Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt teil.
Indem Spahn die SPD zum Trommeln gegen vermeintlich reaktionäre Ausbrüche treibt, führt er die Partei aufs Glatteis / picture alliance

Jens Spahn - Wie die SPD ihm auf den Leim geht

Die Rolle des Tabubrechers in der Großen Koalition ist Jens Spahn sicher. Empörte SPD-Funktionäre fordern von der Kanzlerin, den aufmüpfigen Gesundheitsminister in die Schranken zu weisen. Dabei merken sie nicht, dass eigentlich sie das Ziel von Spahns Querschüssen sind

Stephan-Götz Richter

Autoreninfo

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Jens Spahn, so sagt die SPD, ist außer Kontrolle. Die Kanzlerin möge den ungestümen jungen Mann doch bitte qua Kabinettsdisziplin in die Schranken weisen. Schließlich habe sie daran ja auch ein ureigenes Interesse. Denn immerhin müpft sich der Konservative als Kandidat zur Nachfolge der Kanzlerin auf. Das könne die Grande Dame der deutschen Politik doch nicht ernsthaft goutieren wollen.

Keine Frage, Spahn versteht sich als bewusster Tabubrecher in einer allzu tabuhaft gewordenen deutschen politischen Landschaft. Insofern führt er einem politischen Betrieb, der in Berlin am allzu strikten Glauben an die Ressortzuständigkeit zu ersticken droht, wichtigen Sauerstoff zu.

Es ist schon bezeichnend für den aktuellen Zustand der deutschen Politik, dass man sich im konservativen Lager nach Spahns Trommelfeuer seit dem Zeitpunkt der Kabinettsbildung nervöse Fragen darüber stellt, ob der Gesundheitsminister den Bogen nicht überspannt hat.

Im Antlitz dieser Nervosität ergötzt sich die SPD geradezu daran, den 37-Jährigen als Störfaktor der deutschen Politik auszumachen. Dabei hat Spahns Geschäftsmodell Provokation innerhalb der Union einen berühmten Vorläufer – Franz Josef Strauß.

Spahn treibt SPD vor sich her

Man muss ein solches Politikverständnis nicht gutheißen. Nur sollte man es umgekehrt auch nicht desavouieren. Dazu hat Stephan-Andreas Casdorff vor kurzem im Tagesspiegel alles Notwendige gesagt.

Das Fatale für die SPD ist, dass sie bei aller Entrüstung über Jens Spahn gar nicht begreift, wie er mit ihr umspringt. Denn indem er den Juniorpartner in der Koalition zum Trommeln gegen vermeintlich reaktionäre Ausbrüche treibt, führt er die Partei aufs Glatteis. 

Dies gilt insbesondere bei Themen wie einem restriktiven Kurs bei der Familienzusammenführung von Flüchtlingen. Je heftiger die SPD-Funktionäre in dieser Sache trommeln, desto mehr erreicht Spahn sein Ziel. 

Denn in Zeiten von hohen Mieten und Wohnungsknappheit ist es seitens der SPD natürlich nobel, zu argumentieren, dass man die Flüchtlinge nicht gegen sozial Schwache ausspielen sollte. Nur ändert diese Maxime nichts daran, dass manch ein SPD-Stammwähler trotzdem das Gefühl hat, seine Interessen kämen zu kurz.

Uneinigkeit in der Flüchtlingsfrage

Die Brillanz von Spahns ständigem Piesacken ist, dass er die SPD damit von außen her ganz systematisch in einen idealtheoretischen Wettbewerb mit den Grünen führt. Denn im Unterschied zu mindestens der Hälfte der SPD-Wähler sehen die Jusos und ein Gutteil der Funktionärsklasse der Partei eine großzügige Handhabe der Familienzusammenführung als Glaubensartikel an. In einer SPD, die so heftig nach Modernisierung und inhaltlicher Erneuerung strebt, gilt dies umso mehr. 

Natürlich haben einige SPD-Granden, wie etwa Manuela Schwesig, die Zeichen der Zeit erkannt und sich in dieser Frage auf einen restriktiveren Kurs begeben. Doch hindert das Jens Spahn nicht daran, die SPD auf Positionen zu fokussieren, die als Thema bei den Grünen viel besser aufgehoben sind. Denn diese vertreten in der Flüchtlingsfrage einen in sich konsistenten Kurs, was die Partei für entsprechende Wähler glaubwürdiger macht. 

Die alte Tante SPD hingegen kann nicht anders, als in einer solchen Frage heftig zu schlingern. Dazu haben sich die SPD-Funktionäre und die traditionellen Wähler der Partei einfach zu sehr auseinandergelebt.

Bloß nicht noch mehr Wähler an die AfD verlieren

Richtig verstanden, versuchen sowohl Seehofer wie Spahn mit ihrem restriktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik, die SPD vor sich selbst zu schützen. Denn es ist absehbar, dass auf Dauer betrachtet allein die Grünen in dieser Frage einen ultra-liberalen Kurs fahren werden. 

Mit anderen Worten: Die beiden konservativen Stichler sind letztlich mit dem Versuch befasst, sicherzustellen, dass die SPD nicht noch mehr Stammwähler über den Jordan schickt. Wenn die Partei dies dennoch nicht unterlassen kann, dann wollen sie wenigstens sicherstellen, dass diese ehemaligen SPD-Wähler bei der Union landen – und nicht zur AfD übergehen.

Insofern agiert Jens Spahn bei genauer Betrachtung durchaus klug. Sein Ziel ist, die SPD auf die Interessen ihrer Stammwählerschaft hin zu orientieren. 

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wolfgang spremberg | Mo., 23. April 2018 - 11:38

Geht es (fast) nur noch ums taktieren ?
Die eigentliche Aufgabe ist doch "die ganze Kraft zum Wohle des deutschen Volkes...." einzusetzen und die erheblichen Probleme zu lösen.
Wie passt das Lieblingsthema "Flüchtlinge" incl. Kosten zu Themen wie Pflegenotstand ? Altersarmut ? Kinderarmut ? Bildungsgerechtigkeit ? Prekäre Arbeitsverhältnisse ? Innere Sicherheit ? Industrie 4.0 ? Wohnungsmangel ?
Wird alles kurzfristig "ohne Obergrenze" gelöst ?
Wer glaubt denn so was ? Grüne ? sPd ? Linke (außer Sarah & Oskar) ? Dann können die Vorgenannten doch auch eine Luftbrücke zur Rettung der Welt in Deutschland vorschlagen. Warum denn nicht ? Und wegen ein par Tausend Flüchtlingen müssen wir uns doch auch nicht mit unseren Nachbarn streiten. Also : Herr Spahn soll bitte weitermachen und die Unterschiede herausarbeiten. Die nächsten Wahlen kommen bestimmt.

Johannes Reusch | Di., 24. April 2018 - 12:07

Antwort auf von wolfgang spremberg

Und zwar Unterschiede zu den Grünen mit einem Ministerpräsidenten, der nach eigenen Angaben wegen ihrer Asylpolitik täglich für Mutti betet.
Und Unterschiede zur SPD, die sich an Flüchtlingswillkommen von niemandem, auch nicht von Mutti, übertreffen lassen will und den 'Wir schaffen das'-Kurs stramm gegen diesen unverschämten Seehofer verteidigt.
Schließlich noch Unterschiede zu diesem, der aus taktischen Gründen regelmäßig dezent aufmuckt um anschließend leise einzuknicken. Zugegeben, das letzte mal hat er es leicht übertrieben. Das hat ihn sein Regierungsamt gekostet. Vollkommen gehirnerweicht sind halt doch nicht alle.
Gut, dass Minister Spahn diese ganz verschiedenen Politikansätze in der der GroKo plus Grün-Szene jetzt endlich mal aufzeigt. Sonst hätte die noch kaum einer bemerkt.

Heinrich Jäger | Mo., 23. April 2018 - 11:46

möchte ja gerne Pflegepersonal aus Osteuropa anwerben um dem deutschen Pflegenotstand zu begegnen ,das diese Länder vielleicht selber alte Menschen haben die gepflegt werden müssen kommt ihm dabei nicht in den Sinn .
Den Gedanken zu äußern ,die Zugereisten aus dem arabisch afrikanischen Raum dahingehend zu qualifizieren alte Menschen zu pflegen, hat er sich natürlich nicht getraut, da diese Leute ja keine Ungläubigen pflegen würden, wäre ja völlig unzumutbar. Spahn ist für mich kein Hoffnungsträger, sondern auch nur ein typischer Vertreter der Fraktion weiter wie bisher.

Ralph Lewenhardt | Mo., 23. April 2018 - 12:29

Dieser Artikel verdeutlicht die demokratische Sackgasse in die sich Deutschland nebst Spahn immer tiefer hineinmanövriert. Sie halten die derzeitge Demokratiegesetze als von Gott gegeben. Dabei haben diese Parteien in vielem derzeit nicht einmal mehr den Segen des Grundgesetzes und schon gar nicht von Mehrheiten seines Souveräns.

Joachim Wittenbecher | Mo., 23. April 2018 - 13:11

Jens Spahn spielt eine Doppelrolle: Gesundheitsminister im Kabinett Merkel und konservativer Provokateur in der CDU; dieses Spiel ist riskant, denn Jens Spahn ist als Bundesminister ein Neuling auf Bewährung. Wenn er sich in seinem Fachressort wesentliche Fehlleistungen erlaubt, wird es für ihn wegen der gleichzeitigen Rolle als konservativer Themensetzer sofort existenzbedrohend für die politische Karriere. Es wäre besser, Jens Spahn wäre zuerst als Gesundheitsminister erfolgreich. Mit der erworbenen Reputation könnte er dann glaubhafter geistiger Vordenker sein. Glatteis birgt immer die Gefahr des Sturzes.

Volkmar du Puits | Mo., 23. April 2018 - 13:30

...geht einem nicht mehr nur diese verlogene Politik (ich schenke mir jetzt mal den Beweis) auf den Beutel sondern auch die Deutung dieses oder jenes Fürzchens dieses oder jenes Exponenten durch diesen oder jenen "Experten". Ich möchte eine andere Politik. Geistreiche Kommentare zum Untergang helfen niemandem.

Jacqueline Gafner | Mo., 23. April 2018 - 15:27

wer das nicht realisiert oder sich als Berufspolitiker daran stösst, sollte über einen Job-Wechsel nachdenken. Zum Problem wird die Trommlerei erst dann, wenn sich die Politik darin erschöpft. Und diesen Eindruck hat man zunehmend, gerade auch bezogen auf Deutschland. Will man dem Artikelverfasser glauben, dient die mit CDU-Minister Spahn besetzte "Rolle des Tabubrechers in der Großen Koalition" im Endeffekt dazu, der AfD nicht weitere Wähler in die Arme zu treiben, namentlich keine der SPD, deren Funktionäre die Zeichen der Zeit in der Flüchtlingsfrage mehrheitlich nicht adäquat zu lesen verstehen. Und damit hat es sich dann und lösen sich die einschlägigen Probleme in Luft auf? Zweifel sind angebracht. "Taten statt Worte" dürfte die Erwartungshaltung der breiten Bevölkerung vermutlich besser treffen als wählertaktisch motivierte Spielchen der regierenden "Not-Gemeinschaft", hinter der bestenfalls noch die Hälfte des bundesdeutschen "Fussvolkes" steht.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 23. April 2018 - 15:33

SPD zutun?
Ich gehe davon aus, dass er Politik als ambitionierter CDU-Mann macht.
Wahrscheinlicher ist doch, dass Teile der SPD Andrea Nahles jetzt in eine frühe Konfrontation mit Spahn und Seehofer, eher nicht mit Merkel treiben wollen, um Nahles zu verschleissen?
Denn das wäre doch wohl nicht die Erneuerung der SPD, in der CDU Streit zu schlichten?
Nahles ist mit ziemlich schlechtem, aber erwartbarem Ergebnis gewählt worden.
Es wird für sie in der SPD keine Ruhe geben, die hat man Schulz auch nicht gegeben.
Zum Schluss steigt dann wie Phoenix aus der Asche... überlege das jeder für sich selbst.
Mir ist das Koalitionspapier wichtig, dass die SPD massgeblich mit Schulz´ Kraft erarbeitet hat.
Es lohnt sich, dies abzuarbeiten, statt jetzt unsinnig Nahles zu verheizen, nur um dann bei Neuwahlen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, denn halten wir vlt. fest, manche Leute sind zu alt und deren Protegés alleine nicht stark genug?
Nur mal überlegt
Politik statt Kindergarten

Piotr Mordel | Mo., 23. April 2018 - 15:55

Richtige Diagnose: es geht nicht um die Sache, es geht nur um die Macht. Die Grünen, SPD wollen sich als „Humanisten“ präsentieren nur um eigenes Publikum zu befriedigen und CDU macht beides, Immigration begrenzen aber auch „wir schaffen das“. Traurig, denn zwischen solchen Spielen bleibt die Zukunft des Landes auf der Strecke. Der neuste Beispiel die gender-konforme Dorothee Bär. Eine Politologin! Wie soll sie Digitalisierung vorantreiben wenn sie davon wenig Ahnung hat. Egal, Hauptsache, dass es Politisch gewollt ist, selbst wenn zum Scheitern verurteilt. Ist die Alternative eine richtige Alternative ;)

Heidemarie Heim | Mo., 23. April 2018 - 17:37

Jede Woche ein "Zäpfchen" für den GROKO-Patienten, und als Nebenwirkung in 100% der Fälle "die" Ablenkung von eigenen Resort-Problemen. Vom Gesundheitsminister kein Wort zum Tabuthema Kostenrelevanz von Flüchtlingshilfe ausschließlich zu Lasten der GKV, oder deren über 10 Jahre "gestreckten" Einnahmequellen aus Altersvorsorgen der gesetzlichen Rentner wie Lebensversicherungen usw. Betrifft dynamische, gutverdienende und somit privat versicherte Jungpolitiker ja nicht. Eben sowenig wie die von der Durchschnittsrente unbezahlbare wie gehobene Senioren-Residenz oder der Gesundungsprozess, der während der halbjährigen Wartezeit auf den Facharzt Termin hoffentlich einsetzt, oder auch nicht;-(
Von solchen "Lästigkeiten" am Hacken würde doch jeder ablenken wollen? indem er mittels Supp.-Applikation dem Partner bei seinen politischen Verdauungsbeschwerden helfend zur Hand geht;-) PS: Bei Übelkeit aufgrund "alternativem Syndroms" empfiehlt sich die Einnahme von H1-Antihistaminika!

Renate Genth | Mo., 23. April 2018 - 18:28

Ich habe eher den Eindruck, daß Spahn durchaus folgerichtig dem eigenen Kompaß folgt. Immerhin scheint er einen zu haben im Gegensatz zu den meisten Politikern. Nach dem, was ich seit ein paar Jahren wahrgenommen habe, ist er einer der wenigen Politiker, die noch substantielle Ziele haben. Er hat für die Zukunft durchaus das Vermögen zur Kanzlerschaft. Zur Zeit läuft er sich warm. Wenn er jetzt noch zum Konservatismus und Liberalismus Ansätze zur katholischen Soziallehre aufnähme (Renten,etc.), könnte er die Tradition der CDU als Volkspartei wiederbeleben. Es ist abzuwarten.

Nils Dankert | Mo., 23. April 2018 - 18:40

Herr Spahn mimt für die wichtigste Wählergruppe, nämlich die Rentner, den Erneuerer und jugendlichen Prinzen. Dafür wurde er geholt und das liefert er nun auch, soweit die Anpassung an den Vorstand es möglich macht.

Brigitte Graetz | Di., 24. April 2018 - 18:49

Antwort auf von Nils Dankert

Ich möchte Ihnen dahingehend widersprechen als das der deutsche Rentner Lebenserfahrung, mehr Durchblick als die junge Generation und es schon großer Anstrengungen bedarf um ihn aufs Glatteis zu führen und das schafft Jens Spahn sicher nicht.

Klaus Eckhard | Di., 24. April 2018 - 09:02

Nichts wird in der Bevölkerung so heftig diskutiert wie die Migration. Dies als Tabubruch zu bezeichnen, erchließt sich mir nicht. Mit der Migration zusammenhängende Fragen m ü s s e n diskutiert werden: offene Grenzen, Familiennachzug, Islam, Kriminalität, Kitas, Schulen, und nicht zuletzt die Auswirkung auf die Sozialsysteme. Hier ist meine Haltung ganz klar: schon aus Gründen der Gerechtigkeit und der
entstehenden Sogwirkung kann die Versorgung der Migranten nicht dasselbe Niveau haben, sprich zu deutsch die Zahlungen an Migranten müssen geringer sein, als an die, die ins System eingezahlt haben. Man muss kein Rentenexperte sein um zu wissen, wann die Kassen leer sind; es braucht dazu nur einen Taschenrechner.

Manfred Bohn | Di., 24. April 2018 - 20:52

Spahn ist an den Landesinteressen nicht interessiert. Sein Ansinnen es ist, von der Ökonomisierung aller Lebensbereiche über die politische Bande persönlich zu profitieren (siehe seine Beratungsfirma in Sachen Steuerrecht als Staatssekretär im Finanzministerium; in einem normalen Land wäre da finito gewesen).

Dieser von wenig moralischen Hemmungen geplagte Mann mimt den Konservativen. Den Leuten das Gefühl zu geben - denn mehr ist es nicht - die CDU vertrete ihre Interessen. Mit dem alleinigen "Beweis", dass die Freaks aus den Siechparteien über die CDU fluchen, das heißt eigentlich nur über Herrn Spahn, denn das Merkel-Milieu steht ihnen ja innerlich nahe.

Wenn ein Ruchloser wie Spahn die CDU damit erfolgreich sanieren können sollte, dass er die Stimmen der Opposition entlang von Buhrufen der Freaks auf die Mühlen der Zyniker leitet, dann weiß man Bescheid. Den siechen Liberalismus vor den Rechten retten, indem man die Linksliberalen ein bisschen provoziert. Klappt womöglich.