Gott ist wieder da
Die Prognose: Das 21. Jahrhundert wird ein Zeitalter der Religion. Das Urteil: Entgegen düsterer Prophezeiungen muss das nicht schlecht sein. Das Comeback des religiösen Bewusstseins könnte sogar eine kulturelle Renaissance des Abendlandes erzwingen. Ein Essay wider den Kulturpessimismus
Das ironische Zeitalter tut seine letzten Seufzer, denn Gott kehrt zurück, und zwar mit Macht – im doppelten Sinne des Wortes. Nicht nur als philosophische Kategorie, revitalisierte Tradition oder spirituelle Kraft. Er kommt mitten hinein in den politischen Raum.
Unerwartet und mächtig. Und mit ihm der heilige Ernst. „Als hätte das verblendete Attentat vom 11. September im Innersten der säkularen Gesellschaft eine religiöse Saite in Schwingung versetzt“, deutet Jürgen Habermas die Wiederkehr der Religion.
Die Diagnose, dass die religiösen Saiten wieder schwingen, stimmt zwar. Doch tun sie das schon länger als nur fünf Jahre lang. Sowenig wie das Erdbeben von Lissabon 1755 die Geburtsstunde der Aufklärung war, so wenig ist das Attentat von New York 2001 der Startschuss fürs neoreligiöse Zeitalter.
Die Krise der Säkularisation bahnte sich bereits tief in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts an. Es war die doppelte humanitäre Katastrophe des Faschismus und Kommunismus, die den aufklärerischen Marsch in die Moderne ethisch entkleidet hatte. Die kulturelle und intellektuelle Pervertierung des Fortschrittsglaubens in entgöttlichten, radikaldiesseitigen Ideologien beendete letztlich den Säkularisationsprozess. Denn dieser hatte seine moralische Integrität verloren.
Der zweite Dreiißigjährige Krieg als Auslöser
Das 20. Jahrhundert war theologisch gesehen eines der gottlosesten der Menschheitsgeschichte. Politisch gesehen wurde es auch deswegen zur humanitären Katastrophe. Die großen ideologischen Ersatzreligionen haben aus der Heimat aller modernen Kultur, aus dem guten, alten Europa die grausame neue Hölle gemacht – und es damit verraten. Europa hatte nach dem Dreißigjährigen Krieg 1618-1648 einen politischen wie intellektuellen Comment, dass es im Sinne der praktischen Vernunft wohl besser sei, den lieben Gott aus der Politik und dem Leben zu verbannen. Nur – infolge der philosophischen und habituellen Tötung Gottes zum Ende des 19. Jahrhunderts geriet Europa ins andere Extrem. Aus Furcht vor dem Trauma religiöser Verblendung geriet man in eine Freiheitsverblendung. Die beiden Weltkriege wirken aus heutiger Perspektive jedenfalls wie der zweite Dreißigjährige Krieg Europas. Der erste war von radikalen Theismen getrieben.
Den zweiten schürten radikale Atheisten.
Die Todesmaschinerien von Faschismus und Kommunismus, die Europa und die Welt bis 1989 geprägt haben, haben einen ähnlichen psychologischen Langzeiteffekt wie der erste Dreißigjährige Krieg. Nur umgekehrt. Sie – und nicht die islamistischen Attentäter – haben die religiösen Saiten wieder zum Schwingen gebracht. Die Katastrophe des 20.Jahrhunderts hat die Sehnsucht nach einer religiösen Unbedingtheit zurückkehren lassen. Die teleologiefreie Zone der Weltgeschichte ist implodiert. Lange vor dem 11. September ist das Pendel Gottes zurückgeschlagen.
So wurde auch der moderne Islamismus erst geboren, als Europa geistig und moralisch Bankrott erlitten hatte. Das weltanschauliche Vakuum, das die europäische Kultur hinterließ, saugte die politisierte Religiosität an wie eine Unterdruckkammer die Luft. Der ethische Offenbarungseid des Westens machte einen westlichen Schah mit seinem Prunk sturzreif und überließ extremistischen Mullahs den Schauplatz. Sie okkupierten vor allem aber das brachliegende Feld des Moralischen und konnten es politisch systematisch instrumentalisieren.
Dabei ist die aggressive Vitalität des Islam nur die sichtbarste Entwicklung eines globalen Trends. Auch der christlich-orthodoxe Kulturkreis, ganz Osteuropa lädt sich religiös neu auf. Asien befindet sich in theologischer Restauration. Vor allem aber in den USA – der wichtigsten Nation des Erdkreises – ist der Prozess allenthalben manifest und politisch bereits umgeschlagen. Immer deutlicher sieht man, dass die neue Religiosität politisch dramatische Folgen haben könnte – selbst so säkular geprägte Staatengebilde wie China und Indien werden plötzlich erschüttert durch die Religionsbewegung.
Das 21. Jahrhundert wird wohl auch uns Europäer lehren, dass das Agnostische nicht das Ende der Geschichte ist. Vielleicht wird Europa aufgrund seiner enormen intellektuellen Kraft sogar vom ungewollten Verursacher des Neoreligiösen zu einem kulturellen Gestalter dieses Prozesses. Was man nur wünschen kann, um den gefährlichen Teil dieses gewaltigen Trends gewissermaßen zu zivilisieren. Denn die Wiederkehr von „Glaubenskriegen in der Weltpolitik“ (Röhrich), der blutige „Clash of Civilizations“ (Huntington) ist längst kein Gespenst von Scharfmachern mehr. Ob man sie nun als „Rache Gottes“ (Kepel) oder als „Kampf für Gott“ (Armstrong) deutet, der „Terror im Namen Gottes“ (Juergensmeyer) und die „Sacred Fury“ (Selengut) sind bereits Wirklichkeit. Da könnte Europa, das nun schon aus historischer und geistesgeschichtlicher Erfahrung genau um die gefährliche „Ambivalenz des Heiligen“ (Appleby) weiß, das wilde Pferd des Neoreligiösen zähmen, domestizieren und zum kultivierten Ausritt bewegen.
Neue Religiosität und alter Materialismus
In der Ursachenforschung für das globale Comeback der Religion interpretieren wir Europäer den Vorgang gerne materialistisch – als Sekundäreffekt von sozialen oder wirtschaftlichen Phänomenen. Erst zögernd begreifen wir, dass die neuen Konflikte eher wenig mit Geld – aber ganz viel mit Gottessehnsüchten zu tun haben. Die meisten Attentäter entstammen wohlhabenden Familien, sind gebildet und haben beste Perspektiven für ein gutbürgerliches Leben nach westlichen Vorstellungskategorien. Die Annahme, hier handele es sich um ein soziales Phänomen, hier revoltierten die armen Massen des islamischen Raums gegen die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Welt, ist widerlegt. Inzwischen begreifen wir, dass immer mehr Menschen auf der Erde nicht von Geld und Gier, sondern von religiösen Gefühlen motiviert werden.
Auch das zweite Erklärungsmuster – es handele sich bei den neoreligiösen Bewegungen um ein Phänomen zurückgebliebener Kulturen, erweist sich als falsch. Im Westen ist der modernste und am höchsten entwickelte Staat – die USA – religiös am weitesten aufgeladen. Im islamischen Raum sind es ebenfalls die reichen und in vielem hoch entwickelten Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran, wo die religiösen Impulse für politisches Handeln am aggressivsten sind. Das neoreligiöse Zeitalter wird nicht von den Peripherien, sondern von den Kraftzentren der Globalisierungsbeschleunigung definiert.
Auch bei den aufstrebenden Weltmächten von Brasilien über Nigeria, Indonesien und Indien bis China geht der wirtschaftliche und politische Aufbruch einher mit religiöser Selbstaufladung der Kultur. Selbst Russland lebt den Kulturwechsel in seiner vollen Bandbreite aus.
Die Sowjetunion, die bekennend atheistische Weltmacht schlechthin, ist einem russischen Staat gewichen, der die alte orthodoxe Kultur im Zeitraffer revitalisiert. Putin behauptet mit der Selbstverständlichkeit eines modernen Zaren, dass der christlich-orthodoxe Glauben „für die Verankerung, Entwicklung und Zukunft von Russland“ entscheidend sei. Binnen zwei, drei Jahrzehnten ist die Religion in Russland aus den entlegenen Nischen provinzieller Privatheit zurückgekehrt mitten hinein in das politische und gesellschaftliche Bewusstsein einer Weltmacht. Alexander Solschenizyn hatte 1994 in einem dramatischen Appell offen gefordert: „Holt Gott zurück in die Politik!“ Inzwischen ist es geschehen. Nach jüngsten Umfragen glauben wieder mehr als zwei Drittel aller Russen an Gott. Der atheistische Homo sovieticus ist eine Episode der Geschichte geblieben.
Wenn man die Wiederkehr des religiösen Bewusstseins im politischen Raum weiterdenkt, lässt sich erahnen, welche formative Kraft in diesem Prozess steckt. Womöglich wird das Nationale als Identifikationsfigur der Massen nachlassen, insbesondere in einer globalisierten Welt des permanent erfahrbaren Multikulturalismus. Vielleicht wird die Religion das neue Gefäß kollektiver Identität. Schon jetzt macht der Begriff der „Glaubensbrüder“ Karriere. Im islamischen Raum ist er längst zu einem starken Ferment politischen Verhaltens geworden. Wer sagt uns, dass wir nicht bald auch im Westen die politische Weltkarte in den Kategorien des Christlichen betrachten und politische Ereignisse danach beurteilen.
Die enorme Popularität des Papsttums ist ein Vorbote. Dass Millionen von Jugendlichen aus aller Welt ausgerechnet dem Vatikan zujubeln, hätte man vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten. Die verblüffende Zuneigung zu Johannes Paul II. und auch zu Benedikt XVI. ist ein Indiz für die Religions-Revolution, in der wir uns befinden. Denn alles an ihnen scheint antimodern.
Mit der demonstrativen Krönung zweier Konservativer zeigt die katholische Kirche einen sicheren Instinkt für die neoreligiöse Sehnsucht nach geordneter Behausung in einer obdachlos gewordenen Moderne. Mit Wojtyla und Ratzinger scheinen alte Werte wie Demut, Würde, Nächstenliebe nicht mehr wie niedliche Accessoires einer Welt, in der das Eigentliche immer nur das Machbare und Moralfreie zu sein hat. Sie sind plötzlich der Kontrapunkt einer ironischen Welt, die in eine tiefe philosophische Krise geraten ist.
Der philosophische Zusammenhang
Seit der Aufklärung ist die Kritik des Metaphysischen Teil unseres geistigen Wohnzimmers wie das Sofa der Erkenntnis. Kant begann mit der Grenzfestlegung unserer Erkenntnis, Hume („Naturgeschichte der Religion“) und Feuerbach („Das Wesen des Christentums“) erinnerten uns an den Projektionscharakter der Religion, Marx enttarnte ihr politisches Wesen („Opium des Volkes“) und mit Freud („Die Zukunft einer Illusion“) betrachten wir Gott immer auch als Vexierspiel unserer eigenen Psyche. Kurzum: Wir tragen Nietzsches Gott-ist-tot-Postulat wie Wechselgeld unserer Sinngebung durchs Leben.
Am Ende schuf die Religionskritik, ob sie heideggeristisch oder linksideologisch daherkam, ihre eigene negative Theologie.
Zum Grundmotiv moderner Philosophie ist dabei der Relativismus geworden. Mit den Kontextualisten in der Tradition Wittgensteins und den Dekonstruktivisten in der Nachfolge Nietzsches fragt man sich freilich nach dem Grad der erkenntnistheoretischen Spiegelfechterei, den man noch bereit ist zu akzeptieren. Jacques Derridas ambivalente Betrachtung, ja Legitimierung des islamistischen Terrorismus machte einer breiteren Öffentlichkeit klar, worin die Problematik tief sitzender Relativität liegt – in ihrer ethischen Haltungslosigkeit. Sei es die These Paul Feyerabends („Jede Theorie besitzt ihre eigenen Erfahrungen“), sei es die Behauptung Thomas Kuhns („Befürworter entgegengesetzter Paradigmen üben ihre Tätigkeit in verschiedenen Welten aus“), sei es die Habermas’sche Auflösung aller Haltungen in Diskurslagen oder Nietzsches dreistes Diktum („Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen“) – der Relativismus hat tiefe Spuren im modernen Denken hinterlassen. Nur fragt man sich heute – zu welchem Zweck und mit welchen Folgen.
Wenn Platos „Politeia“ auf den starken Staat hinauswill, Descartes „Cogito“ auf eine provisorische Moral, der „Mehrwert“ von Marx auf den Klassenkampf, der „reine Akt“ Gentiles auf den Totalitarismus, die „Falsifikationen“ Poppers auf die offene Gesellschaft, die „Gerechtigkeit“ von Rawls auf die liberale Demokratie abzielten – worauf zielt eigentlich der allgegenwärtige Relativismus ab? Ich behaupte, er trägt letztlich nur ein zerstörerisches Motiv in sich. Nun kann man im Sinne der „Dialektik der Unterschiede“ von Croce argumentieren, es gehe um Freiheit. Nur welche Freiheit und Freiheit wovon? Man wird den Verdacht nicht los, dass die innere Kraft des Relativismus die Negation ist. Vor allem die Negation definitiver Wahrheiten – im Kern also religiöser Dinge. Da diese Negation aber intellektuell wie politisch an ihr Ende gekommen ist und gewissermaßen in Stagnation mündet, weil totale Relativität immer totale Gleichgültigkeit mit sich bringt, schwindet zusehends ihre moralische wie intellektuelle Akzeptanz im Abendland.
Dies wird verstärkt durch die wachsenden Selbstzweifel der modernen Naturwissenschaft. Die Wissensgesellschaft leidet an einer merkwürdigen Schizophrenie. Sie wird technologisch immer komplexer, ihr kumuliertes Wissen wird immer größer, der Einzelne aber braucht gerade deshalb immer mehr Glauben, um dem Wissen zu vertrauen. Da jeder Einzelne nur Spezialist für ein Detail der Wissensgesellschaft sein kann, wächst mit der Komplexität auch das Maß an Glauben. Je weiter die Wissenschaft in die Grenzsphären von Sein und Wirklichkeit vordringt, desto größer werden also die kollektiven Felder der Glaubenserkenntnis. Der Nobelpreisträger Murray Gel-Mann spricht davon, dass man die Welten nur noch „metaphorisch“ begreifen könne. Das kohärente Bild unserer Welt werde immer unanschaulicher, je weiter wir sie zu entziffern suchen. Wenn aber am Anfang und am Ende unseres Wissens Mutmaßungen, Modelle, Hypothesen, also Glaubensgeschichten stehen, dann ist die Moderne auch von dieser Seite zum Credo-Prinzip zurückgekehrt.
Da sich in allen naturwissenschaftlichen Grenzregionen die Kontingenzprobleme häufen, schlägt die rationale Extremerkenntnis immer öfter in vorreligiöse Erwartung um. Und so erstaunt es nicht, dass gerade die Zunft der Naturwissenschaftler mit ihren Grenzerfahrungen immer lauter die theologische Dimension ihrer Erkenntnis diskutiert. Das trägt zuweilen pantheistische Züge, wie bei Alfred North Whitehead („Science and the Modern World“ und „Process and Reality“) oder bei Charles Birch („What does God do in the World?“). Andere berichten von ihren teleologischen Einsichten, vom staunenden Respekt vor der natürlichen Ordnung, von der Faszination angesichts der strukturierten Komplexität unserer Welt.
William Paley hat schon im 18.
Jahrhundert dafür die Denkfigur der Uhrenmetapher geprägt. Wenn jemand auf einer Wiese eine Uhr findet, so würden offenkundig das geplante und gebaute System von Zahnrädern und Federn sowie das Ineinandergreifen aller Elemente darauf schließen lassen, dass die Uhr von irgendjemandem geschaffen worden sei. Kein Mensch würde glauben, dass die Uhr von selbst dorthin gelangt sein könnte. Wenn das aber schon für eine primitive Uhr gelte, wie könne man dann die unfassbare Komplexität der Natur und der Welt als selbst erstanden und strukturiert annehmen. Über diese teleologische Denkfigur ist viel gestritten und von der modernen Religionskritik viel Häme gegossen worden. Dass der teleologische „Gottesbeweis“ intellektuell nicht haltbar ist, erzählt freilich nur die Hälfte der Erkenntnisgeschichte, denn umgekehrt ist die „Gottesahnung“ durch ihn dramatisch verstärkt – je weiter die Naturwissenschaft in Grenzgebiete vordringt, umso mehr.
Die Mediengesellschaft beschleunigt diese Entwicklung. Denn auch in ihr wird „Glauben“ an sich immer bedeutsamer. Wenn sich immer mehr Menschen in einer Gesellschaft immer häufiger medial vermittelt bilden, definieren, unterhalten, trösten – dann brauchen sie ein immer größeres Maß an Vertrauen in das anonyme System – an abstraktem Glauben. Dieser medial erzwungene Glaube an die Wahrheit von Information, an die Kraft von Bildern, an die Kontingenz von Geschichten macht die Mediengesellschaft zu einer riesigen Glaubensgemeinschaft. Von Nietzsche stammt die Erkenntnis, dass der Mensch das Tier sei, das versprechen könne. Der eine verspricht, andere glauben ihm. Die ganze Interaktion beruht auf Glauben, der unter den Menschen zirkuliert – und das umso mehr, je mehr die Versprechen anonymisiert, mediatisiert sind.
Der Glaubensgrad der modernen Informationsgesellschaften steigt also gewaltig an.
Warum die Rückkehr der Religion gut ist
Unter westlichen Intellektuellen wird das Comeback der Religionen gleichwohl kritisch beäugt. Die Linke warnt vor einer politischen Restauration durch den religiös getriebenen Konservativismus. Aber auch die liberale Denkwelt ist skeptisch. So befürchtet Ralf Dahrendorf eine „neue Versuchung der Unfreiheit“. Nachdem man den Faschismus und Kommunismus glücklich überwunden habe, drohe eine dritte Variante der „Gegenaufklärung“. Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer hat gar den Begriff des „dritten Totalitarismus“ ins Spiel gebracht. Leiser, aber nicht minder bestimmt sorgt sich Jan Philipp Reemtsma um die „Bedrohung der Freiheit“ durch „Entdifferenzierung“. Ian Buruma unkt einen „schleichenden Autoritarismus“ herbei, und die Philosophen Richard Rorty und Gianni Vattimo warnen davor, dass die Aufklärung ihren „letzten Seufzer der ontologischen Tradition“ tue und wir einer „schrecklich autoritären Religionsmode“ anheim fallen.
Die Sorge vor einem Niedergang der Freiheitskultur ist verständlich. Allerdings verstellt sie zugleich den Blick auf die positive Seite der Entwicklung. Denn bei allen Mahnungen vor Verlusten gibt es auch Optionen auf Zugewinne ethischer, kultureller und politischer Natur.
Das kulturelle Argument: Identität stiften
Alles Kulturelle ist Frucht vom Baum der Religion. Unsere Mythen, unsere Ethiken, unsere Metaphern, unsere Architektur, unser Freiheitsbegriff rekurrieren immer auf die jüdisch-christliche Religion. Gewiss ist das institutionalisierte Christentum in den vergangenen 300 Jahren stark geschwächt worden. Die Psychologisierung und Therapeutisierung hat die Religion akademisiert und soziologisiert. Sie ist so weit reflektiert, dass sie direkte Bezüge zur Transzendenz fast aufgegeben hat, dass sie „vernünftig“ geworden ist und sich somit selbst bescheidet, dass sie die „Trennung der Wertsphären“ (Max Weber) akzeptiert hat. Der eine Gott, der die abendländische Welt zu einem geistigen Harmonium fügte, ist durch das moderne Patchwork religiöser Teilüberzeugungen abgelöst.
Nun aber kommt die Individualisierung des Religiösen und Kulturellen an ihre Grenzen. Denn je weiter sich eine Kultur selber relativiert, desto unschärfer wird sie. Schon ist der Begriff „Kultur“ bei uns kaum mehr im Singular zu gebrauchen. Das politisch Korrekte verlangt die Gleichsetzung der Kulturen, womit das Eigene systematisch relativiert wird. Man muss nicht gleich wie der Soziologe Peter Berger vom „Relativierungshexenkessel“ reden, aber die Tendenz, die eigene kulturelle Tradition durch einen Hyper-Pluralismus zu zerstören, ist erkennbar. Manchmal treibt ein naiver Multikulturalismus diesen Kultur-Masochismus, wenn etwa aggressive Zuwanderung gefordert wird oder Kreuze aus Schulen genommen werden oder der Nationalfeiertag abgeschafft werden soll.
Manchmal aber auch der Wettbewerbsdruck der Globalisierung, wenn Eltern etwa meinen, ihre Kinder auf internationale Schulen schicken zu müssen, deren Lehrpläne das tradierte Kulturgut nur noch am Rande enthalten.
Gegen diesen Kulturmasochismus regt sich zunehmend Widerstand aus der Gesellschaft, die über einen sicheren Verteidigungsreflex für eigene Traditionen verfügt. So werden plötzlich „Heimaten“ als Schutzräume überschaubarer Identität wieder populär – von der neuen Fankultur des Fußballs bis zum Karneval, als Topos für Filmserien und Werbekampagnen, als Muster für Erdverbundenheit, Wärme und Nähe, als Para-Patriotismus.
Wie ein uralter, mächtiger Baum schlägt auch der christliche Kultus wieder Blüten. Die kulturelle Macht der einen, der christlich-jüdischen Religion ist offenbar viel stärker als geahnt. Sie webt das Kleid des Unterbewusstseins der westlichen Welt. Ob ein Kind Johannes genannt oder Karneval gefeiert wird, ob man Bach hört oder Michelangelo betrachtet – je mehr man sich der Religion zuwendet, desto mehr bekennt man sich zur kulturellen Tradition. Nur wer weiß, was Genesis ist, hat noch eine Genese. Man mag das religiöse Gefühl als spirituelle Erfahrung nicht mehr nachvollziehen können – als kulturelle Renaissance aber sehr wohl.
Insofern bedeutet ein Comeback des religiösen Bewusstseins in den westlichen Gesellschaften automatisch eine Wiederkehr der Kulturgeschichte, des Kulturbewusstseins. Das ist – nach Jahrzehnten der kulturellen Regression, der Infantilisierung und systematischen Geschichtslosigkeit – keine schlechte Aussicht. Hegels provokante Analyse vom Vergangenheitscharakter der Künste muss daher nicht das Ende der Geschichte sein. Zwar wird es kein Zurück hinter den zersetzenden Selbstzweifel der modernen Künste geben; aber es könnte doch sein, dass mit einer Renaissance des religiösen Bewusstseins im Abendland eine kulturelle Renaissance einhergehen wird. Vielleicht hören morgen die albernen Kunsthappenings von Scheinprovokateuren provokationsunfähiger Gesellschaften ebenso auf wie die Selbstfindungsromane zeitgenössischer Schriftsteller, und es beginnen wieder große Neuerzählungen der ältesten Legenden, Dramen, Mythen und Heilsgeschichten unserer Kultur, dieser christlich-jüdischen Erzählkultur.
Die Option ist jedenfalls da, dass die Kultur wieder zurückfinden könnte aus der spielerischen und ornamentalen Funktion zum Definitionscharakter ganzer Gesellschaften.
Die Erfahrung des kollektiven Kultur- und Niveauverlustes der vergangenen zwei Generationen durch eine areligiöse Bildung, die sich dem klassischen Kanon der bildungsbürgerlichen Erziehung zu entziehen suchte, die unseren Kindern lieber die Biologie der Trockensavanne erklärte, als mit ihnen -Thomas von Aquin zu lesen, ist so negativ ausgefallen, dass nun die Restauration ansteht.
Im Bildungsbetrieb ist die kulturelle Selbstschwächung durch Werte-Indifferenz besonders sichtbar geworden. Der Angriff auf alle Autoritäten, vom Lehrer bis zu Goethe, zerstörte nicht nur Elitekultur und Leistungsethos, sondern vor allem Orientierung. Man mag eine politische Bewegung wie die 68er dafür schelten, in Wahrheit aber geht die bewusste Abkehr des Respekts vor Größe tiefer. Die Idee der Größe ist ein zutiefst religiöses Motiv. Sie mag eine metaphysische Qualität haben wie in der Theologie oder eine „romantische Tiefgründigkeit“, wie sie Isiah Berlin stets forderte. Doch aus der Perspektive einer total säkularisierten Kultur ist weder das eine noch das andere erstrebenswert. Postmetaphysische Pädagogik zerstört darum instinktiv jede Orientierung an Größe. Umgekehrt aber wird eine metaphysische Neuorientierung sehr schnell die Pädagogik wieder an Größen aufrichten können und die Bildungskultur revitalisieren. Das ist der Grund, warum die vom staatlichen Bildungsbetrieb enttäuschten Eltern ihre Kinder wieder so gerne auf kirchliche Schulen schicken. Sie wissen instinktiv um den Zusammenhang von kultureller Kraft und religiösem Bewusstsein.
Die politischen Vorteile des Neoreligiösen
Wenn Carlo Schmid recht haben sollte, dass Politik nur säkularisierte Religion sei, dann kommen auf die Politik spannende Zeiten zu. Denn wir erkennen nicht nur an den Kriegen der Gegenwart, dass das Religiöse offenbar zum Politischen und Kulturellen gehört wie das Gefühl zum Menschen. Auch ein Blick auf die Wachstumsraten lehrt uns neuerdings, dass es einen direkten Zusammenhang von Erfolg und Glaube in den Kulturen gibt. Nicht im napoleonisch-disziplinierenden Sinne („Ohne Religion ist Ordnung in einem Staate unmöglich“), auch nicht im schopenhauerisch-tröstenden Sinne („Religionen sind wie Leuchtwürmer, sie bedürfen der Dunkelheit, um zu leuchten“), sondern ersichtlich in der schlichten Frage von Leistung, innerem Zusammenhalt und Vitalität einer Gesellschaft.
Eigenartig an der Religion ist ihr Wechselspiel von Be- und Entschleunigung. Sie motiviert Menschen und hegt die Motivation zugleich ein. Sie ist gewissermaßen Gaspedal und Bremskraftverstärker in einem. Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang zuweilen von „geordneter Dynamik“ religiöser Gesellschaften.
Max Weber hat einst im Protestantismus die Urkraft für den modernen Kapitalismus erkannt. Vielleicht liegt heute eine Ursache für das Zeitlupenhafte des erodierenden Europas gerade in seinem Nihilismus. Womöglich kann eine Gesellschaft, die an nichts glaubt, auch nicht an ihre Zukunft glauben, noch an sich selber. Insofern würde den europäischen Gesellschaften ein bisschen mehr Religion im Sinne des Gaspedals gar nicht schaden.
Der enge Zusammenhang von kulturell-religiöser Identität und gesellschaftlicher Dynamik wird auch in der Demografie sichtbar. Gesellschaften, die um ihren inneren Sinn nicht mehr wissen, die kein größeres Ziel mehr kennen als die Besitzstandswahrung, entfalten natürlich weniger Kräfte, mobilisieren weniger Begabungsreserven, bekommen letztlich weniger Kinder. Der Unterschied zwischen habenden und wollenden Kulturen hat in der Geburtenrate einen Indikator.
Damit wird auch klar, dass mit einer Renaissance des kulturellen und religiösen Bewusstseins die Bereitschaft wieder wachsen dürfte, Zukunft auch unmittelbar in Form von Nachkommenschaft zu wollen. So könnte der Mentalitätswandel die Prognosen und Kassandra-Rufe zum demografischen Niedergang Lügen strafen. Denn so überraschend die Religion zurückgekommen ist, so plötzlich könnten auch wieder Kinder in Mode kommen. Der Kulturpessimismus der deutschen Gesellschaft verkennt die Potenziale des Wertewandels, dessen Kennzeichen eben gerade nicht die Linearität des Zerfalls, sondern das Stirb und Werde von Orientierungen ist. Warum sollte die neoreligiöse Bewegung nicht positive Überraschungen parat haben?
Auf der anderen Seite ist das steigende religiöse Bewusstsein auch ein Abwehrreflex auf die überdrehte Beschleunigung der Globalisierung. Mit der Religion verbinden sich Kerne kultureller Identität, Sphären der Geborgenheit in der Raserei der Moderne. Es gehört daher zur Ironie der neueren Geschichte, dass der seit 1989 entfesselte Kapitalismus nicht durch die Linke gebremst, gezähmt oder zivilisiert wird. Es sind die Konservativen in allen Erdteilen, die den Exzessen der Raserei Einhalt gebieten. Sie leisten von einem ethischen oder traditionsverhafteten Fundament aus Widerstand. Dass man sonntags keine Supermärkte öffnet, setzen nicht die Gewerkschaften, sondern die Kirchen durch.
Dass man die Natur nicht vollends ausbeutet und zerstört, sondern die „Schöpfung“ bewahrt, ist ein zutiefst konservatives Anliegen – kein emanzipatorisch-linkes. Dass man der Forschung nicht alles gewährt – vom Klonen bis zur Euthanasie – liegt am religiös-konservativen Widerstand. Dass man nicht alles ökonomisiert, nicht alles fungibel werden lässt, dass manche Dinge im doppelten Sinne des Wortes unverkäuflich sind, liegt daran, dass es Werte gibt, die Geld entwerten können. In einer Sphäre beschleunigter Globalisierung, in einer Welt des Veränderungsfanatismus wirken die Konservativen zuweilen wie die eigentlichen Revolutionäre unserer Zeit.
Die Korrekturfunktion der neuen Religiosität spielt auch für die Demokratie eine wachsende Rolle. Denn tatsächlich geht das Grundgesetz von der „Würde des Menschen“ aus, jener revolutionären Aussage des Christentums also, jeder Mensch habe eine unantastbare Würde.
Womit nicht nur Rang, Herkunft und Anerkennung der Menschen radikal egalisiert werden. Der zentrale Wert der Würde verbietet jede Unterdrückung und Diskriminierung, stellt die Geschlechter gleich, wehrt jeden Statusunterschied nach Rasse, Sprache, Herkunft, Geld und Glauben ab. Die kirchliche Lehre von der Gottespräsenz in jedem Menschen ermöglicht damit den modernen demokratischen Freiheitsstaat überhaupt. Damit ist die christliche Religion die „aktuelle Wirkungsgrundlage“ (Paul Kirchhof) für die freiheitliche Demokratie, und wem Letzteres lieb ist, dem sollte Ersteres teuer sein. Schon der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat darauf hingewiesen, dass auch eine demokratische Verfassung nicht aus sich heraus garantiert werden könne, sie brauche Wertegrundlagen. Die moderne Demokratie lebe von Voraussetzungen, die sie selber weder geschaffen habe noch gewährleisten könne.
Damit wird auch klar, dass die Demokratie die Religion noch brauchen könnte, um sich zu behaupten. Die jüngste Diskussion um „effiziente Ordnungen“, die Liebäugelei mit modernen Totalitarismen von China bis Lateinamerika machen klar, dass eine um ihr religiöses Unterbewusstsein entkleidete Demokratie gefährdet ist. Denn die Demokratie legitimiert sich in ihrem Kern nicht über die utilitaristische Frage der Effizienz, sondern über einen Wertekanon. Nietzsches Schmähung „Die Demokratie ist das vernatürlichte Christentum“ sollte man als Kompliment verstehen.
Schon bei der Überwindung der kommunistischen Diktatur hat die positive Wirkung von Religion auf die Politik eine Erkenntnis ins Bewusstsein der Weltbevölkerung eingegraben: Religion lässt Angst überwinden und kann Diktaturen zu Fall bringen. In vielen Demokratiebewegungen ist seither der Rückgriff auf religiöse Motive und Symbole fester Bestandteil des Repertoires geworden. Zumal sie dank ihrer Versöhnungskultur ein positives Gestaltungselement auf ihrer Seite hat. Das weitgehend friedliche Ende des Apartheidregimes und die erfolgreiche Entwicklung Südafrikas seither sind wesentlich durch die starke Präsenz der christlichen Vergebungshaltung bei den führenden schwarzen Politikern rund um Nelson Mandela ermöglicht worden. Inzwischen motiviert diese Erkenntnis sogar zahlreiche NGOs und Friedens-Aktivistengruppen, wie die auf Glauben basierende Friedensstiftung von Jimmy Carter.
Der Zusammenhang von christlicher Tradition und europäischem Menschenrechts- und Demokratiebewusstsein dürfte die Identität der Europäer in Zukunft prägen. Bislang war die Einigung des modernen Europas eine Angelegenheit der praktischen Vernunft (vom Euro bis zum Binnenmarkt) und der inneren Befriedung. Künftig dürfte den Bürgern Europas ihre gemeinsame Tradition und Religion als kollektives Bewusstsein viel wichtiger werden. Denn eine Welt globalisierter Fundamentalismen und kapitalistischer Raserei wird das Europäische als kulturelle Verteidigungslinie empfinden. Erstmals seit Jahrhunderten können sich Europäer nach außen wieder als Europäer fühlen.
Das ethische Argument
Jean Paul brachte die ethische Magie aller Religion einmal auf die romantische Formel: „Wo Religion ist, da werden Menschen geliebt.“ Zumindest sollen sie geliebt werden. Das ethisch Normative gehört zur Religion wie das Gesetz zum Staat. Genau dies macht die Religion so wertvoll für die moralische Verfassung von Gesellschaften. Es ist darum kein Zufall, dass in fast allen ethischen Debatten – von der Abtreibung über das Klonen bis zur Sterbehilfe – die religiösen Vorbehalte die wirkmächtigsten Widerparte eines totalen Laissez-Fairismus geworden sind. Nicht dass ihre Positionen per se immer ethisch gut und richtig seien – aber ihr schieres Dasein verlangt der Gesellschaft die ethische Diskussion über die Grenzen des Utilitarismus ab.
Im Kreise der modernen Religionskritik ist die These von der Pathologie des Glaubens entwickelt worden. Psychologisch begründet und von düsterer historischer Erfahrung geprägt, schien das Pathologie-Argument vielen einleuchtend. Inzwischen müssen wir erkennen, dass es auch eine Pathologie der Vernunft gibt. Der Verabsolutierung des Machbaren droht – ohne die Einhegung von Glaubenssätzen – der totalitäre Umschlag. Jürgen Habermas warnt vor der „entgleisenden Säkularisierung“.
Das Paradox zwischen technischer Aufrüstung und moralischer Abrüstung kann man als „ethische Desintegration“ betrachten, mit Max Weber den „Sinnverlust“ oder mit Émile Durkheim das „Moraldefizit“ erkennen – in jedem Fall dürfte dies die Rückkehr der Religion als ethische Macht befördern.
Einerseits führt ein steigendes Religionsbewusstsein zu einer größeren inneren Empfindsamkeit der Gesellschaft für ethische Fehlentwicklungen, zu einer informellen Widerspruchsinstanz. Andererseits formuliert eine religiös geprägte Ethik immer ein Prinzip wider das Machbarkeitsverlangen der Vernunft. Denn wenn eine autonom hergeleitete Ethik die Kategorien von Autorität und Tradition zugunsten eines Konsenses der Vernünftigen opfert, läuft sie Gefahr, die Wünsche der Vernünftigen zu verabsolutieren. So kann es für eine Gesellschaft durchaus vernünftig sein, behinderte Kinder abzutreiben oder ältere Kranke in die Euthanasie zu schicken. Nur – ist es moralisch auch vertretbar? Diese Urteilskategorie kann sich nur von etwas Absolutem ableiten, denn zuweilen muss sie unvernünftig sein.
Nun behaupten die Verfechter autonomer, individualistischer Ethiken, dass man lieber dem Gewissen als innere moralische Instanz vertrauen sollte. Diese Haltung ist stark verbreitet worden, sodass der Gewissensbezug oft zum einzigen Maßstab in Fragen moralischer Kontingenz geworden ist. Das Problem dabei ist nur, und darauf hat Klaus Berger in seinem jüngsten Buch „Von der Schönheit der Ethik“ hingewiesen: „Das moralische Gesetz in mir spricht nicht mit einer Stimme. Die hypertrophe Gewissens-ethik steht hinter einer zerfallenden Gesellschaft.“
Tatsächlich ist es so, dass wir vor lauter Gewissensentscheidungen nur noch die wechselseitige Toleranz als ethisches Gemeinschaftsprinzip akzeptieren. Das Gewissen wird derart überbetont, dass die Privatethik alles überlagert. Die Konsequenz ist, dass alle Werte, die nicht gesetzlich geregelt sind, privatisiert worden sind.
Da die Gewissen milieubedingt geprägt werden und höchst unterschiedlich ausfallen, stellt sich die Frage nach dem Maßstab des Überindividuellen. Wenn zum Beispiel in einer Gesellschaft die Mehrheit der Gewissen nichts daran findet, dass einige aus Armut verhungern oder dass man Menschen klont, wie kommt sie dann zur kollektiv-ethischen Erkenntnis, dass das trotzdem nicht in Ordnung ist? Am Ende braucht es archimedische Punkte der ethischen Normsetzung, die Religionen zu setzen vermögen und damit Kulturen prägen.
Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa beschreibt die Lage so: „Wir haben uns geirrt, als wir behaupteten, die Menschen könnten ohne Religion auskommen. Aber nur eine Minorität ist in der Lage, Religion und Ethik durch Kultur zu ersetzen. Die große Mehrheit der Menschen braucht Transzendenz. Deshalb sollte man die Religion nicht bekämpfen.“
Es gibt ganz offensichtlich jene urwuchtige spirituelle Kraft, die aus der Tiefe des menschlichen Wesens gespeist wird. Man kann es auch Heimweh nach Gott nennen. Dieses Heimweh wird stärker. Vielleicht wird der Mensch des 21.Jahrhunderts wieder Mystiker, vielleicht wird sein Heimweh der Reflex auf die Raserei der Moderne, vielleicht braucht er religiöse Moral als ethischen Halt mehr denn je, vielleicht wird der Religiöse der eigentliche Revolutionär unserer Zeit, vielleicht wird er irgendwann erklären: Credo, ergo sum.
Von Wolfram Weimer ist zu diesem Thema das Buch „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist“ im DVA-Verlag erschienen
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