
- Das letzte Aufgebot
Die Basis hat gesprochen und mit Cem Özdemir haben sich die Realos bei der Kandidatenkür durchgesetzt. Aber das knappe Votum verdeutlicht die Zerrissenheit der Grünen. Den benötigten Neuanfang hat sich die Partei nicht getraut
Die Basis hat gesprochen. Cem Özdemir wird Spitzenkandidat der Grünen. Zusammen mit Katrin Göring-Eckardt, die keine Gegenkandidatin hatte, führt er die Partei in den Bundestagswahlkampf. Unerwartet spannend ging es zu bei der innerparteilichen Urwahl. Der Außenseiter Robert Habeck lag am Ende denkbar knapp zurück, ihm fehlten nur 75 Stimmen zur Sensation. Anton Hofreiter hingegen, der Kandidat der Parteilinken, wurde deutlich geschlagen.
Kretschmänner setzen sich durch
Auf den ersten Blick ist die Botschaft dieser Kandidatenkür eindeutig. Die Realos haben sich auf ganzer Linie durchgesetzt, die Kretschmänner gegen die Trittin-Anhänger. Mit dem Parteichef Özdemir und der Fraktionschefin Göring-Eckardt als Spitzenduo werden die Grünen braver, bürgerlicher und biederer. Schwarz-Grün wird nach der Bundestagswahl 2017 eine realistische Option.
Die Parteilinken hingegen, die noch den Wahlkampf 2013 dominierten, haben sich bis auf die Knochen blamiert. Gegen Katrin Göring-Eckardt konnten sie keine Kandidatin aufbieten. Der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter ist so offensichtlich ungeeignet für ein Spitzenamt, dass die 26,19 Prozent, die er bei der Urwahl erhielt, fast als Achtungserfolg gelten müssen.
Aber so eindeutig ist das Ergebnis in Wirklichkeit nicht. Cem Özdemir erreichte bei der Urwahl nur 35,96 Prozent der Stimmen, fast zwei Drittel der Basis votierte gegen ihn. Katrin Göring-Eckardt erhielt nur 70,63 Prozent. Fast jeder dritte Grüne verweigerte ihr die Stimme. Und ob sich die Partei jetzt hinter ihrem Spitzenduo versammelt, ob sie diesem auch programmatisch folgt, das wird sich in den innergrünen Debatten um Steuern und Umverteilung, innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik, Ökologie und Energiewende in den kommenden Wochen erst noch zeigen müssen.
Partei stark verunsichert und gespalten
Zugleich sind Göring-Eckardt und Özdemir das letzte Aufgebot einer Partei, die stark verunsichert, orientierungslos und tief gespalten ist. Einer Partei, die zwischen Macht und Opposition, zwischen schwarz-grün und rot-rot-grün, zwischen Volkspartei im Südwesten und Fundamentalopposition in Berlin-Kreuzberg zerrissen wird. Einer Partei, die in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellt und über ihre Regierungsbeteiligung in elf Bundesländern den Bundesrat kontrolliert, aber gleichzeitig im Bundestag stramm auf Oppositionskurs fährt.
Kein Wunder also, dass sich die Wähler zuletzt in Scharen von den Grünen abgewendet haben. In Umfragen ist die Partei unter zehn Prozent gestürzt. Sie nähert sich wieder dem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013. Von der Unzufriedenheit vieler Wähler über die Große Koalition kann sie derzeit nicht profitieren.
Habeck hätte für Veränderung gestanden
Göring-Eckardt und Özdemir prägen die Partei seit zwei Jahrzehnten, sie waren schon dabei, als 1998 mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer das rot-grüne Projekt startete. Ein Projekt, das längst Geschichte ist. Beide stehen gleichzeitig für zwei Jahrzehnte politische Erfahrung – für einen politischen Neuanfang, den die Partei so dringend braucht, stehen sie nicht.
Robert Habeck, der Umweltminister von Schleswig-Holstein, hätte für Veränderung gestanden, für einen anderen Sound und neue Botschaften. Vor allem aber für eine werteorientierte, ökologische Politik jenseits der alten Schlachten zwischen Linken und Realos innerhalb der Partei. Doch einen solchen politischen Neuanfang haben sich die Grünen nicht getraut.