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() Grüne als Identitätsstifter?
Grüne auf dem Vormarsch - Der Wahn der Weltretter

Die Deutschen sind traumatisiert von Atomkraft und Finanzkrise – alles erscheint ihnen wie eine gigantische Spekulationsblase. Deswegen wählen sie jetzt die Grünen und widmen sich dem Frühjahrsputz als private Bodenoffensive. Erkundungen eines Psychologen zur Seelenlage der Nation.

Wird das Land grüner denn je? Oberflächlich betrachtet, deutet derzeit vieles auf einen nachhaltigen Erfolg der Ökopartei hin. Kulturpsychologisch betrachtet, ist das Hoch der Grünen eher Ausdruck einer Zeitenwende, deren Folgen derzeit kaum absehbar sind. Auf der Couch der Psychologen unseres Instituts zeichnet sich schon seit Jahren eine veränderte Grundstimmung in der Bevölkerung ab: eine tiefe Erschütterung des Glaubens und des Vertrauens der Menschen, die von den meisten politischen Akteuren bislang überhaupt nicht gesehen oder verstanden worden ist. Kern dieser Zeitenwende ist ein tiefer Zweifel an einer Maximierungskultur, die die Menschen seit den Wirtschaftswunderzeiten ihr Heil in immer neuen Wachstumshoffnungen und Aufschwüngen hat suchen lassen. Dieser Zweifel wurde nicht erst durch den Gau in Fukushima gesät, sondern durch eine ganze Reihe von Ereignissen. Bereits der 11. September mit dem Bild der einstürzenden Türme symbolisierte den drohenden Absturz der New Economy, der Aktienkurse oder der sozialen Sicherungssysteme. Die Wirtschafts- und Finanzkrise war dann die zweite Zäsur im neuen Jahrtausend: Vor dem geistigen Auge der Menschen taten sich auf einmal schwarze Löcher auf, in der nicht nur Immobilien oder Banken, sondern ganze Staaten verschwinden können. Seit der Finanzkrise erscheinen Spekulationsblasen den Menschen als das Krankheitsgeschwür der Maximierungskultur. Wenn sie platzen, öffnet sich die tiefe Leere eines schwarzen Loches. Der Einzelne und der gesamte staatliche Organismus drohen dann in einem Zustand absoluter Handlungsunfähigkeit zu erstarren. Das Gefühl der Unübersichtlichkeit und Orientierungslosigkeit in der Moderne wird heute von einer großen Angst vor der eigenen Ohnmacht begleitet. Derzeit erkennen die Menschen überall gefährliche Spekulationsblasen: Mit faulen Krediten und Derivaten wird darauf spekuliert, dass man nur noch das Geld arbeiten lassen muss. Die unermessliche Staatsverschuldung ist eine Spekulation darauf, dass sich strukturelle Probleme in der Zukunft nivellieren. Jetzt scheint auch noch die Kernkraft als eine gigantische Spekulationsblase entlarvt: Man spekuliert mit maximalem Energieeffekt bei minimalen Kosten; man spekuliert mit dem Restrisiko und der Endlagerung. Fukushima hat den bestehenden Argwohn drastisch intensiviert. Denn zum ersten Mal konnte man plastisch und live verfolgen, wie ein Kernkraftwerk vor aller Augen in die Luft geht. Die Grünen punkten nun, weil sie als einzige Partei eine Abkehr vom Zukunftsoptimismus der neunziger Jahre vollzogen haben. Sie avancieren zum Hoffnungsträger, weil sie ein natürliches Maß der Mitte und ein glaubwürdiges Prinzip der Nachhaltigkeit verkörpern. Die FDP ist hingegen mit ihren ungedeckten Steuerversprechungen zur Spekulationspartei geworden. Aber auch die CDU hat durch die Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke einen schweren politischen Fehler begangen. Angela Merkel hat ihr sorgsam aufgebautes Image als nationaler Umweltengel fahrlässig zerstört. Ihr hastiges Zurückrudern nach Fukushima schafft keine neue Glaubwürdigkeit. Es verstärkt vielmehr die schwelende Vertrauenskrise gegenüber den Politikern, die durch die Fahnenflucht des Bundespräsidenten Horst Köhler im vergangenen Jahr einen Tiefpunkt erreicht hatte. Dennoch werden sich die Wähler nicht mit maßvollen grünen Vernunftsbeschwörungen zufriedengeben. Denn Fukushima hat die Angst der Deutschen vor Handlungsunfähigkeit geschürt. Die Radioaktivität ist eine Gefahr, die nicht fassbar ist; die unsichtbaren Strahlen erzeugen so das Gefühl einer kränkenden Ohnmacht und den sehnlichen Wunsch nach demonstrativer Eigenaktivität. Darum kaufen die Menschen auch Jodtabletten oder Geigerzähler; darum gehen sie wieder verstärkt wählen oder demonstrieren. Darum steigert sich derzeit, wie eine aktuelle Studie unseres Instituts zeigt, der Frühjahrsputz zu einer privaten Bodenoffenisve. Und selbst die Enttäuschung vieler Deutschen über die Enthaltung bei der Libyen-Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ist nur aufgrund des wiedererstarkten Wunsches nach eigenen oder kollektiven Machtdemonstrationen verstehbar: Wenn man schon nicht die Radioaktivität bekämpfen kann, dann wenigstens einen libyschen Diktator. Die Zukunft eröffnet ein Spannungsfeld zwischen grüner Vernunft und panischem Aktivismus. Die Politik hat die Chance, dieses Spannungsfeld produktiv zu nutzen durch eine entschiedene Energiewende. Die Deutschen können als Pioniere der Umwelttechnologie wieder zum Land der Ingenieure und Querdenker werden. Dies kann eine neue nationale Identität begründen, die aus der Weltzerstörerposition des vergangenen Jahrhunderts in eine Weltretterposition führt.

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