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Flüchtlingsdebatte - Der Linkspopulismus ähnelt rechten Ressentiments

In den vergangenen Jahren feierte der Linkspopulismus – befeuert durch Euro- und Finanzkrise – fröhlich Urständ. Doch in der Flüchtlingskrise werden Irrtümer und Fehlkonstruktionen des Konzepts offenbar

Autoreninfo

Robert Pausch ist Journalist an der Henri-Nannen-Schule.

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Lange Zeit hatte der Begriff des Populismus negativen Klang. In der politischen Auseinandersetzung diente er dazu, den politischen Gegner als Falschspieler zu entlarven, als jemanden, der verkürzt, wo die Realität komplexer ist, der emotionalisiert, klischiert, kurz: gegen Spielregeln des rationalen politischen Diskurses verstößt.

Mit dem Aufkommen und der Etablierung populistischer Linksparteien in Griechenland und Spanien wandelte sich indes auch die Konnotation des Populismusbegriffs. Wer nun in linken Kreisen von Populismus sprach, der dachte zuvörderst an die vitalen Bewegungsparteien Syriza und Podemos, bewunderte deren charismatische Anführer und träumte von einer ähnlichen Mobilisierung der „Subalternen“, auch in Westeuropa. Der linke Populismus galt als Gegenentwurf zu dem als verknöchert und technokratisch verspottetem Auftreten der europäischen Sozialdemokraten, die, so die Kritik, eben bloße Ja-Sager, Apparatschiks und Sachverwalter seien.

Auch nachdem der griechische Anti-Austerity-Kurs scheiterte und die Zustimmung für Podemos in den Umfragen abflaute, konnte die Idee eines linken Populismus ihre Faszinationskraft bewahren. Linke wie auch einzelne Sozialdemokraten debattieren über eine notwendige populistische Wende, die taz titelt „Populismus? Ja, bitte“. Und Jakob Augstein, der schon vor einigen Wochen dazu aufrief, dass die Menschen in Heidenau statt gegen Asylbewerberheime lieber gegen Banken demonstrieren sollten, schrieb jüngst seinem Freitag zum 25-Jährigen den Linkspopulismus als journalistisches Programm ins Stammbuch.

Stichwortgeber des Linkspopulismus


Die intellektuellen Fixpunkte der Künder eines linken Populismus sind insbesondere die Schriften des belgisch-argentinischen Politikwissenschaftler-Ehepaars Chantal Mouffe und Ernesto Laclau. In seinem 2005 erschienenen Buch „On populist reason“ entwickelt Laclau die Theorie einer Äquivalenzkette, entlang der die Nicht-Privilegierten ihre individuellen Enttäuschungen und unerfüllten Ansprüche miteinander in Beziehung setzen und so die Voraussetzung für populäre Solidarisierung schafften. Diese müsse, so Laclau, gegen den „soziopolitischen Feind“, die abgehobenen Machthaber und wirtschaftlichen Eliten in Stellung gebracht werden, wozu es einem „leeren Signifikanten“, einer Projektionsfläche bedürfe. Um die heterogenen Interessen zu vereinen, muss diese Projektion möglichst unbestimmt und vage bleiben. Oft reiche ein bloßer Name, „häufig der eines Führers“, schreibt Laclau in einem Aufsatz.

Chantal Mouffe sieht den Linkspopulismus als notwendiges Moment zur Repolitisierung des öffentlichen Raumes. Der neoliberale „Konsens der Mitte“, die Nivellierung programmatischer Differenzen zwischen ehemals progressiven und konservativen Parteien, habe zu einer „postpolitischen Situation“ geführt. In der könnten nun Parteien reüssieren, die jene Interessen vertreten, „die im bestehenden repräsentativen System keine Mitsprache zu haben glauben“. In einem Essay für das IPG-Journal kommt Mouffe zu dem Schluss, dass „die entscheidende Konfrontation“ der nächsten Jahre zwischen dem linken und dem rechten Populismus stattfinden wird. Denn, so Mouffe, während die Rechten ihren Populus durch ethnische Homogenität und Fremdenfeindlichkeit konstruierten, entstehe die „Einheit des progressiven Volks“ nicht durch den Ausschluss von Migranten, sondern den gemeinsamen Gegner, die „politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus“.

Zwei Seiten derselben Medaille: guter und böser Populismus


Man muss nun kein Freund des modischen Querfront-Geraunes sein, um mit einer solch instrumentellen Politikvorstellung Probleme zu haben. Denn die für Visionäre des Linkspopulismus konstitutive Idee, gute (kapitalismuskritische) und böse (nationalchauvinistische) populäre Emotionen ließen sich disjunkt voneinander trennen, ist eben ein Produkt des akademischen Reißbretts und des linken Salons. Materielle Angst und kulturelles Ressentiment sind tatsächlich vielmehr eng miteinander verwoben, wie gerade die Flüchtlingskrise verdeutlicht.

Ein Blick in die Facebook-Kommentare der letzten Wochen lässt erahnen, wie sich Furcht vor Statusverlust mit Fremdenfeindlichkeit und der Verachtung für die „verlogene“ Eliten zu einem bedrohlichen Emotionsgeflecht verdichtete. Und zu glauben, der Chauvinismus der Dresdner Demonstranten lasse sich gleichsam progressiv umlenken, scheint doch zumindest reichlich optimistisch. Auch die nationale Emotionalisierung von Varoufakis und dem Podemos-Chef Iglesias, der den patriotischen „Volkswillen“ gegen eine abgehobene „Casta“ in Stellung zu bringen sucht, zeigt, dass die populistische Unterscheidung zwischen „dem Eigenen“ und „dem Anderen“ maßgeblich entlang nationalstaatlicher Grenzen verläuft. Und Beppe Grillo, der vor nicht allzu langer Zeit noch als linke Alternative zum Establishment gehandelt wurde, führt seine Fünf-Sterne-Bewegung im Stile eines Autokraten, polemisiert gegen Migranten und tat sich im Europaparlament mit der fremdenfeindlichen UKIP zusammen.

Gewiss, das Erstarken populistischer Parteien und Bewegungen ist stets auch Seismograph für gesellschaftliche Fehlentwicklungen und zuverlässiger Indikator, dass im Verhältnis zwischen sozialen Eliten, politischen Repräsentanten und dem „einfachen Bürger“ etwas nicht stimmt. Wo Modernisierung und Globalisierung für akademische Kosmopoliten Opportunitätsgewinne bedeuten, schaffen Veränderungs- und Beschleunigungsprozesse auf der anderen Seite Ängste, produzieren Verlierer. Die neoliberalen Umstrukturierungen der letzten Jahrzehnte schufen mithin den Wurzelgrund aus Ungleichheit und Unsicherheit, auf dem der Populismus jetzt gedeiht.

Nationalismus, Chauvinismus, Kleinstaaterei


Doch zeigt die sogenannte Flüchtlingskrise, auch und besonders aus linker Perspektive, wie sehr es gerade jetzt politischer Vernunft und langwieriger, oft ermüdender Mechanismen der Aushandlung und Kompromissfindung bedarf. Wenn nach jüngsten Umfragen annährend 60 Prozent der Menschen ohne Abitur angeben, Angst davor zu haben, dass „viele Flüchtlinge zu uns kommen“, dann muss zwischen den Skeptikern und Euphorikern einer Willkommenskultur vermittelt werden. Eine politische Linke sollte ökonomische Ängste nicht abtun, sondern ohne distinktives Gebaren offen diskutieren, dem Ressentiment und Fremdenhass indes selbstbewusst entgegentreten.

Andersherum: Die aktuelle Situation verdeutlicht, dass die Vision eines appel au peuple als rein sozioökonomische, gleichsam „zivilisierte“ Emotionalisierung mit der Realität wenig zu tun hat. Wer nach linkspopulistischer Manier danach trachtet, zwischen den „einfachen Leuten“ und den „Eliten“ zu polarisieren, der muss im selben Atemzug über geschlossene Grenzen und Aufnahmestopps für Asylbewerber reden. Mit globaler Solidarität, dem Eintreten für Schwache und liberaler Innenpolitik hat das recht wenig zu tun. Mit Nationalismus und Kleinstaaterei dafür umso mehr. Und nebenbei: Dass das Anheizen der Volksseele, das „Aufs-Maul-Schauen“ als Politikstil kaum zu steuernde Folgen mit sich bringt, mussten vor kurzem erst einige Ökonomen feststellen, deren rechtsbürgerliche „Professorenpartei“ AfD rasch zu Sammelbecken für Nationalromantiker und Fremdenfeinde wurde, die sich der ungeliebten Führung sodann entledigten.

Sorgenvolle Basis gegen aufgeschlossenes SPD-Establishment


Wie es anders gehen kann, zeigt das Beispiel der Wiener Sozialdemokraten. Diese reagierten auf die Bedrohung durch eine erstarkende FPÖ, indem sie die liberale Willkommenskultur gegen die Abschottungspolitik der Populisten in Stellung brachten. Statt, wie andernorts zu beobachten, Stück für Stück die Forderungen der Rechten in das eigene Programm einzuhegen, reüssierte die SPÖ in Wien durch Polarisierung. Zwar verloren die Sozialdemokraten in ihrer Stammklientel, den Arbeitern und kleinen Angestellten, konnten dafür jedoch Wähler von Liberalen, Grünen und der ÖVP abwerben.

Ob das Modell einer linksbürgerlichen Sozialdemokratie ein Kuriosum des urbanen Wiens bleibt oder in der Debatte um Asyl und Migration zur Blaupause taugt, ist abzuwarten. In der SPD scheint man derzeit bemüht, die eher sorgenvolle Basis und das eher aufgeschlossene Partei-Establishment beieinander zu halten, einen Konsens zu finden. Das ist anstrengend und elektoral nicht unmittelbar ertragreich, doch für eine demokratische Kultur wie eine freiheitliche Linke ebenso unverzichtbar.

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