Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta spaltet nicht nur die Bürger, sondern auch die Große Koalition
Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta spaltet nicht nur die Bürger, sondern auch die Große Koalition / picture alliance

Große Koalition - Die Außenpolitik als neuer Spaltpilz

Erst vor einer Woche trafen sich Union und SPD zu einem vermeintlichen „Friedens“-Gipfel, um sich zu innenpolitischen Fragen auszusöhnen. Der viel größere Streit in der Großen Koalition tobt aber an einer ganz anderen Front: bei der Außenpolitik

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

In dieser Woche kommt der Bundestag zu seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause zusammen. Zwölf Gesetze sollen noch verabschiedet werden. Union und CDU streiten über Steuern und Wohnungsbau, über Familienförderung und gerechte Löhne. Die Große Koalition will Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Doch der Eindruck täuscht. In Wirklichkeit geht nicht mehr viel voran. Wichtige Gesetze, wie das zur Erbschaftssteuer und das zu den sicheren Herkunftsländern, werden vom Bundesrat und seiner rot-grünen Mehrheit blockiert. Der Bundestagswahlkampf 2017 wirft seine Schatten voraus. Die Große Koalition befindet sich in Auflösung. So weit, so normal.

Nicht normal ist es, dass sich Union und SPD auch in der Außenpolitik entzweit haben. Denn erstens gilt unter Wahlkämpfern die Regel, mit Außenpolitik lassen sich keine Wahlen gewinnen. Und zweitens ist eine Regierung auf eine außenpolitische Geschlossenheit angewiesen, um auf internationaler Bühne handlungs- und verhandlungsfähig zu sein.

Plötzlich scheint alles anders. Es wird über zentrale außenpolitische Themen gestritten.

Mehr oder weniger Europa?

Über die Zukunft der Europäischen Union zum Beispiel. Die SPD setzt auf mehr Europa, die Union auf weniger. Der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel fordert eine europäische Investitionsoffensive, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) pocht auf Haushaltsdisziplin. Der sozialdemokratische Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, fordert eine „echte europäische Regierung“. Schäuble setzt auf einen starken europäischen Rat, will die europäischen Probleme „zwischen den Regierungen“ lösen. Die SPD will mit Großbritannien möglichst bald über einen Austritt aus der EU verhandeln, die CDU versucht Zeit zu gewinnen.

Die beiden Parteien streiten sich auch über die Russlandpolitik. Die SPD setzt auf Dialog mit Moskau und stellt eine Lockerung der Sanktionen in Aussicht. Die CDU beschwört die nordatlantische Allianz und besteht auf den Sanktionen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier kritisiert die Nato-Manöver in Polen, die Union wirft ihm vor, der Allianz in den Rücken zu fallen.

Streit um Russland, die Türkei und Kanada

Sie streiten um das Verhältnis Deutschlands zur Türkei: Die SPD geht unübersehbar auf Distanz zu Merkels Umgang mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Offenkundig ist zudem Gabriels Versuch, der Union die alleinige Schuld an den explodierenden Rüstungsexporten zu geben. Schließlich gibt es auch um das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta Streit. Bundeskanzlerin Angela Merkel will es ohne förmliches Ratifizierungsverfahren durchwinken, Sigmar Gabriel pocht auf eine Beteiligung von Bundestag und Bundesrat. Wohl wissend, dass das Abkommen damit scheitern würde.

Europa, Russland, die Türkei und Kanada? Auf den ersten Blick geht es um Themen, die wenig miteinander zu tun haben. Mal geht es um die Zukunft einer an sich selber zweifelnden Staatengemeinschaft, mal um Diplomatie im Zeitalter eines neuen Kalten Krieges, mal um einen zentralen Baustein bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise, mal um Waffenexporte und mal um internationale Handelspolitik.

Strategische Differenzen

Tatsächlich jedoch offenbaren sie strategische Differenzen, die die Koalitionspartner auseinandertreiben und die Große Koalition über kurz oder lang grundsätzlich infrage stellen. Ganz unabhängig davon, dass sich die Parteien derzeit auf den kommenden Wahlkampf vorbereiten.

Innenpolitische Konflikte lassen sich in Koalitionsregierungen leicht einfrieden. So groß die Differenzen beziehungsweise die Interessengegensätze sind, so leicht ist es, bei gutem Willen der Beteiligten, Kompromisse zu finden. Oder: Wenn es gar nicht anders geht, vertagt man das Thema auf die nächste Legislaturperiode. Außenpolitisch ist das sehr viel schwieriger. Da ist Deutschland in supranationale Institutionen eingebunden, in Bündnisverpflichtungen und internationale Verträge.

Wenn sich also außenpolitische Konflikte verfestigen, Kanzleramt und Außenministerium keine gemeinsame Achse mehr bilden und die Regierung auf internationalem Parkett nicht mehr handlungsfähig ist, dann gibt es kaum Möglichkeiten, den Streit mit Formelkompromissen zu überdecken. Es könnte sich schon bald die Frage stellen, ob die Koalitionspartner noch miteinander regierungswillig und vor allem regierungsfähig sind.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Peter Bigalk | Mo., 4. Juli 2016 - 20:40

Es kommt darauf an, wo man mehr und wo weniger Europa haben möchte. Mehr Europa beim Thema Flüchtlinge und Abschottung und einheitliches Asylrecht. Weniger Europa, wenn es um bloße Umverteilung und sinnlose Öko-Vorschriften geht.
Ich brauche keine Pastoren an der Spitze, sondern Menschen, von denen man das Gefühl hat, dass sie sich für den Normalbürger einsetzen - letzteres sehe ich nicht!

Karola Schramm | Mo., 4. Juli 2016 - 21:10

Na ja, irgendwann geht das mit dem "Täuschen und Tarnen" nicht mehr und "Farbe bekennen ist angesagt." Wohin will die CDU/CSU, wohin die SPD ?
Man kann lange herumeiern - aber irgendwann ist Schluss mit lustig.
Ich warte auf den Tag, an dem Gabriel sagt, man habe nichts mehr gemeinsam, weil im Grunde beide Lager niemals was gemeinsam hatten, außer den Wunsch nach Macht. Die kann zwar einige Jahre Kitt sein, aber der bröckelt auch leicht - im Laufe der Zeit.

Chaos, wo man hinschaut. Die Spezialität von Merkel. Dann mischt Schäuble noch mit, diese "graue Eminenz" - warten wir es ab. Wenn Zwei sich streiten, freuen sich die Dritten - aber auch nicht lange, wenn sie nichts zu bieten haben.
Eine echte Alternative ist die Alternative für DE nicht, sie schwimmt auf der Welle der "Flüchtlingskrise" auch eine künstliche. In der Medizin gilt, dass, wenn eine Krise nicht schnell beendet wird, der Tod die Folge ist oder lebenslanges Siechtum, z.B. im Wachcoma.

Gerhard Schwedes | Di., 5. Juli 2016 - 10:54

Was man der SPD vorwerfen muss: Sie ist eine Umfaller-Partei geworden wie in früheren Zeiten die FDP. Mal Reformpartei, dann wieder Anti-Reformpartei, mal konsequent gegen Putin, dann wieder populistisches Friedensgeschwätz. Wer möchte noch eine solche Partei wählen? Sie gibt mit lockerer Hand Geld aus: siehe Rente mit 63, mit der vor allem solche bedient werden, die für gewöhnlich in eine gesegnete Rentenzukunft gehen. Außenpolitisch tut sie im Moment das Schlimmste, was getan werden kann: Jeder normale Mensch, der Augen und Ohren hat, weiß, dass Putin ein Krimineller und Lügner ist, der Tausende Menschen auf dem Gewissen hat. Und in ihren Reihen finden sich Verharmloser wie Putinfreund Schröder, Kotaugestiker Platzek, Altmoralist Erler, der ganz still und leise geworden ist. Und nun auch noch der auf die Wahlen schielende Steinmeier mit seinen Kanzlerambitionen, die er nicht zugeben mag. Das sind alles appeacement-Politiker, die kein moralisches Rückgrat haben.

Peter Endreß | Fr., 8. Juli 2016 - 09:46

Antwort auf von Lieselotte Bauer

Herr Schwedes, ich teile 0,1 % Ihrer Meinung!

SPD/Grüne und NATO beginnen den Jugoslawienkrieg.
Völkerrechtswidrig.
Tausende Tote.

Alle Altparteien und die NATO beginnen den Afghanistankrieg.
Heute beherrscht die Taliban mehr Gebiet als 2001 vor dem Krieg.
Zehntausende Tote.

Angela Merkel unterstützt den Irakkrieg.
Völkerrechtswidrig.
Huntertausende Tote.

Due Türkei, die USA und der Rest der NATO bombadieren Syrien und liefern Waffen die gemäßigte, islamistische (!) Opposition.
Völkerrechtswidrig.
Hundertausende Tote.

Und Putin ist der Böse.

Sehr geehrter Herr Heuneking,
ergänzend - zündeln des Hegemon ( USA) anläßlich des "Nahöstlichen
Frühlings" , der Freiheit wegen, die selbstlosen amerikanischen Bemühungen
in der Ukraine (abgehörtes Gespräch der us- amerikan. Außenbeauftragten );
nach den EU-Sanktionen gg. Russland, hat Amerika "munter" die Ausfuhren ins
sowjetische Feindesland gesteigert bis Putin seinerseits ein Embargo aussprach.
Und Europa..... z.B- kann seine landwirtschaftlichen Produkte nicht absetzen;
letztlich wird es die russischen Anstrengungen zur Produktionssteigerg. befördern.
Ukraine ist Kalkül, und Vorwand - man spielt mit diesem Land.........

hans jürgen laumann | Fr., 8. Juli 2016 - 22:32

Antwort auf von Gerhard Schwedes

Sehr geehrter Herr Schwedes,
schön unsachlich und dick aufgetragen . Was wollten Sie sagen ?

MFG
H.J. Laumann

wissen sie überhaupt, was sie hier so alles von sich geben. Allerdings habe ich schon intelligentere Kommentare aus der rechten Ecke gehört.

hans jürgen laumann | Mi., 13. Juli 2016 - 22:57

Antwort auf von Gerhard Schwedes

Sehr geehrter Herr Schwedes,
da haben Sie " richtig vom Leder gezogen". Woher stammt Ihr Wissen,
dass Herr Putin ein Krimineller und Lügner ist,die Herren Schröder, Platzek und Erler
"Vasallen" des Kreml ? Unstrittig ist, dass der Hegemon USA in der Ukraine gezün-
delt, Nahost destabilisiert,und entgegen mündlicher Absprachen, die Nato nach
der Wiedervereinigung ausgedehnt hat. Richtig ist , dass Putin die Krim annektiert hat..........
Bitte nicht missverstehen- keine Belehrung , sondern ein Hinweise

Mit freundlichen Grüssen
H.J. Laumann

Christa Wallau | Di., 5. Juli 2016 - 11:30

Es geht in der GROKO zu wie in einem aufgeschreckten Hühnerhaufen.
Das Picken aufeinander nimmt zu.

Weder SPD noch CDU sind ja noch das, was sie
einmal waren. Keine der beiden Parteien steht
- wie früher einmal - für eine grundlegende Ausrichtung, auf die sich die Bürger verlassen können. In dieser Situation ergibt sich dann vielfach die unglaubwürdigste aller Haltungen: Wir müssen dagegen sein, weil die anderen
(= der politische Gegner) dafür sind.
Alles das hat mit einer sachbezogenen, vernünftigen Diskussion zu Themen, die für
unsere Zukunft von eminent wichtiger Bedeutung sind, nichts mehr zu tun.

Die AfD "schwimmt" übrigens nicht "auf der Flüchtlingskrise", wie Fr. Schramm (oben) meint, sondern sie hat klare Positionen zu allen politischen Themen: ein alternatives Programm. Das mag vielen nicht gefallen, aber es hebt sich von dem Hin und Her und der Verwechselbarkeit von CDU und SPD ab. Dasselbe gilt für die Linkspartei. Dies sollte man ehrlicherweise zugeben.

Die AfD ist Fan von Putin, hätte selbst gern so einen starken Mann oder eine Frau an ihrer Spitze. Sie ist v.a. eine Ost-Partei. Leute, die nie gelernt haben, wie Demokratie geht. Die DDR ist von der faschistischen Diktatur in die Diktatur des Proletariats übergegangen. Und jetzt nach gerade mal 26 Jahren Demokratie möchten die Ostler Deutschland schon wieder mit einer Diktatur beglücken. Klar, Frau Merkel und Herr Gauck, beide Ostler und ohne Erfahrung mit Demokratie, haben in den letzten Jahren ihre Arbeit sehr schlecht erledigt, aber die AfD ist KEINE Alternative - sie wäre die Fortsetzung dieser unsäglichen Politik. Es wäre schrecklich für dieses Land, wenn diese AfD-Vollhonks gewählt würden.

Bernd Fischer | Di., 5. Juli 2016 - 19:08

Antwort auf von Wilhelmine Molt

Ach Wilhelmine Molt wer ( Partei? ) sollte es dann sein, der es richten sollte?

PS: Viele AFD,ler kommen aus der CDU.

Bernd Fischer | Mi., 6. Juli 2016 - 20:37

Antwort auf von Wilhelmine Molt

das der ostdeutsche Wähler ein unberechenbares Wesen ist, ganz im Gegensatz zu dem Wähler der aus Tradition ( wem meine ich wohl ? ) immer die gleiche Partei wählt.

Deswegen werden und wurden die Wahlen , für so manche Parteien im Osten gewonnen oder auch verloren.

Ich weiß, das ist unbequem.

Mein kurzer Kommentar:

Die große Koalition muss weg!!!
Dieses geht nur mit einem anderen Parteienspektrum.

Also bleibt zu hoffen, dass die AFD – mit einer nicht unerheblichen Stimmenzahl – in den nächsten Bundestag einzeiht und dadurch, zusammen mit anderen Parteien, die Mehrheit der CDU/CSU/SPD, gebrochen wird.

Walter Wust | Di., 5. Juli 2016 - 15:31

Es bedarf schon sehr viel "good will", dieses Hin- und Hergeeire als politisches Handeln zu verstehen. Leider hat sich die gesamte Regierung durch ihre Konzeptlosigkeit in dieses "Laufrad" manövriert und versucht mit allen möglichen und unmöglichen Varianten von Aktivismus dem geneigten Wähler so etwas wie Politik zu servieren. Was immer dabei als Resultat herauskommt, mit Politik hat es nichts zu tun. Es hat auch nichts mit Deutschland oder Europa zu tun, es ist einfach nur die Summe aller (Fehl-)Entscheidungen dieser Legislaturperiode, die leider noch immer anhält. Die Frage, ob es eine andere Regierung besser machen würde, impliziert jedenfalls eine Antwort: auf keinen Fall schlechter.