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Christoph Busse

SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig in Sachsen - Daddy Cool

Martin Dulig führt in Sachsen die erfolgloseste SPD der Republik in den Wahlkampf. Aber der sechsfache Vater hat eines gelernt: Schlamassel kann auch glücklich machen

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Bevor er in sein Politikerleben aufbricht, holt sich Martin Dulig – weißes Hemd, dunkle Anzughose, Pantoffeln – noch einen Becher Kaffee. Das Zimmer ist vollgestellt, Klavier, Klarinette, Trompete, mehrere Flöten, eine Geige, eine Nähmaschine. Aber Frau und Kinder haben jetzt, um kurz nach neun, das Haus in Moritzburg bei Dresden längst verlassen. Alles ruht. Dulig setzt sich an den Esstisch, es ist der Familientisch und der Mittelpunkt in seinem Leben. Der Große schreibt heute Abitur, er hat eine Klasse wiederholen müssen, aber danach lief es. Der Vater atmet durch und trinkt seinen Kaffee.

Martin Dulig hat erlebt, wie aus einem Schlamassel Großartiges entstehen kann


In fünf Minuten kommt der Fahrer. Dulig, Chef der SPD im sächsischen Landtag, hat ein Dienstauto mit bequemen Sitzen. Und die unbequeme Aufgabe, den erfolglosesten Landesverband der SPD in den Wahlkampf zu führen.
Dass er sich, 40 Jahre alt, dieser Aufgabe gewachsen fühlt, hat mit seinem Leben zu tun. Als er 15 war, wurde sein Bruder bei einer Demonstration in Dresden verhaftet und in das Bautzener Gefängnis gebracht, das „gelbes Elend“ genannt wurde. Nur wenige Monate später erfuhr Martin Dulig, dass eine 18-Jährige aus dem Nachbarort ein Kind von ihm erwartet. Zwei schwere Wochen brauchte er, bis er den Schock verarbeitet hatte. Mit der Frau ist er inzwischen seit über 23 Jahren zusammen. Ist die Familie komplett, sitzen zwei Töchter und vier Söhne um den Esstisch in Moritzburg.

Dulig hat also erlebt, dass aus einem Schlamassel etwas Großartiges entstehen kann. Das ist sein Vorteil. „Wenn man stark belastet ist, lernt man zu sortieren: Wichtig, unwichtig, wichtig.“ Sortieren kann nur, wer gelassen bleibt. Duligs Gelassenheit ist nicht dickfellig, sondern beobachtend. Bevor er antwortet, reagiert erst sein Gesicht. Mal zieht er den linken Mundwinkel hoch, das wirkt selbstironisch. Mal kneift er die Augen zusammen, das wirkt hart.
Die Landtagswahl ist am 31. August. In Sachsen herrscht die CDU, seit Kurt Biedenkopf sie nach der Wende zur Königspartei stilisierte, zurzeit regiert Stanislaw Tillich. Wer gegen die CDU ist, wählt gern die Linke. Beide Parteien brachten aus der DDR ihre alten Strukturen mit, die SPD hatte keine. Zwischen CDU und Linke sucht sie ihren Platz, aber der Spalt ist eng. 1999: 10,7 Prozent, 2002: 9,8 Prozent, 2009: 10,4 Prozent.

„Mir geht das Ostgeseiere auf den Keks“


Rechts neben der Autobahn sind alte Tagebaukräne zu sehen, Dulig sitzt hinten im Auto, er hat Termine in Leipzig. Ist Regierungschef sein Ziel? – Linker Mundwinkel hoch. „Mein Ziel ist eine starke SPD.“ – Ganz schön kleinlaut. – Schmale Augen. „Ich will regieren.“ – Aber unter Stanislaw Tillich als Ministerpräsidenten! – Mundwinkel hoch, Mundwikel runter, schmale Augen. „Das ist ein Typ, der Konflikten konsequent aus dem Weg geht. Ecken und Kanten hat er nicht.“

Dulig, Diplompädagoge, bimst den Sozialdemokraten ein, dass es nicht so sehr aufs Programm ankommt. Sondern auf die Haltung zu sich selbst und zum Land. Bisher hat die SPD geschimpft, wie ungerecht es in Sachsen zugehe. Aber die Sachsen, ein stolzes Völkchen, wollen das nicht hören. Auch die SPD soll stolz auftreten, verlangt Dulig. Immerhin wurde die Sozialdemokratie einst in Sachsen begründet. In der Ost-SPD steckt jedoch der Schmerz der Bürgerrechtler: Sie kämpften für die Freiheit, gewählt wurde Kohl. Dulig ist zwar auch ein Neunundachtziger. Aber für ihn war 1989 nicht der Höhe-, sondern ein Anfangspunkt. „Es gibt eine neue ostdeutsche Generation, die erfolgreich Politik macht“, sagt er. „Keiner wird aus Mitleid gewählt. Mir geht das Ostgeseiere auf den Keks.“

Er redet in Hauptsätzen. Ich bin Sozialdemokrat. Sachsen ist toll, Leipzig saucool. Die CDU verwaltet das Land nur. Wir kümmern uns um die Zukunft.

Duligs Problem: Für Rot-Rot-Grün fehlt ein Linken-Chef wie Bodo Ramelow


Das ist banal und begründet noch keinen Platz im Parteienspektrum. Die einzige Chance ist der Kandidat, so personalisiert die SPD wie nie. 15 Prozent wären ein Erfolg. Und dann? Für Rot-Rot-Grün fehlt ein Linken-Chef wie Bodo Ramelow in Thüringen, den die schwächere SPD getrost zum Regierungschef wählen könnte. Bliebe die Rolle als CDU-Juniorpartner. „Meine SPD-Mitglieder sollen nach der Wahl den Koalitionsvertrag beschließen“, sagt Dulig. „Sigmar Gabriel hat einen Standard gesetzt, hinter den wir in Sachsen nicht zurückfallen wollen.“

„He, Martin!“ In Leipzig fliegt die Tür zum Zimmer des Polizeipräsidenten auf. Bernd Merbitz führt Dulig zur Sitzgruppe, sie wollen über Rechtsextremismus und Crystal Meth sprechen, sie kennen sich von der Arbeit gegen rechte Gewalt. Der Polizeichef ist ein wuchtiger Mann mit schlauem Blick. Früher SED, heute CDU. Er hat Macht, aber er weiß, dass die Regierenden seinen Spielraum bestimmen. Er schiebt sich die Brille ins Haar, feixt, scherzt, gluckst, nennt irgendjemanden „Rollmops“. Dulig fragt nur, notiert, beobachtet. Wichtig. Unwichtig. Wichtig. Der Polizist will sich den Raum greifen, aber Dulig nimmt ihn ein, ganz cool. Er ist der Chef. Was ist schon so ein Polizeipräsident gegen sechs Kinder am Tisch?

„Martin“, schmeichelt Merbitz in der Tür, „das gibt ’ne gute Koalition.“

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