Lauterbachs Fehler - Lach ich, oder was?

Karl Lauterbach ist erneut durch zweifelhafte Aussagen zu Corona aufgefallen. Angeblich hat ein technischer Übertragungsfehler den Fauxpas verursacht. Doch der Vorfall passt nur zu gut in das merkwürdige Verhältnis, das der Bundesgesundheitsminister zur Wahrheit pflegt.

Karl Lauterbach amüsiert sich / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Eigentlich müsste man mal herzhaft lachen. So wie das kleine Mädchen lacht in der Verfilmung des Märchenklassikers von des Kaisers neue Kleider. Der tschechische Filmemacher Juraj Herz hat die Kleine mit den blond gewellten Haaren damals nicht nur den bekannten Satz sagen lassen, nachdem der Kaiser bei genauer Betrachtung ja gar nichts an hat, er hat die Erkenntnis zudem szenisch in ein großes Gekicher und Gegickel gepackt – derart gewaltig, dass alle Macht des Herrschers noch im selben Moment zu Witz und Aberwitz zerfällt. 

Gerade so also müsste man mal lachen. Weil es offensichtlich eben nicht reicht, die nackte Wahrheit allein mit Worten zu benennen. Erst das Lachen macht am Ende vielleicht wirklich frei – so frei zumindest, dass Raum für echten und nachhaltigen Wandel entstehen kann. Ich denke da zum Beispiel an eine Lachsalve für Karl Lauterbach (SPD).

Erst am vergangenen Wochenende nämlich hat der in einem Interview mit der Reihnischen Post wieder einen Satz rausgehauen, der fast schon ebenso fabulös klingt, wie das oben erwähnten Märchen von Hans-Christian Andersen. Dem anschließenden Realitätscheck jedenfalls konnte die Aussage kaum standhalten. Es gäbe da Studien, so orakelte der Bundesgesundheitsminister recht nebulös gegenüber den Berliner Parlamentskorrespondenten Jan Drebes und Birgitt Marschall, die deuteten darauf hin, dass es nach mehreren überstandenen Corona-Infektionen zu einer „nicht mehr zu heilenden Immunschwäche“ kommen könne. 

Die Ewigkeit oder ein Tag

Das war zunächst die erste Fassung des Satzes, veröffentlicht in der Rheinischen Post vom vergangenen Samstag. Wenige Stunden später, Lauterbachs Aussage hatte bereits erste virale Runden auf Twitter und diversen Online-Plattformen gedreht, da wurde der Satz vom Bundesgesundheitsministerium korrigiert – wegen angeblicher „technischer Übertragungsfehler“.

Aus der ursprünglich unheilbaren Defektimmunopathie wurde nun in Variante zwei eine Immunschwäche „deren Dauer wir noch nicht kennen“. Doch egal ob Ewigkeit oder nur ein Tag – die unterstellten Studien, die sich auch in der aktualisierten Fassung des Interviews weiterhin finden, unterstreichen die Sache mit der Immunschwäche zumindest laut Lauterbach „sehr deutlich“. 

Um welche Studien es sich da aber genau handelt, das wollte das Bundesgesundheitsministerium nicht mitteilen. Auch eine Anfrage des Cicero ließ man bis dato unbeantwortet. Das Schweigen machte wohl auch Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin der Süddeutschen Zeitung und für gewöhnlich der deutschen Corona-Politik recht kritiklos zugeneigt, ein wenig stutzig.

In einem gleich am Sonntag darauf veröffentlichten Kommentar, schrieb die vom Medienmagazin gekürte Wissenschaftsjournalistin der Jahre 2020 (Platz 2) wie 2021 (Platz 1), dass die von Lauterbach angedeuteten Studien bis dato nicht einmal in Fachjournalen veröffentlicht worden seien, ja, dass es bis dato nicht einmal eine vorläufige Publikation darüber gäbe. Und da Studien ohne Publikation per Definition keine Studien sind, bleibt nur der Schluss, dass es die von Lauterbach angeführten Studien eigentlich gar nicht gibt. 

Eine Liste fehlerhafter Behauptungen

Grund zu Lachen also wäre wirklich genug; zumal sich die Episode längst in eine lange Kette von Falschaussagen des Ministers einreiht – Irreführungen die, obwohl geprüft und oftmals schon seit Jahren in zahlreichen Medien nachzulesen, bis heute nicht zu politischen oder auch nur wissenschaftlichen Konsequenzen geführt haben. Anscheinend kann Karl Lauterbach, immerhin Direktor eines Instituts für Gesundheitsökonomie an der Universität zu Köln und Miterfinder der gefährlichen „Sommerwelle“ wie der mörderischen „Killervariante“, sagen und behaupten, was er will, Folgen hat das nur äußerst selten.
 

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Hier nur einige Beispiele: In der Debatte zum Gesetzentwurf über die Impfpflicht am 8. April des vergangenen Jahres behauptete der Bundesgesundheitsminister, dass nicht Omikron für den damaligen Rückgang der Covid-Mortalität und -Hospitalisierung verantwortlich sei, sondern einzig die neuartigen mRNA-Impfstoffe. Noch etwas weiter zurück, am 14. Oktober 2021, verkündete er auf Twitter, dass angeblich elf Prozent aller infizierten Kinder laut einer israelischen Studie noch sechs Monate nach ihrer Covid-Infektion Long-Covid-Symptome aufwiesen.

Der im Tweet verlinkte Artikel aus der israelischen Tageszeitung Haaretz indes sprach von lediglich 1,8 bis 4,6 Prozent. Dann, gerade einmal eine Woche darauf, eine neue Studie auf dem Twitter-Kanal des Ministers. Von der wiederum behauptete er, sie könne nachweisen, dass Kinder genauso oft Long Covid erlitten wie Erwachsene. In Wahrheit zeigte sie das genaue Gegenteil der Behauptung.

Wirklich nicht lustig

Doch gehen wir weiter: Unvergessen auch der Tweet vom 14. August 2021, in dem Lauterbach trotz erster Gegenberichte von einer „nebenwirkungsfreien Impfung“ sprach. Wie der zu des Ministers gestrigem Post passt, in dem er erstmals Menschen mit „Post Vac“ erwähnt, die „langfristige Schäden der Impfung erlitten“, bleibt wohl auf immer sein Geheimnis.

Ebenso wie die Logik hinter einem Post vom 6. Juni des letzten Jahres. Hier sprach er von sich verdichtenden Studienhinweisen, nach denen „Long Covid oft mit andauernden Entzündungen des Gehirns“ einherginge. Als Quelle dieser angenommenen Verdichtung: eine Studie der Neurowissenschaftlerin Denise Wisser, die an genau zwei Probanden durchgeführt wurde. „Für Kenner der Materie scheint es nicht das erste Mal zu sein, dass Herr Lauterbach selektiv zitiert, um seinen Punkt zu machen“, so der Epidemiologe Klaus Stöhr damals gegenüber der Bild-Zeitung.

Ungereimtheiten in der Biografie

Wie gesagt: Eigentlich ist das Verhältnis des Bundesgesundheitsministers zur Wahrheit einzig noch als Posse zu ertragen. Ein Lachen für all die, die am Twitter-Account des Ministers immerfort das Gruseln lernen. Dabei ist die Coronakrise mit all ihren gesundheitlichen wie auch politischen Folgen alles andere als lustig. Doch Lauterbachs Geschichten betreffen auch nicht nur seine vermeintliche Studienfestigkeit in Sachen Sars-Cov-2. Auch in biografischen Dingen gibt es zahlreiche Ungereimtheiten.

So hat etwa der Tagesspiegel-Journalist Thomas Trappe bereits im Mai 2022 einige interessante Fragen in Bezug auf Lauterbachs wissenschaftlichen Werdegang sowie seine Tätigkeit am Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie aufgeworfen. Und der Autor und Journalist Thomas Kubo hat jüngst eine Artikelfolge veröffentlicht, die anhand zahlreicher Dokumente und Recherchen kleine wie große Fehler in Lauterbachs Erzählung vom eigenen Leben und Wirken nachweist.

Diese münden in einer vernichtenden These: „Karl Lauterbach ist zwar de iure Arzt, hat aber de facto als ein solcher nie gearbeitet. Karl Lauterbach nennt sich zwar Wissenschaftler, jedoch verflüchtigen sich die Nachweise für seine wissenschaftliche Tätigkeit bei genauerer Betrachtung“. Ja, man kann wirklich nur noch herzhaft lachen – derart gewaltig, dass alle Macht des Schreckens im selben Moment zu Witz und Aberwitz zerfällt. 

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