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Hohenschönhausen - „Die Täter klammern sich an ihre Lebenslüge“

Eine neue Ausstellung der Gedenkstätte Hohenschönhausen soll Einblick in die Arbeitswelt des Gefängnispersonals gewähren. Doch die Täter von damals blockieren jegliche Annäherungsversuche, formieren sich im Internet und protestierten sogar schon vor den Gefängnismauern

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Oettingen, Antonia

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Kurz nach der Wende begegnet Gilbert Furian seinem ehemaligen Peiniger auf einer Rolltreppe im Einkaufszentrum am Alexanderplatz. Zum ersten Mal sieht Furian jenes Gesicht, das sich so genau in sein Gedächtnis eingebrannt hat, außerhalb der Gefängnismauern. Monatelang hatte er es angestarrt. In stundenlangen Verhören musste er immer wieder dieselben Fragen beantworten. Weil er Interviews mit DDR-Punkbands im Bekanntenkreis verbreitet hatte, wurde Gilbert Furian 1985 nach zwanzig Jahren in der „operativen Personenkontrolle“ zu zwei Jahren Haft im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen verurteilt. 

Hohenschönhausen, ein weißer Fleck auf der DDR-Karte, war einst das bestgehütete Geheimnis der Staatssicherheit. Hier wurden politische Gefangenen verwahrt. In Potsdam gab die Stasi Unterricht in „operativer Psychologie“. Das Ziel: die Insassen gefügig zu machen. Sie sollten als linientreue, gebrochene Charaktere wieder entlassen werden. Es war auch ein Zeichen der Abschreckung an potenzielle politische Nachahmer, wie eine neue Dauerausstellung in der Berliner Gedenkstätte zeigt. Die Schau trägt das Motto „Gefangen in Hohenschönhausen: Zeugnisse politischer Verfolgung 1945 bis 1989“.

Als Furian seinen ehemaligen Vernehmer im Kaufhaus erkennt, dauert es einige Sekunden, bis er sich von der Schockstarre befreien und ihm folgen kann. Am Wühltisch konfrontiert Furian ihn, tippt ihm von hinten auf die Schulter. Er dreht sich um und begrüßt den ehemaligen Insassen wie einen alten Freund: Gilbert!

Die Rollen sind vertauscht


Einige Zeit nach dieser Entdeckung steht Gilbert Furian in der Wohnung seines ehemaligen Peinigers, mit Mikrofon und Schreibblock. Eine „subtile Form der Rache“ nennt der elegant gekleidete Mann das mit einem leichten Schmunzeln. Furian arbeitet an einem Buch, in dem politische Häftlinge ebenso wie ihre Verfolger zu Wort kommen sollten. Der Kontakt zwischen den beiden Männern bricht bis zum Tod des Vernehmers im vergangenen Jahr nicht ab.

Furian gibt regelmäßig Führungen durch Hohenschönhausen. Er sagt, sein ehemaliger Vernehmer sei stets bereit gewesen, Fragen zu beantworten – und auch, aus seinen Fehlern zu lernen. Damit sei er eine Ausnahme gewesen. 

Normalerweise gibt es keinen Kontakt zwischen ehemaligen Häftlingen und Gefängnismitarbeitern, erklärt eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte. Informationen über die Welt der Opfer gibt es reichlich: Viele der ehemaligen Insassen geben Führungen durch das Gefängnis, haben ihre Erlebnisse zu Papier gebracht. Doch die Welt der Täter bleibt unterbeleuchtet. Die vielen Annäherungsversuche von Seiten der Gedenkstätte werden bestimmt zurückgewiesen.

Dabei gibt es viele offene Fragen. Es ist nicht einmal genau bekannt, wie viele Häftlinge insgesamt in Hohenschönhausen eingesperrt waren. Die Historiker stehen bei ihren Recherchen noch ganz am Anfang. Ohne die Hilfe ehemaliger Gefängnisangestellter ist es ein beschwerlicher Weg. Zu viele Akten wurden zerstört.

Neue Ausstellung beleuchtet Täterwelt


In der Ausstellung ist dennoch gelungen, einen kleinen Einblick in das Arbeitsleben der Täter zu gewähren. Eine Datei führt einige der Gefängniswärter mit Lebenslauf und Führungszeugnis auf. Immerhin: Ein früherer Mitarbeiter hat sich einmalig für die Ausstellung dazu bereit erklärt, Auskunft zu geben.

Die Räume des ehemaligen Gefängnisleiters sind für die Ausstellung originalgetreu rekonstruiert worden. Siegfried Rataizick hat Hohenschönhausen in den siebziger und achtziger Jahren geführt. Heute wohnt er, wie so viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter, immer noch in unmittelbarer Nähe. Er möchte nichts mit der Gedenkstätte zu tun haben. Er findet, man verbreite dort Unwahrheiten. Aus der Gedenkstätte heißt es, man treffe Rataizick gelegentlich bei Lidl um die Ecke. Unangenehm seien diese Begegnungen.

Eine ältere Anwohnerin gibt nur widerwillig Auskunft zu den früheren Vorgängen in ihrem Viertel. „Damals hat sich niemand an dem Gefängnis gestört“, sagt sie. Heute aber geschehe Unheil: „Denn es werden Lügen verbreitet innerhalb der Mauern.“ Sie hat die Gedenkstätte noch nie besucht und habe es auch nicht vor, erklärt sie.

Mit dieser Meinung steht die Dame nicht alleine da.

Im Internet formiert sich der Protest. Gelegentlich marschieren ehemalige Gefängnismitarbeiter vor den Mauern der Gedenkstätte auf. Die Täter berufen sich stets auf DDR-Gesetze, beharren darauf, diese nicht gebrochen zu haben. Sie scheinen sich gegenseitig in ihrem Glauben zu bestätigen, erpicht darauf, ihre Version der Wahrheit am Leben zu halten.

Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit erklärte ihr Verhalten am vergangenen Freitag für beschämend: „Die Täter von einst haben nichts gelernt und agieren dreist in der Öffentlichkeit. Das geht an die Schmerzensgrenze."

Bekehrungsversuch zwecklos


Norbert Krebs war 1989 für sechs Wochen in Hohenschönhausen inhaftiert. Er hatte Anzeige gegen die DDR-Führung wegen Wahlfälschung gestellt. Bereits in der Schule war Krebs aufgefallen: In Gegenwart seiner Lehrerin hatte er die DDR als „Marionettentheater“ bezeichnet. Vor etwa zehn Jahren kam der gelernte Koch das erste Mal zurück nach Hohenschönhausen, dem Ort des Grauens, an dem er mit psychologischen Maßnahmen systematisch zersetzt werden sollte. Heute arbeitet er in der Kantine der Gedenkstätte und gibt regelmäßig Führungen durch das Gefängnis. „Mich wundert es nicht, dass die Täter von damals weiter die Vergangenheit verklären, sich an ihre Lebenslüge klammern“, sagt Krebs.

Die älteren Menschen jetzt noch bekehren zu wollen, hält er für zwecklos: „Sie haben ihre Welt damals anders gesehen und werden sie auch heute noch anders sehen wollen.“ Der 55-Jährige mit dem bunten Schal wirkt, als hätte er ein wenig Mitleid mit den Tätern von damals. Ein DDR-Lebenslauf sei in erster Linie auf das Umfeld zurückzuführen, sagt Krebs. Er habe das Glück gehabt, von einer kritischen Mutter erzogen worden zu sein. Eine Menge zu verdanken habe er ihr, denn sie habe ihm damals immer eingetrichtert: Nur wer ehrlich ist, dem kann man die Ehre nicht nehmen. 

So räumt Krebs auch bei den Witwen der Stasi-Männer, deren Häuser direkt neben seinem stehen, den Schnee von der Einfahrt weg. Es kommt vor, dass sie ihm ein Abzeichen der verstorbenen Männer vorbei bringen, vielleicht als Zeichen der Wiedergutmachung. Doch über die Vergangenheit reden wollen sie nicht.

Begegnung mit akzeptierender Distanz


Krebs hat gelernt, mit den systemtreuen Menschen aus der alten Welt umzugehen. Ihm wurde wohl schnell klar, dass sie immer ein Teil seines Lebens bleiben würden. Nicht nur, weil sie sich in sein Gedächtnis eingebrannt haben, sondern auch, weil sie Teil seines Alltages sind.

Einmal ging Krebs mittags mit einem Kollegen der Gedenkstätte zum Fleischer um die Ecke. Dort begegnete er einem ehemaliger höheren Stasi-Offizier an einem Stehtisch. Der frühere Insasse fragte ihn: „Na Genosse, dürfen wir uns zu Ihnen stellen?“

Dauerausstellung: „Gefangen in Hohenschönhausen: Zeugnisse politischer Verfolgung 1945 bis 1989“
Öffnungszeiten: täglich von 9 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

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