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Haushalt - Schwarze Null und rotes Nullkommanix

Die Schuldenbremse ist die Antwort auf ein strukturelles Problem der Finanzpolitik. Nun soll sie zu Gunsten kurzfristiger konjunktureller Ziele wieder gelockert werden. Das hat fatale Folgen

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Dieter Rulff ist freier Autor in Berlin.

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Selten waren Politiker realistischer in der Einschätzung des eigenen Unvermögens: Kaum war 2009 die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert, gingen in einer repräsentativen Umfrage der Uni Mannheim die Hälfte der befragten Parlamentarier davon aus, dass diese nicht eingehalten werde. Diese erfahrungsgesättigte Skepsis galt nicht allein den chronischen Defizitsündern unter den Ländern – zu Bremen und Berlin, zum Saarland und zu Nordrhein-Westfalen fiel die Prognose noch schwärzer aus – sondern auch dem Bund.

Zwei Jahre, bevor die „schwarze Null“ festgeschrieben ist und wenige Wochen, nachdem  Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dieses Ziel zu einem vorzeitig erreichten erklärt hat, mehren sich nun die Stimmen, die aus der Prophezeiung der Parlamentarier eine sich selbst erfüllende machen wollen. Mit dem Diktum, die schwarze Null sei eben keine sozialdemokratische Null, hat der um eine Zuspitzung nie verlegene stellvertretende Vorsitzende der SPD, Ralf Stegner, dem seit Monaten aus dem Euroraum rüberschwappenden Wabern um Sinn und Unsinn der Schuldenbremse eine parteipolitische Kontur gegeben. Das werde, so assistierte Vorstandsmitglied Carsten Sieling, in weiten Teilen der SPD so gesehen.

Gegner der schwarzen Null im Aufwind


Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Yasmin Fahimi schritten sofort ein. Schließlich ist die schwarze Null das einzige Prestigeprojekt des Koalitionspartners, bei dem die SPD wegen Rente mit 63, Mindestlohn und Frauenquote in der Kreide steht. Nach Gabriels Kalkül soll die Union ihr geliebtes Projekt wenn schon selbst begraben und damit Glaubwürdigkeit verlieren. „Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinerlei Grund, vom Kurs einer schwarzen Null und dem Ziel einer Haushaltskonsolidierung abzuweichen“, verkündete Fahimi rasch nach Stegners Äußerung.

Welcher Zeitpunkt, der näher an dem in der Verfassung festgelegten ist, günstiger wäre, bleibt ebenso offen, wie die Haltung der SPD. Da sie seit Jahren zuverlässig ihr eigener schwerster politischer Gegner ist, ist davon auszugehen, dass die Kontroverse in den kommenden Monaten anhalten und auch Grüne und CDU/CSU ergreifen wird. Denn auch bei ihnen sind derzeit die Schweiger beredter als die mageren Stimmen der Verteidigung der Verfassungslinie.

Die Opponenten bekommen Aufwand durch die sich verschlechternde binnenwirtschaftliche Konjunkturentwicklung und den Druck der Euro-Partner, die unter ihrer miserablen wirtschaftlichen Lage ächzen und deren Regierungen um ihre jeweilige Mehrheitsfähigkeit bangen, wenn sie nicht ihren Wählern zügige Besserung versprechen. Die Prognose des nationalen Wirtschaftswachstums für das laufende Jahr wurde mittlerweile auf 1,2 Prozent nach unten korrigiert. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel stand Deutschland im Fadenkreuz eines wirtschaftspolitischen Mainstreams von IWF, EZB und Euro-Partnern, der sich der zunehmenden Unterstützung maßgeblicher Wissenschaftler und Publizisten sicher sein kann.

Das Deficit Spending und ein Schuldenstand von 80 Prozent des BIP


Dass eingefleischte Keynesianer, wie der Vorsitzende des gewerkschaftsnahen Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung Gustav Horn, seit Jahr und Tag gegen die Schuldenbremse anrennen, überrascht nicht. Verwunderlicher ist schon, dass vermehrt angebotsorientierte Vertreter der Zunft auf diesen Kurs einschwenken. So erklärte Ferdinand Fichtner, der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bei der Vorstellung des Herbstgutachtens der Institute, dass er „die schwarze Null aus ökonomischer Sicht derzeit nicht für angebracht“ halte.

Da stellt sich die Frage, wann sie je angebracht war. Die anschwellende Kritik an der Schuldenbremse basiert auf einem kurzen Gedächtnis und frönt einer kurzatmigen Politik. Denn was nun der Bundesregierung angeraten wird, ist genau die Politik, die die Einführung der verfassungsrechtlichen Selbstfesselung notwendig gemacht hat. Über Jahrzehnte war das Deficit Spending das probate Mittel, wenn es galt einer lahmenden Konjunktur auf die Sprünge zu helfen. Mit der gleichen Regelmäßigkeit wurde „vergessen“, Phasen des konjunkturellen Hochs zum Defizitabbau zu nutzen.

Die Konsequenz ist bekannt: ein staatlicher Schuldenstand, der bei achtzig Prozent des Bruttoinlandproduktes liegt – eine enorme Schuldenbelastung der öffentlichen Haushalte und damit eine Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit. Und die Schulden wachsen weiter.

Die Kostenlawine kommt zwischen 2030 und 2035


Der diskretionäre Anteil des Bundeshaushaltes, also die Summe, die nicht bereits für rechtliche Verpflichtungen und Schuldendienst verbucht ist, ist von knapp 40 Prozent zu Zeiten Willy Brandts auf nunmehr circa 20 Prozent gesunken. Fiskalpolitik wird damit zu einer dauerhaften Krisenpolitik. Die Einführung der Schuldenbremse 2009 war sozusagen eine verfassungsrechtliche Notbremse, um künftigen Politikergenerationen wenigstens noch ein Minimum an Gestaltungsraum zu lassen.

Sie werden ohnehin Mühe haben, diesen zu sichern. Denn mit dem demografischen Wandel, mit dem Anwachsen der Beamtenpensionen und Rentenansprüche, kommt eine Kostenlawine auf die Haushalte zu, die ihren Höhepunkt zwischen 2030 und 2035 erreichen wird. Im Jahr 2009 betrugen die Rückstellungen, also die erwarteten Verbindlichkeiten für die Versorgung der Bundes- und Länderbeamten 55 Prozent des BIP. Alleine für die Beamten beim Bund wurden im vergangenen Jahr 487,1 Millarden Euro veranschlagt. Gleichzeitig wird es wegen des demografischen Wandels schwieriger werden, diese Kosten durch zusätzliche Einnahmen zu decken. Es wäre also angesagt, für diese absehbare Entwicklung Vorsorge zu treffen, wie dies beispielsweise der DGB mit dem Aufbau einer Rentenreserve vorgeschlagen hat.

Eine Finanzpolitik, die tatsächlich nachhaltig sein will, dürfte es folglich nicht bei einer schwarzen Null belassen. Sie müsste zudem diese Vorsorge einkalkulieren. Und sie müsste außerdem die Vermögensbestände des Staates im Blick haben, den Zustand der öffentlichen Infrastruktur, die über Jahre hinweg verrottet ist und den Stand des Geldvermögens, das den Schulden gegenübersteht. Es ist ein Umstand, auf den der Bundesfinanzminister nur ungern die Aufmerksamkeit lenkt, wenn er seine Bilanzen präsentiert: Zwar hat er das Haushaltsdefizit auf null reduziert, zugleich ist aber das Nettovermögen des Staates, das 1991 noch bei 52 Prozent des BIP lag, auf mittlerweile 1 Prozent zusammengeschmolzen.

Wollte Schäuble den expliziten und impliziten Verbindlichkeiten in seiner Finanzpolitik Rechnung tragen, so müsste er nicht nur mit der schwarzen Null die Kluft zwischen den staatlichen Ausgaben und Einnahmen schließen, sondern die darüber hinausgehende Tragfähigkeitslücke, in deren Berechnung auch die in den kommenden Jahren sicher zu erwartenden Haushaltsbelastungen eingehen, berücksichtigen. Diese Tragfähigkeitslücke wird  in seinem Haus auf 0,6 bis 3,1 Prozent des BIP veranschlagt. Ersteres bei einer optimistischen, Letzteres bei einer realistischen Betrachtung der weiteren Entwicklung. Im Klartext: Statt einer schwarzen Null müsste eigentlich mindestens 1 Prozent des BIP im Grundgesetz festgeschrieben sein, um eine tragfähige Finanzpolitik sicherzustellen.

Zwei Möglichkeiten, die Tragfähigkeitslücke zu schließen


Die Tragfähigkeitslücke lässt sich nur schließen, indem die Einnahmen erhöht oder die Ausgaben gesenkt werden. Beide Varianten sind konfliktträchtig. Ausgabensenkungen, z.B. durch Effizienzsteigerungen der öffentlichen Verwaltung, zeigen in der Regel eher mittelfristig Wirkung, Steuererhöhungen stoßen, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, auf den hinhaltenden Widerwillen der Bürger. Da ist es zweifelsohne risikoloser, auf den ausgetretenen Pfad der Schuldenpolitik zurückzukehren – zumal wenn die Schritte keynesianisch als Nachfrageförderung verbrämt und standortpolitisch als Investitionsprogramm verkauft werden können. SPD-Vize Stegner wird denn auch nicht müde, sein Plädoyer für Neuverschuldung als Win-Win-Konstellation anzupreisen. Doch haben solche Maßnahmen, wie zuletzt die Konjunkturpakete 2008 gezeigt haben, erhebliche Streueffekte und zeitigen, wenn sie tatsächlich investiv sind, eher mittelfristig Wirkung.

Werden sie ergriffen, so dürfte der konjunkturelle Effekt in einem Missverhältnis zum Aufwand stehen. Wird zu diesem Zweck gegen den gerade beschlossenen haushaltspolitischen Verfassungsgrundsatz der Schuldenbremse verstoßen, so wird die schwarze Null künftig allenfalls noch den Grad seiner Wirksamkeit beschreiben. Dafür wird die Ausstrahlung auf die übrigen Staaten der Eurozone umso nachhaltiger sein: Wenn selbst das stärkste Glied in der Kette seine Defizitregeln nicht einhält, kann getrost ein Jeder sie nach seiner Façon handhaben. Am deutschen Umgang mit der Schuldenbremse und dem EU-weiten mit dem französischen Staatsdefizit wird sich in den kommenden Wochen die Perspektive des Kontinents mehr ablesen lassen als an allen vergangenheitspolitischen Beschwörungen.      

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