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Sondierungen - Steuererhöhungen – ja oder nein?

Union und SPD wollen von heute an ausloten, ob Koalitionsverhandlungen Sinn machen. Die Geister scheiden sich vor allem an der Frage nach Steuererhöhungen. Sind sie nötig?

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Ciesinger, Ruth

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Es könnte der Knackpunkt bei den am heutigen Freitag beginnenden Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD werden: das Steuerthema. Die SPD meint, zur Finanzierung dringender Aufgaben gar nicht um Steuererhöhungen für Spitzenverdiener herumzukommen, die Union will das vermeiden. Ob aber höhere Steuern überhaupt nötig oder sinnvoll sind, ist durchaus umstritten.

Mit welchen Positionen gehen die Vertreter beider Seiten in die Verhandlungen?

Die Union hat schon im Wahlkampf Steuererhöhungen ausgeschlossen. Sie will lediglich ihr lang gehegtes Vorhaben umsetzen, die Bürger bei der kalten Progression zu entlasten. Der Wirtschaftsflügel der Union fordert zudem Entlastungen beim Solizuschlag.

Die SPD will hingegen durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent große Einkommen und Vermögen stärker belasten. Zugleich fordert sie eine höhere Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte. Mit den Mehreinnahmen will die SPD Schulden abbauen und Geld in Bildung und den Ausbau der Infrastruktur stecken. Die Erfahrung rät, dass man sich darauf einstellen muss, dass die Verhandlungen auf höhere Einnahmen für den Staat hinauslaufen. Nicht umsonst sind Ministerpräsidenten in den Delegationen, die Länder klagen am lautesten über Geldmangel. Dass nur Vermögende belastet werden, darauf sollte man sich nicht verlassen. Bei Schwarz-Rot 2005 stieg die Mehrwertsteuer aus heiterem Himmel von 16 auf 19 Prozent. Die Union hatte zwei Prozentpunkte angekündigt, die SPD wollte keine Erhöhung – vor der Wahl.

Werden mehr Einnahmen gebraucht?

Für Ralph Brügelmann vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist klar: „Steuererhöhungen sind unnötig.“ Der Staat sei „hinreichend finanziert“, sagte er dem Tagesspiegel mit Verweis auf die Rekordsteuereinnahmen der letzten Jahre. 2012 habe Deutschland einen Haushaltsüberschuss von 2,3 Milliarden Euro erwirtschaftet, die Gemeinden von 5,2 Milliarden. Brügelmann plädiert deshalb dafür, statt nach mehr Geld zu rufen eher die bedarfsgerechte Verteilung anzugehen. „Aber das ist konfliktträchtig, weshalb Politiker davor eher zurückschrecken. Gerade höhere Vermögens- oder Einkommenssteuern wirken in einer Volkswirtschaft erwiesenermaßen am stärksten wachstumsschädlich.“

Deborah Schanz, Leiterin des Instituts für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, kritisiert „unsinnige Milliardenausgaben mit zum Teil sogar negativem Steuerungseffekt“ wie das Betreuungsgeld, die „gestrichen werden könnten“. Derzeit kämen zehn Prozent der Bestverdienenden für 50 Prozent der Einkommensteuer auf, „wir haben hier bereits eine signifikante Umverteilung“, sagte sie. Diese Menschen könnten auch im Ausland arbeiten und dort ihr Geld anlegen, „und dann bleibt dem deutschen Fiskus gar nichts“, warnt Schanz.

Natürlich gibt es bei Autobahnen, Bundes-, Land- und Kommunalstraßen, bei Brücken und Kanälen Probleme. Aber das ist keine Überraschung. Sie nutzen sich eben ab und so gibt es beständigen Baubedarf. Aber das rechtfertigt, wenn die staatlichen Ebenen vernünftig wirtschaften, keine Steuererhöhung. Das Bauen und Unterhalten von Straßen ist eine staatliche Grundaufgabe, dafür sind die Steuern, die man hat, zuallererst zu verwenden – Infrastruktur ist Pflicht, nicht Kür. Und wenig ist besser planbar als der staatliche Hoch- und Tiefbau. Wenn hier das Geld fehlt, dann ist schlecht geplant, schlecht gewirtschaftet, schlecht verwaltet worden.

Doch unverzagt wird von interessierter Seite der Eindruck erweckt, dass republikweit der Beton zerrieselt, Straßen über weite Strecken marode sind und einstürzende Altbauten die Zukunft versperren. Und dass mehr Geld nötig sei, in dem Fall auch über Mehreinnahmen aus der Straßenmaut, wie die Verkehrsministerkonferenz fordert. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) sieht allein bei den kommunalen Straßenbrücken erheblichen Investitionsbedarf. Mit Hochrechnungen und Schätzungen kommt das Institut auf ein notwendiges Plus von einer Milliarde Euro im Jahr bis 2030. 17 Milliarden insgesamt also für einen Teilbereich. Freilich muss man wissen, dass das Institut vom Städtetag und vom Städte- und Gemeindebund getragen wird. Auftraggeber der Studie waren der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Bundesverband Baustoffe, Steine und Erden und die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Das heißt nicht, dass die Zahlen unseriös sind – aber man darf sie mit leisem Zweifel lesen.

Der angeblich so riesige Investitionsbedarf bei der Infrastruktur ist in Wahrheit eher ein Regionalproblem. Der Osten Deutschlands etwa hat kaum noch Nachholbedarf nach der massiven Sonderförderung der letzten 20 Jahre. Auch in den nächsten Jahren sind die Ost-Länder noch besser ausgestattet als die West-Länder. Und auch im Süden der Republik zieht das Argument nicht wirklich, dort sind die Städte, Kreise und Gemeinden in aller Regel recht wohlhabend. Letztlich geht es um einige größere Ecken Deutschlands, in denen sich ein Investitionsstau gebildet hat – die Klagen aus Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein sind nicht ganz ohne Grund. Aber dafür braucht es keine Mehreinnahmen, sondern eine andere Mittelverteilung.

Wie sieht es bei der Bildung aus?

Der Bildungssektor ist keineswegs unterfinanziert. Das Ziel, das sich Bund und Länder gesteckt haben – bis 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung auszugeben –, ist mit aktuell 9,5 Prozent nahezu erreicht. Der Bildungssektor kann aus dem Vollen schöpfen. Defizite (Lehrerversorgung, Bauten, Ausstattung, Stundenausfall) gehen meist nicht auf Geldmangel, sondern auf Versäumnisse in der Verwaltung und das Verhalten der Beteiligten zurück.

Dass die Losung „mehr Geld für Bildung“ mittlerweile ein Popanz ist, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Demnach sind die Gesamtausgaben für Bildung, Forschung und Wissenschaft seit 1995 erheblich gewachsen. Sie lagen damals bei 162,5 Milliarden Euro, im Jahr 2011 dagegen belief sich dieses Gesamtbudget auf 245,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der gesamte Bundesetat hat ein Volumen von 310 Milliarden Euro. Der weitaus größte Teil des Zuwachses bei der Bildung geht auf staatliche Mehrausgaben zurück. Das Bildungsbudget wuchs zwischen 1995 und 2011 um 50,8 Prozent, während die Preissteigerung in diesem Zeitraum 26,5 Prozent betrug. 2010 wurden in ganz Deutschland für jeden Schüler an öffentlichen Schulen (also einschließlich der Berufsschulen) 5800 Euro ausgegeben. 15 Jahre zuvor waren es 4300 Euro. Das Plus beträgt also 35 Prozent, auch hier erheblich über der Inflation. Während – regional unterschiedlich – die Schülerzahlen zurückgehen, blieb die Zahl der Lehrer konstant. Und Bildungsausgaben sind zu einem sehr hohen Prozentsatz Personalausgaben.

Die Ausgaben pro Schüler zeigen auch, dass es keineswegs ein Gerechtigkeitsgefälle zwischen einzelnen Ländern gibt, das auf die Finanzen zurückzuführen wäre. Baden-Württemberg etwa kommt je Schüler an allgemeinbildenden Schulen mit 6300 Euro aus, Berlin kann dagegen 7600 Euro je Schüler ausgeben. Die unter Bevölkerungsschwund leidenden ostdeutschen Länder kommen auf sehr hohe Werte (im Schnitt knapp 7700 Euro), während die im Finanzausgleich tendenziell benachteiligten Länder Nordrhein-Westfalen (5500 Euro), Schleswig-Holstein (5700 Euro), Rheinland-Pfalz (6000 Euro) und Niedersachsen (6100 Euro) weitaus weniger einsetzen können. Eine generelle bundesweite Unterfinanzierung lässt sich nicht behaupten.

Die eigentlichen Gründe, weshalb Politiker in Bund und Ländern gern höhere Steuern hätten, sind nicht Bildung und Infrastruktur. In Wahrheit geht es um Schulden und Personal. Es sind die stetig wachsenden Ausgaben für die pensionierten Beamten, welche den Landeshaushalten zunehmend die Luft rauben.

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