
- Lohngleichheit lässt sich nicht verordnen
Erst Frauenquote, nun Gehaltsanpassung: Manuela Schwesig gefällt sich als Kämpferin für Geschlechtergerechtigkeit. Ihr neuer Gesetzentwurf zur Entgeltgleichheit ist allerdings mehr Placebo als wirkliche Hilfe für benachteiligte Frauen
Sie kocht, schnibbelt, beaufsichtigt die Küche. Er schraubt, lackiert, leitet die Werkstatt – und hat damit am Monatsende 150 Euro mehr auf dem Konto. Das ist Deutschland im Jahr 2016. Die durchschnittlichen Gehälter von Frauen und Männern unterscheiden sich, je nach Statistik, nach wie vor um zwei bis 25 Prozent. Auf der Webseite eg-check.de der Hans-Böckler-Stiftung und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann sich jeder die Lohndifferenz ausrechnen lassen.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig ließ sich diese augenscheinliche Ungerechtigkeit wissenschaftlich bescheinigen. In ihrem Auftrag schuf das Delta-Institut für Sozial- und Ökologieforschung eine entsprechende Datengrundlage. Der Aussage „Geschlechtergerechtigkeit ist nach meiner Meinung dann erreicht, wenn Frauen und Männer bei gleichwertiger Qualifikation und Tätigkeit denselben Stundenlohn erhalten“, stimmten 97 Prozent der befragten Frauen und 92 Prozent der befragten Männer zu. Das klingt überwältigend.
Nach der Frauenquote kommt die Entgeltgleichheit
Erst im vergangenen Jahr verabschiedete der Bundestag Schwesigs Gesetz zur Frauenquote. Kritik daran musste sich die SPD-Ministerin insbesondere dafür gefallen lassen, dass vor allem ohnehin finanziell gut gestellte Frauen in aussichtsreicher beruflicher Position davon profitieren.
Schwesig hat gehört und liefert einen Entwurf für ein „Gesetz zur Förderung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern“: Gleichwertige Arbeit soll von nun an auch gleich entlohnt werden. Das klingt fair. Auf Wunsch der CDU würde das Gesetz nur für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern gelten. Damit soll kleineren Betrieben bürokratischer Aufwand erspart werden, der Entwurf sieht nämlich ausführliche Berichtspflichten vor. Am Ende wären ungefähr 6000 Unternehmen von der Reform betroffen. Wie die FAZ aus dem Kanzleramt erfuhr, soll die Union inzwischen nachgegeben haben, der Entwurf sehe nun vor, dass das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern gelte.
Aber was steht drin im Entwurf der Wissenschaftlerin Karin Tondorf, die regelmäßig das Bundesfamilienministerium, Gewerkschaften und politische Stiftungen zur Entgelt- und Gleichstellungspolitik berät? Man hat sich, wie auch schon bei der Frauenquote, am skandinavischen Vorbild orientiert. In Schweden gibt es einen individuellen Auskunftsanspruch. Mit einem Anruf beim Finanzamt kann jeder erfahren, welcher Mitbürger wie viel verdient. In Deutschland sollen Arbeitnehmer in größeren Unternehmen bald einen Auskunftsanspruch für „Informationen über eine gleiche Tätigkeit oder eine gleichwertige Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber, die überwiegend von den Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt werden, erhalten“. Konkret sieht das Gesetz auch vor, dass jeder Arbeitnehmer den Durchschnittslohn von fünf seiner Kollegen erfahren darf. Außerdem sollen nachvollziehbare Kriterien festgelegt werden, nach denen die eigene Tätigkeit eingestuft und bezahlt wird. Das soll vor allem Frauen bei Gehaltsverhandlungen helfen.
Diskriminierung ist das kleinste Problem
Das liest sich erstmal gut. Es löst aber mitnichten das eigentliche Problem. Glaubt man einer 2013 veröffentlichten Studie von Oliver Stettes, Wissenschaftler am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, beträgt die bereinigte Lohnlücke weniger als zwei Prozent. Von der „bereinigten Lohnlücke“ spricht man in der Wissenschaft dann, wenn bei der Berechnung des Zusammenhangs zwischen Lohnlücke und Geschlecht andere Ursachen, die den Zusammenhang erklären könnten, herausgerechnet werden. Und diese Studie ist vermutlich die hilfreichste, wenn es darum geht, die Wirkung des neuen Gesetzes abzuschätzen. Laut IW Köln ergebe sich die 25-prozentige Lohnlücke nicht durch systematische Diskriminierung. Vielmehr gebe es andere Gründe: Frauen arbeiten nach wie vor sehr viel häufiger in der Pflege, der Kinderbetreuung und anderen helfenden Berufen. Und die sind schlecht bezahlt. Außerdem gehen sie häufiger einer Teilzeitbeschäftigung nach.
Einen erstaunlichen Einfluss habe zudem die Dauer der Berufsausübung, beziehungsweise die Betriebszugehörigkeit. Frauen, die nach der Geburt eines Kindes eine maximal 18-monatige Berufspause einlegen, hätten nur noch eine Gehaltslücke von weniger als zwei Prozent zu Männern, die im gleichen Beruf in gleicher Position arbeiten.
Unter der Babypause leidet die berufliche Qualifikation
In einem Jahr lernt man in den meisten Berufen viel dazu, auch wenn es einfach nur die Vertiefung und Automatisierung von Routinetätigkeiten ist. Deshalb hat eine Frau nach der Babypause keine „gleichwertige“ Qualifikation mehr. Frauen haben vielerorts noch nicht die Wahl, ein Kind großzuziehen, ohne dass ihre berufliche Qualifikation darunter leidet. Das ist das Problem und darauf weiß auch der Gesetzentwurf keine Antwort. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung hat es mit dem Rechtsanspruch für einen Kitaplatz, dem Prestigeprojekt von Ex-Familienministerin Ursula von der Leyen, gegeben. Insbesondere um die Qualität der neuen Einrichtungen sicherzustellen, gäbe es noch eine Menge zu tun. Die öffentliche Aufmerksamkeit kann man aber natürlich nicht gewinnen, wenn man „nur“ Gesetze nachbessert.
Eine Angestellte wird nichts davon haben, wenn sie vom Vorgesetzten Einsicht in die Kriterien für ihre Gehaltseinstufung fordert. Denn wenn eine Lohnlücke existiert, dann mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer Berufspausen. Und jeder Arbeitgeber hat gute Gründe, wenn er das bei der Einstufung berücksichtigt.
Helferberufe sind schlecht bezahlt
Am wahrscheinlichsten ist ohnehin, dass die Arbeitnehmerin feststellen wird, dass in ihrer Branche die Männer ebenso wenig verdienen wie sie – weil sie einer Berufsgruppe angehört, die generell ein geringes Einkommensniveau hat.
Und für die Lösung dieses Problems braucht es neue, innovative Ideen. Zunächst müssen junge Menschen ehrlich von Eltern, Lehrern und Berufsberatern hinsichtlich der finanziellen Aussichten in ihren Wunschberufen aufgeklärt werden. Vielleicht ist das im Gesetzesentwurf in Artikel drei gemeint. Dort wird das Ziel ausgegeben, die „geschlechterbewusste Berufsberatung (junger) Frauen und Männer (…), die den gesamten Lebensverlauf in den Blick nimmt, vom Berufseinstieg bis zur Rentenzeit“ zu stärken. Mehr würde man wohl auf Länderebene erreichen, wenn man mehr Vielfalt und Wettbewerb im Bildungssektor erlaubt. Es braucht gute Schulen mit Ausbildungswegen, die das Interesse an technischen und naturwissenschaftlichen Themen wecken, vielleicht auch mehr Kooperationen mit Universitäten.
Man sollte Weiterbildungsangebote für Frauen im Pflege- und Fürsorgebereich schaffen, die sie mit kaufmännischen Grundlagen ausstatten und den gesetzlichen Bestimmungen zur Gründung eigener Unternehmen in der Branche vertraut machen. So könnten sie selbstständig ihr Glück versuchen. Und vor allem braucht es eine größere gesellschaftliche Anerkennung für die betroffenen Berufsgruppen in Pflege- und Hilfsberufen, völlig egal, ob da männliche oder weibliche Arbeitnehmer am Werke sind. Ob das dadurch erreicht wird, dass die Ausbildungen verändert werden, mehr Spezialisierung und Weiterbildung ermöglicht wird oder durch mehr Wettbewerb in den Branchen der Wert der Arbeitskraft steigt – all das sind Schritte, über die man diskutieren kann und sollte. Leider taugen viele kleine, aber effektive Maßnahmen nicht zum politischen Paukenschlag einer Familienministerin mit Kanzlerambitionen.
Noch ist Zeit für eine Überarbeitung
Das wichtigste Projekt von Familienministerin Manuela Schwesig hat es nicht einmal mehr in die erste Lesung geschafft, trotz überparteilicher Unterstützung. Nun ist Sommerpause in Berlin. Erst Anfang September steht das Gesetzesvorhaben wieder auf der Tagesordnung. Schwesig nutzt die Pause, vor kurzem veröffentlichte sie einen eigenen Beitrag in der Zeit. Momentan könnte der Entwurf noch an der Debatte um die Mitarbeiteranzahl der betroffenen Unternehmen scheitern. Das wäre gar nicht so verkehrt. Der aktuelle Entwurf ist ein Placebo gegen Lohnungerechtigkeit.