersplittert“, sagt Jochen Vollmann, Medizinethiker an der Universität Bochum. Für Vollmann ist die Kritik an Montgomerys Haltung ein Ausdruck für den Pluralismus unter den Ärzten: „Die Antwort auf die Frage, was ein zeitgemäßes ärztliches Ethos ist, ist offenbar nicht so einfach, wie Herr Montgomery glaubt.“

Der Präsident der Berliner Ärztekammer Günther Jonitz begrüßt den Gesetzesentwurf aus dem Bundesjustizministerium. Denn die Rolle des Arztes sei weitgespannt, sagte Jonitz dem Tagesspiegel. Es sei zwar richtig, dass Ärzte keine Sterbehelfer seien, „aber in begründeten Einzelfällen muss es dem Arzt möglich sein, Patienten, zu denen sie eine gewachsene und vertrauensvolle Beziehung haben, im Rahmen einer Gewissensentscheidung von ihrem Leid zu befreien“. Schon heute würden Ärzte in vielfältiger Weise ihren Patienten am Lebensende beistehen, da könnten auch Situationen entstehen, in denen sie ein „stillschweigendes Einvernehmen“ mit den Patienten, die unheilbar krank sind, getroffen haben. „Das ist eine Grauzone, die aber dann funktioniert, wenn das Verhältnis zwischen Patient und Arzt stabil ist“, sagte Jonitz. Der Arzt, der eine solche Entscheidung treffe, dürfe nicht kriminalisiert werden. „Mit dem, was heutzutage sogenannte Sterbehilfeorganisationen anbieten, hat dies nichts zu tun.“ Organisierte Sterbehilfe müsse unter Strafe gestellt werden. Es sei insofern richtig, für weitere Rechtssicherheit zu sorgen. Insgesamt spricht sich Jonitz, der auch Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer ist, für eine breitere gesellschaftspolitische Debatte beim Thema Sterbehilfe aus. „Die Sterbehilfe darf nicht länger ein Tabuthema sein und allein den Ärzten und Juristen überlassen werden, sondern wir müssen in der Gesellschaft darüber diskutieren, wie man sterben will.“

Wie gehen Ärzte in der Praxis mit dem Thema um?

Die Beihilfe zum Suizid ist unter Medizinern ein Tabuthema. Man spricht öffentlich nur sehr ungern darüber. Und so sind es vor allem Außenseiter wie der 1997 verstorbene Chirurg und Ärztekritiker Hackethal, die mit Sterbehilfe spektakulär auf sich aufmerksam machen – und es damit Kritikern leicht machen, mit der fragwürdigen Inszenierung auch die Sterbehilfe selbst pauschal zu diskreditieren. Nach einer Umfrage der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2009 – vor der Ära Montgomerys – unter 550 Medizinern sprachen sich rund 30 Prozent der befragten Ärzte für eine Legalisierung der ärztlichen Suizidassistenz aus. Jeder zweite Hausarzt wurde laut Umfrage schon einmal um Beihilfe zur Selbsttötung gebeten. Und 37 Prozent könnten sich vorstellen, einem schwerkranken und sterbewilligen Patienten tödliche Medikamente zu geben.

Experten bemängeln überdies, dass die Möglichkeiten der palliativen Medizin, die Linderung am Lebensende anstrebt, noch immer zu wenig bekannt sind. Eine von ihnen ist die rechtlich völlig unstrittige palliative Sedierung. Dabei werden starke Beruhigungs- oder Schmerzmittel eingesetzt, um unerträglich gewordenes Leiden am Lebensende zu mildern und das Bewusstsein zu dämpfen. Es wird in Kauf genommen, dass das Sterben beschleunigt werden kann. „Den meisten Menschen, die sich an die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas wenden, könnte hierzulande mit den Mitteln der Palliativmedizin sehr gut geholfen werden“, sagt Michael de Ridder, Rettungsmediziner und Buchautor („Wie wollen wir sterben?“).

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.