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(picture alliance) Vor einem Jahr wurde in NRW der rot-grüne Koalitionsvertrag unterschrieben – Zeit für eine Zwischenbilanz.

Rot-Grün in NRW - Hannelore Kraft und die Sorgenkinder

Vor einem Jahr wurde Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens gewählt. Die ersten Hürden hat sie mit Unterstützung der Linkspartei gemeistert.  Doch jetzt stehen Kraft und ihre rot-grüne Minderheitsregierung vor neuen großen Herausforderungen.

Die Erleichterung war Hannelore Kraft anzusehen.  Als die rot-grüne Landesregierung am 18. Mai ihren Haushalt durch den Düsseldorfer Landtag gebracht hatte, konnte die Ministerpräsidentin endlich aufatmen. Die rot-grüne Minderheitsregierung hatte mit Hilfe der Enthaltung durch Enthaltung der Abgeordneten der Linkspartei  ihre bislang größte Herausforderung gemeistert.  Wäre der Haushalt gescheitert, hätte dies nur zu Neuwahlen führen können. Und an einem vorzeitigen Urnengang haben, abgesehen von den Grünen, derzeit keine im Landtag vertretene Partei Interesse. Denn alle würden dabei verlieren. Aktuellen Umfragen zufolge würden Linke und FDP nicht wieder in den Landtag einziehen. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge, verlöre die Union zwei Punkte und käme nur noch auf 32 Prozent, hätte aber keinen Koalitionspartner mehr. Denn die FDP würde den Einzug in den Landtag genauso verpassen wie die Linke. Auch die SPD müsste mit leichten Verlusten rechnen, lediglich die Grünen könnten deutlich zulegen, sie könnten ihren Anteil von zwölf auf 21 Prozent steigern.

Und so sitzt die Sozialdemokratin Hannelore Kraft auch ein Jahr nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin von NRW am 14. Juli 2010 ohne eigene Mehrheit erstaunlich fest im Sattel. SPD und Grüne verfügen gemeinsam über nur 90 der 181 Mandate im Düsseldorfer Landtag. Doch als zuverlässiger Partner haben sich in den meisten Fällen die elf Abgeordneten der Linkspartei erwiesen.

Die Linkem stehen zur Minderheitsregierung, sie wollen deren Haushalte auch in Zukunft mittragen, solange SPD und Grüne nicht gegen die sogenannten „roten Haltelinien“ verstoßen: Personal darf nicht abgebaut werden, Privatisierungen haben zu unterbleiben, soziale Wohltaten sollen ausgebaut und nicht gekürzt werden. SPD und Grüne haben mit diesen Vorgaben kein Problem. Auch Hannelore Kraft hat längst deutlich gemacht, dass sie nicht viel von solider Haushaltsführung hält. Ihr Konzept nennt sie stattdessen „vorsorgende Haushaltsführung“: Durch Investitionen in Bildung und soziale Vorsorge sollen langfristig die Verbindlichkeiten sinken, weil besser qualifizierte Menschen seltener von Transferleistungen des Staates abhängig werden. Das Konzept klingt schlüssig, wenn dieses jedoch statt über Einsparungen durch Schulden finanziert wird, dann rückt ein ausgeglichener Haushalt, den NRW wie alle Bundesländer bis 2020 allein schon wegen der Schuldenbremse erreichen muss, in unerreichbare Ferne.

Kraft kann auf das Parlament zählen – niemand hat ein Interesse sie zu stürzen, und das ist weit mehr, als nahezu alle Beobachter vor einem Jahr erwartet hätten. Selbst die Forderungen der Opposition nach Neuwahlen sind weitgehend verstummt. Entsprechend gering ist die Bereitschaft von Union und FDP, die Landesregierung zu stellen. Zwar klagen beide Parteien gegen den rot-grünen Landeshaushalt, der gegen die Verfassung verstößt, weil die Schulden deutlich über den Investitionen liegen, aber CDU-Landeschef Norbert Röttgen betont zugleich, dass Neuwahlen – auch wenn das Landesverfassungsgericht erneut den Haushalt für unrechtmäßig erklären würde – nicht nötig wären.

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So lebt Hannelore Kraft auch von der Schwäche ihrer Gegenspieler.  Der CDU-Landesvorsitzende Norbert Röttgen erweckt nicht den Eindruck, als ziehe es ihn aus dem Bundesumweltministerium in Berlin an den Rhein. Auch CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann gelingt es nicht, die Union gegen die Landeregierung zu profilieren. Stattdessen räumt dieser, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU-Position um CDU-Position: Die Union in NRW ist dabei, sich von der Hauptschule zu verabschieden und mit der Gemeinschaftsschule ihren Frieden zu machen und sie trägt gemeinsam mit SPD und Grünen den für das Land teuren Beschluss zur Restrukturierung der WestLB mit.

Die FDP hingegen kommt in der Landespolitik nicht mehr vor. Der Landesvorsitzende Daniel Bahr konzentriert sich auf seine neue Rolle als Bundesgesundheitsminister, und der Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke versucht indes, sich vorsichtig rechts der bisherigen FDP-Linie zu positionieren.

Mehr Probleme als die Opposition bereiten Hannelore Kraft deshalb die eigenen Leute. Unübersehbar ist in Nordrhein-Westfahlen, dass die SPD sich nicht nur programmatisch schwer tut, sondern sie auch personell ausgelaugt ist. Gleich mehrere SPD-Minister machen zurzeit vor allem negative Schlagzeilen und bereiten der Ministerpräsidentin große Sorgen.

Nur drei Minister und Ministerinnen in ihrem Kabinett arbeiten hingegen weitgehend erfolgreich und skandalfrei und die stammen alle vom Koalitionspartner Grüne. Da ist zunächst die Bildungsministerin und Vizeministerpräsidentin Sylvia Löhrmann. Zwar stößt sie bei dem Versuch, das nordrhein-westfälische Schulmodell umzubauen, wie erwartet auf enorme Widerstände. Aber immerhin hat sie es geschafft, alle Parteien in die Gespräche einzubinden und die Gemeinschaftsschule durchzusetzen.

Gesundheitsministerin Barbara Steffens arbeitet in ihrem Ressort unauffällig, sucht den Konsens bei Verschärfungen des Nichtraucherschutzgesetzes und kümmert sich ansonsten um grüne Themen wie Transgender, was in NRW kaum interessiert und niemanden stört.

Auch der grüne Umweltminister Johannes Remmel genießt einen guten Ruf. Er hat ein, wenn auch scheinbar entschärftes, Klimaschutzgesetz durchgebracht. NRW wird in den kommenden Jahrzehnten die Erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Kohlekraftwerksbetreiber werden es schwerer haben als je zuvor. Die Grünenwaren verwundert, wie wenig sie in den Verhandlungen über das Gesetz gegenüber den Sozialdemokraten nachgeben mussten – und darüber, wie sehr sich die SPD-Energiepolitiker über diese kleinen Erfolge freuten.

Gleichzeit ist Remmel mittlerweile zu einem wichtigen Gesprächspartner der Industrieunternehmen in NRW avanciert. Mit RWE-Chef Jürgen Großmann haben vertrauliche Gespräche über die Zukunft der Energiewirtschaft begonnen und Ende Juni, war Remmel der Stargast einer Podiumsdiskussion des Initiativkreises Ruhr, dem Zusammenschluss der großen Konzerne im Revier, über die Auswirkungen der Energiewende auf die deutsche Industrie. Moderiert wurde die Veranstaltung von WAZ-Chef Bodo Hombach. Den drei Vorstandsvorsitzenden von RWE (Jürgen Großmann), Evonik (Klaus Engel) und ThyssenKrupp (Dr. Heinrich Hiesinger) blieb kaum etwas anderes übrig, als sich darüber zu freuen, dass Remmel sich zum Industriestandort NRW bekannte. Auch wenn Großmann und Engel deutlich machten, dass sie im Umbau der deutschen Energieversorgung mehr Risiken als Chancen sehen. Unter Applaus warnte Engel davor, dass die „Öko-Schickeria“ sich mit ihren Vorstellungen durchsetzt. Auch wenn Remmel in diesem Moment nicht gerade entspannt in die Runde schaute.

Die Tatsache allerdings, dass der Grüne ein gefragter Gesprächspartner ist, macht gleichzeitig deutlich, wen die Wirtschaft in NRW ernst nimmt und wen nicht: Harry Voigtsberger zum Beispiel. Der auch in Nordrhein-Westfalen weitgehend unbekannte Sozialdemokrat ist der Wirtschaftsminister seines Landes. Er ist der Nachfolger so prominenter Namen wie Christa Thoben (CDU) oder Wolfgang Clement (SPD), und kaum jemand bezweifelt, dass deren Schuhe für ihn mehr als eine Nummer zu groß sind. Voigtsberger agiert weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und hat nicht das Gewicht, sich im Kabinett für die Belange der Wirtschaft einzusetzen. Das scheint auch Kraft zu merken, die nun ihrerseits die Nähe zu Konzernen sucht. Nur macht sie damit ihren Wirtschaftsminister noch überflüssiger.

Voigtsberger ist nicht der einzige Ausfall: Innenminister Ralf Jäger ist in eine Spendenaffäre verstrickt, Finanzminister Norbert Walter-Borjans schaffte es nicht, Kraft und seine Kabinettskollegen von einer seriösen Haushaltspolitik zu überzeugen. Wissenschaftsministerin Svenja Schulze wiederum gilt als angeschlagen, seitdem sie zu Beginn der Fukushima-Krise erklärte, in NRW seien der Verbleib von mehreren Tausend Kugeln mit nuklearen Brennstoffen aus dem Forschungsreaktor Jülich ungeklärt. Die Falschmeldung versetzte viele die Menschen in Panik und führte zu Rücktrittsforderungen der Opposition.

Die Personalprobleme der SPD beschäftigen längst die Strategen der Partei und Ministerpräsidentin Kraft wird nichts anders übrig bleiben, als die Personalreserven der SPD in NRW zu mobilisieren. Namen wie der des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters Frank Baranowski oder des Wirtschaftspolitischen Sprechers der Landtagfraktion Thomas Eiskirch werden gehandelt. Kraft muss sich mit neuem Personal profilieren und sie kann sich nicht damit abfinden, dass bislang die Grünen in der Landesregierung den Ton angeben. Sonst könnte es passieren, dass zwar Rot-Grün erfolgreich die nächste Landtagswahl bestreitet, aber am Ende eine grün-rote Landesregierung dabei herauskommt – mit Silvia Löhrmann als Ministerpräsidentin.

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