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JU NRW / Steffen Böttcher

Kampf um JU-Spitze - „Man kann die AfD enttarnen“

Nach zwölf Jahren unter Philipp Mißfelder wählt die Junge Union am Freitag einen neuen Vorsitzenden. Im Rennen um den Posten sind JU-Bundesvize Benedict Pöttering und NRW-Landeschef Paul Ziemiak. Ein Gespräch mit Paul Ziemiak über die Betäubung der JU und die konservative Krise der CDU nach dem Erfolg der AfD

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Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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Cicero Online: Wenn man sich ein engagiertes Mitglied der Jungen Union vorstellt, sieht man sofort einen schneidig lächelnden jungen Mann mit gebügeltem Hemd, V-Kragen Pullover und leicht angegeltem Scheitel. Wieso hat man eigentlich sofort einen Typus vor Augen, wenn man an die JU denkt?
Paul Ziemiak: Solche Klischees gibt es nicht nur bei der Jungen Union, sondern auch bei allen anderen Jugendorganisationen. Das macht es einfacher, Dinge in Schubladen zu stecken. Aber die Junge Union ist ziemlich vielfältig. Wir haben solche und solche Jungs und Mädels.

Jedenfalls unterscheidet sich die Junge Union der letzten Jahre von – sagen wir mal den Jusos – auch dadurch, dass sie auffallend wenig Lärm macht. Eigentlich wirkt die JU unter Philipp Mißfelder weniger wie ein Sprachrohr der Parteijugend, und vielmehr wie ein geschmeidiges Karrierenetzwerk für Politaufsteiger....
Ach, nur weil das irgendwo in den Medien steht, ist das noch lange nicht richtig. Die Lautstärke ergibt sich schon dadurch, dass wir nicht nur mehr Mitglieder als Linke und Grüne gemeinsam haben, sondern auch wesentlich mehr Mandate als alle anderen politischen Jugendorganisationen zusammen. Und zwar vor Ort, da, wo Politik gemacht wird, gerade auch für Jugendliche. Aber ich finde tatsächlich, wir sollten trotzdem lauter werden, auch innerhalb der eigenen Partei. Wobei Lautstärke für mich nicht dasselbe ist wie plumpe Kritik. Wir müssen durch Geistesblitze auffallen. Durch neue Konzepte für unsere Generation. Durch konstruktive Kritik!

Aber ist nicht selbst das alles eingeschlafen, in einer Jungen Union, die nach zwölfJahren Mißfelder ähnlich sediert ist wie die CDU nach Helmut Kohl? Wie wollen Sie als potenzieller Nachfolger den Laden wieder wachrütteln?
Mein Thema ist nicht Philipp Mißfelder, sondern die Zukunft der Jungen Union. Und dafür möchte ich, dass die JU das ganze Spektrum junger Menschen anspricht. Das heißt, nicht nur Akademiker, nicht nur Studenten, sondern auch den Azubi, der sich fragt: Wie komme ich mit meinem Gehalt im zweiten Lehrjahr über die Runden? Welche Antwort bietet die JU auf die Fragen meines Lebens?

Tatsächlich stellen sich momentan, was die Zukunft anbetrifft, nicht nur für junge CDU-Anhänger jede Menge Fragen. Statt die Infrastruktur des Landes zu reformieren, betreibt die Große Koalition aktiven Reformrückbau.
Ja, das ist tatsächlich nicht im Interesse unserer Generation. Aber wir müssen als JU dringend mehr machen, als nur die Mutterpartei zu kritisieren. Wir müssen konstruktive Vorschläge zu den Herausforderungen unserer Generation bieten, besonders auch zu den großen Fragen bei der Rente, der Sozialversicherung, der Pflege, bei den Themen Infrastruktur oder der Energiewende.

Wie zum Beispiel?
Also, um mal drei Punkte zu nennen: Wir müssen zusehen, dass ältere Arbeitnehmer, wenn sie das wollen, länger und besser in die Arbeitswelt integriert werden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir länger arbeiten. Und um das auch klar zu sagen: Das Rentensystem muss sich nach den Realverhältnissen der Arbeitswelt ausrichten, und nicht andersherum.

So wie es bei der Rente mit 63 geschehen ist.
Ja, und es geht ja nicht darum, es den Leuten nicht zu gönnen, sondern um die Frage, wer das am Ende bezahlen soll. Die ehrliche Antwort ist nämlich: Wir, die junge Generation. Deshalb sind wir unzufrieden. Dabei will ich ja nicht die Generationen gegeneinander ausspielen, und den Alten etwas wegnehmen. Es geht mir ganz im Gegenteil um ein dauerhaft gutes Miteinander der Generationen. Und um Gerechtigkeit für beide Generationen.

Die Milliardengeschenke der Koalition gehen nicht nur auf Kosten zukünftiger Generationen, das Geld fehlt bereits heute.
Natürlich, Stichwort digitale Infrastruktur. Die Bundesregierung will sie bis 2018 auf 50 MBits ausbauen, aber das ist das absolute Mindestmaß. In unserer globalisierten Welt ist es längst ein Wettbewerbsnachteil, das nicht zu haben. Und wenn wir da vorankommen wollen, müssen wir auch das Recht den Entwicklungen anpassen. Es ist irre, wie schwer wir uns zum Beispiel mit freiem W-Lan tun. Ich war neulich in Jerusalem: Da kriegen Sie in der Knesset freies W-Lan, ohne sich anzumelden. Und hier komme ich noch nicht mal in einem Motel One ins Internet, ohne Details von Kreditkarte und Personalausweis zu hinterlassen. Wir könnten da heute schon viel weiter sein, wenn ich nicht für die Nutzer meines Internets haften müsste. Ein juristisches Problem, das andere Länder nicht haben. Solange das aber so ist, wird keiner sein W-Lan öffentlich zur Verfügung stellen.

Die CDU treibt derweil ganz andere Sorgen um: Mit den letzten Landtagswahlen hat die AfD sich im deutschen Parteiensystem etabliert. Aus der Union klingt es aber immer noch so, als wäre die AfD eine durchreisende Hochstaplertruppe, und das Auffliegen ihrer Tricks nur eine Frage der Zeit. Wie sollte die Junge Union zur AfD stehen?
Ich glaube schon, dass man die AfD enttarnen kann. Diese Partei schöpft ihren Erfolg aus der Angst der Menschen. Und sie schürt selber Ängste, ohne Antworten auf die Fragen junger Leute zu geben.

Andererseits beantwortet die AfD aber offenbar auch Fragen, die in der CDU gar nicht mehr gestellt werden. Gerade beim Thema Familienpolitik, Sicherheit: An vielen Stellen wirkt das AfD-Programm wie das der CDU vor 20 Jahren. Wie will eine moderne, weltoffene CDU die Wähler am rechten Rand wieder ins Boot holen?
Es gibt sicher Dinge, die die CDU viel deutlicher sagen muss. In der Familienpolitik etwa haben wir verpasst, klar zu machen, dass wir niemals dahin kommen dürfen, den Staat für einen besseren Erzieher als die Familie zu halten. Das wäre eine klare Aussage, die ich von der CDU erwarten würde.

Wollen Sie damit sagen: Die CDU hat noch einen konservativen Kern, er wird nur nicht richtig kommuniziert? Und wie sähe ein Konservativismus aus, der AfD-Wähler tröstet, ohne antiquiert zu wirken?
Die Frage ist ja: Über was sprechen wir überhaupt, wenn wir konservativ sagen? Schauen Sie sich mal die aktuelle Shell-Jugendstudie an: Auf die Frage, ob sie sich selbst als konservativ bezeichnen würden, antworten 80 Prozent mit Nein. Die gleichen Jugendlichen antworten auf die Frage, welche Wünsche sie bis 30 erfüllt haben wollen mit: eigene Familie. Treue des Partners. Ein Eigenheim und keine Schulden. Die Welt ist so komplex geworden, Euro-Krise, Auseinandersetzungen im Irak, in Syrien und in der Ukraine, die Veränderungen in der Marktwirtschaft, Familienverhältnisse, die sich völlig wandeln. Ich glaube deshalb, dass man eine ganze Partei heute nicht mehr mit einem einzigen Label darstellen kann. Erst recht nicht eine Volkspartei.

Im letzten Jahr hat eine Gruppe junger CDU-Politiker – darunter Ihr Herausforderer Benedict Pöttering – in einem Brandbrief an die Parteispitze erklärt, der „Zeitgeist sei konservativ“ und die CDU solle die Jugend wieder mit einer „wertefundierten Haltung“ erreichen. Sie selbst gehörten nicht zu den Unterzeichnern. Weil Sie diese Zeitgeistanalyse nicht teilen?
Ehrlich gesagt: Ich bin gar nicht gefragt worden zu unterzeichnen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das getan hätte, obwohl ich wahrscheinlich konservativer bin als mancher der Unterzeichner. Papiere zu unterschreiben und Haltungen zu fordern, ist schön und gut. Aber das ist nicht mein erster Anspruch. Ich mag es konkret und nicht nur theoretisch. Also: Kaum einer kann mir mal Beispiele für diese konkrete „konservative“ Politik nennen. Was heißt das denn in der Praxis? Ist Atompolitik konservativ? Ich glaube nicht. Energiepolitik richtet sich nach zukünftigen Herausforderungen für Bürger und Industrie – und nicht nach „konservativen“ Grundwerten. Wäre es konservativ, wenn in der CDU das C wieder eine größere Rolle spielt? Für mich schon, für andere überhaupt nicht. Und wie gesagt: Die Jugend sehnt sich nach konservativen Werten und lehnt gleichzeitig den Begriff ab. So einfach ist es also nicht.

Im Gegensatz zu Pöttering hat man in den letzten Monaten öffentlich so gut wie nichts von Ihnen gehört. Es gab kaum Pressetermine, kaum Interviews. Warum waren Sie so still?
Meine Priorität war es, mit den Mitgliedern und den Verbänden zu sprechen. Ich bewerbe mich als Bundesvorsitzender der Jungen Union, und deshalb muss ich vor allem die Mitglieder von meinen Ideen überzeugen. Das habe ich ausführlich getan, und jetzt ist auch Zeit dafür, mit den Medien zu sprechen. Aber ich muss nicht mit Schlagzeilen zu Fragen, die bereits entschieden wurden, durch die Gazetten geistern, nur, um aufzufallen. Das fände ich eher unprofessionell.

Inzwischen ist ein E-Mail ihres Herausforderers öffentlich geworden, unter dem peinlicherweise noch Textpassagen seines Ghostwriters standen. Das hat Pöttering in Anspielung auf einen darin enthaltenen Kommentar den Spitznamen „Bäm-Benedict“ eingebracht. Ganz ehrlich: Da geht einem als Konkurrent doch das Herz auf, oder?
Klar nimmt man das zur Kenntnis. Das war es dann aber auch schon. Mich interessiert die Zukunft der Jungen Union und nicht mein Mitbewerber.

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