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Wahldebakel - Die Grünen sind an ihren Fehlern schon selbst Schuld

Der Traum von der Volkspartei ist ausgeträumt, die Parteispitze gerät ins Wanken. Die Grünen holten bei der Bundestagswahl nur 8,4 Prozent. Die Ursachen für diesen Absturz müssen die Grünen schon bei sich selbst suchen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Da war sie noch, diese grüne Selbstgewissheit. Jürgen Trittin gab „mächtigen Interessensgruppen“ die Schuld. Im Wahlkampf seien die Grünen eben einem „massiven Gegenwind“ ausgesetzt gewesen, sagte der Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzende am Sonntagabend auf die Frage, warum seine Partei so schlecht abgeschnitten habe.

Die Grünen erreichten laut vorläufigem amtlichen Endergebnis 8,4 Prozent. Ein beispielloser Absturz der einst zur Volkspartei ausgerufenen Bewegung: Vor vier Jahren kam sie noch mit 10,7 Prozent in den Bundestag, zwischendurch bescherten ihr der schwarz-gelbe Atomausstieg, Fukushima und Stuttgart 21 einen Höhenflug bis zu 20 Prozent; in Baden-Württemberg eroberte Winfried Kretschman als erster grüner Ministerpräsident die Staatskanzlei.

Grüne Fehler

Und jetzt das. Spitzengrüne zeigten sich auf der Wahlparty und in diversen Interviews fassungslos. Von einer „bitteren Realität“ sprach Trittin, und der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour zeigte sich „zutiefst enttäuscht“. Von einer schonungslosen, klaren, ehrlichen Aufarbeitung war die Rede.

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Am Montag, wenn sich die Gremien der Partei treffen, wird man auch über Fehler der Grünenspitze reden müssen. Der Vorsitzende Cem Özdemir ahnte das, als er vor Schuldzuweisungen warnte. „Es ist jetzt wichtig, dass wir uns nicht damit aufhalten heute Abend, wer was wann wo falsch gemacht hat.“

Doch genau das wird auf die Parteispitze zukommen. Denn es ist fraglos sie, die dieses Debakel zu verantworten hat – und nicht irgendwelche dubiose Lobbygruppen. Gegen die mussten sich die anderen Parteien im Wahlkampf schließlich auch stellen: Die FDP, so scherzten die Jungliberalen in einem Werbevideo, musste sich Vorwürfe anhören wie „Kapitalistenschweine“, „erbärmliche Egoisten“, „Volksverräter“.

„SPD links überholt“

Nein, es sind schon die Grünen selbst gewesen, die sich dieses Ergebnis zuzuschreiben haben. Das wusste auch Baden-Württembergs Verbraucherminister Alexander Bonde, als er der Deutschen Presse-Agentur sagte: „Die Strategie der Bundesgrünen war falsch.“ Statt konsequent auf ökologische Themen – etwa die Energiewende und grünes Wirtschaften – zu setzen, habe man versucht, „die SPD links zu überholen.“

Bonde spricht den ersten der vier wichtigsten Gründen für das grüne Scheitern an. Das Spitzenduo Trittin und Katrin Göring-Eckardt hat den grünen Markenkern verwässert. Trittin, der als junger Grüner in den 80er Jahren nie zu den Ökofundis gehörte, gefiel sich eher in der Rolle des Schattenfinanzministers. Viel zu sehr setzte er auf das Thema Steuererhöhungen – ein Programmpunkt, der sich zudem noch direkt gegen das eigene Wählerklientel richtete. Göring-Eckardt verkörperte eher die evangelisch-präsidiale Sozialpolitikerin.

Das konsequent Umweltgrüne fehlte komplett; auch die Diskussion um den „Veggie Day“ war plumpe Symbolpolitik, da in den meisten deutschen Kantinen ohnehin schon ein (oder mehrere) vegetarische Gerichte angeboten werden. Was blieb, war der Vorwurf der Opposition, die Grünen seien eine Partei der Bevormundung.

Statt auf junge Nachwuchspolitiker zu setzen, trat die Partei zweitens mit den immergleichen Gesichtern an. Das rächte sich: Unter den Erstwählern holten die Grünen nur noch elf Prozent. Das ist ein deutlicher Absturz zu früheren Wahlen. Die meisten Erstwähler zeigten sich konservativ und gaben der CDU ihre Stimme (31 Prozent).

Der Text und die Ergebnisse der Bundestagswahlen wurden am 23.09.2013 aktualisiert.

Noch fataler sollte sich allerdings das Zögern des grünen Parteivorstands beim Thema Pädophilie auswirken. Warum haben die Grünen nicht schon vor zwei Jahren, als die ganze Republik über die furchtbaren Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche diskutierte, begonnen, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten? Die Ökopartei hätten das genauso schonungslos tun sollen, wie ihre Mitglieder jetzt die Fehleranalyse fordern. Die Wähler werfen Jürgen Trittin nicht so sehr vor, in den 80er Jahren als presserechtlich Verantwortlicher die feindliche Unterwandung durch Päderasten übersehen zu haben. Was sie ihm vorgeworfen haben, ist sein heute abwiegelnder Reflex, der sich auch in der Berliner Runde des ZDF zeigte: Die grüne Partei hätte doch von sich aus die Aufarbeitung ihrer Geschichte gefordert, rief der Fraktionschef da gelassen. Das stimmt nur teilweise. Tatsächlich war es der Druck der Medien, die nach neuerlichen Berichten über Daniel Cohn-Bendits Sätze zum Kindersex irgendwann nicht mehr locker ließen.

Flügelkampf zwischen Realos und Fundis

Der vierte Grund für den grünen Sinkflug ist der Streit zwischen bürgerlichen Realos und linken Fundis. Diesen Flügelkampf hat die Partei zwar schon seit Jahrzehnten für beendet erklärt. In Wirklichkeit schwelt er aber immer noch – und als die Basis bei der grünen Urwahl Göring-Eckardt ins Spitzenduo beförderte, war das ein Versuch, den Konflikt personalpolitisch zu lösen. Doch dass es ihn noch gibt, zeigte sich am Sonntagabend nicht zuletzt an den sehr unterschiedlichen Haltungen zur Koalitionsfrage.

Göring-Eckardt sagte, die Erfolgsaussichten für ein Bündnis mit der Union seien „nicht besonders groß“. Dabei sollte sie es doch sein, die Protestantin und Ostdeutsche, die die Grünen für eine schwarz-grüne Klientel öffnen sollte. Redete sie da Trittin nach dem Mund? Der hielt die Wahrscheinlichkeit, dass bei den Sondierungsgesprächen etwas herauskommt, für „nicht für besonders hoch“. Die Politik von Grünen und CDU sei „grob widersprüchlich“, sagte er. Trittin warf Angela Merkel gar vor, die FDP durch eine „Kannibalisierung“ zu Tode gesiegt zu haben. Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke – auch eine Vertreterin des linken Flügels – ergänzte, die bisherige Politik der Kanzlerin sei für die Grünen „nicht akzeptabel“.

Schizophrene Bündnispolitik

Ganz andere Töne waren da von der Realo-Fraktion zu hören. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gratulierte Merkel in der ARD für den Wahlsieg. Bei Sondierungen sei man immer dabei. Zuerst müsse die Kanzlerin aber die Grünen einladen.

Es ist schizophren. Die grüne Parteispitze zeigt sich einerseits skeptisch bis ablehnend zu Schwarz-Grün. Andererseits denkt sie den gewählten Linkskurs nicht konsequent zu Ende: In der Berliner Runde schloss Jürgen Trittin erneut Rot-Rot-Grün aus. Eine Politik mit der Linkspartei, die sich aus allen UN-Militäreinsätzen zurückziehen wolle und Deutschland in den Euro-Bankrott führe, sei mit den Grünen nicht zu machen, betonte er da. Ja, fragt sich der Wähler: Was denn nun? Wie sollen die Grünen wählbar sein, wenn sie sich der Machtoption in allen denkbaren Konstellationen verweigern?

Das werden die Grünen auch in Hessen beantworten müssen: Dort sind die zwei einzigen Machtoptionen die Große Koalition oder Rot-Rot-Grün.

Bevor sich die Grünen nicht selbst entscheiden, ob sie nach rechts oder links wollen, werden sie aus ihrer selbst gemachten Krise jedenfalls nicht so schnell herauskommen. Und gut möglich, dass es für diese Entscheidung ein neues Spitzenpersonal braucht.

 

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