Guido Westerwelle
Guido Westerwelle hielt in seiner legendären Rücktrittsrede auf dem FDP-Bundesparteitag 2011 in Rostock ein flammendes Plädoyer für die Freiheit / picture alliance / dpa | Wolfgang Kumm

Die FDP muss zu ihren Wurzeln zurückkehren - Wo bleibt der Liberalismus?

Nach dem Wahldesaster sucht die FPD nach ihrer Identität als liberale Partei. Fraglich ist allerdings, ob weiten Teilen der FDP noch bewusst ist, was Liberalismus historisch eigentlich bedeutet. Ein Blick in die Vergangenheit lohnt – auch auf eine legendäre Rede von Guido Westerwelle.

Autoreninfo

Jan Uphoff studiert Politikwissenschaft in Bremen und absolviert derzeit ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Seit einigen Wochen steuert Christian Dürr die Geschicke der Freien Demokraten. Zeitgleich erreicht die sich seit der Bundestagswahl in der außerparlamentarischen Opposition und der damit verbundenen Existenzkrise befindende Partei in Umfragen neue Tiefstwerte. Um aus dem selbst gegrabenen Loch herauszukommen und ins hohe Haus der deutschen Politik zurückzukehren, müsste sich die einst große Partei von Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle jedoch radikal neu erfinden – oder was noch besser wäre: zu ihren freiheitlichen Wurzeln zurückfinden.

Denn bei einer Partei wie der FDP, die seit Jahren einen Spagat vollzieht, der es ihr ermöglichte, den Freiheitsbegriff je nach Notwendigkeit beliebig neu auszulegen, hat das Land dringlichsten Bedarf an einem neu organisierten, authentischen Liberalismus. Freilich – nicht das, was zahlreiche Ampelminister unter jenem zur Floskel verkommen Konzept verstanden. Viel mehr ist die Rede vom historischen Liberalismus, der Freiheit nicht als Selbstzweck wie in weiten linksliberalen Kreisen, sondern in Verbindung mit Verantwortung für das eigene Handeln als höchste Tugend hervorhebt. Kurzum: klassischer Liberalismus im eigentlichen Sinne des Wortes.

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Christoph Kuhlmann | Mo., 23. Juni 2025 - 05:35

Die FDÜ wurde lange Zeit als Partei der Wirtschaftsfreiheit wahrgenommen. Daran hatte Westerwelle durch den Rauswurf der Judos und die Kunstgeburt der Julis entscheidenden Anteil. Ich kam aus einem Ortsverein, der einerseits von der Judo Zentrale beaufsichtigt wurde, während diese vom der Partei beaufsichtigt wurde. Ich fand das eher abstoßend und dirigistisch, besonders die Drückertypen die Westerwelle vorbeischickte, angeblich um uns für die Julis zu motivieren. Möglicherweise auch um uns endgültig los zu werden. Die FDP hat seitdem keinen linken Flügel mehr und die Leute, die sich für die bürgerlichen Freiheiten einsetzten sind knapp geworden. Dabei hätte sie gerade in der Ampel an Profil gewinnen müssen. Wer braucht schon eine Partei, die wie ein Vogel mit einem Flügel alle paar Jahre aus dem Bundestag fliegt, wer braucht eine FDP, die keine Regierungserfahrung hat. Ich hatte sie 2021 gewählt, aber was die Ampel an Dirigismus und Kosten verursachte hat, hat mich erschüttert.

Detlev Bargatzky | Mo., 23. Juni 2025 - 06:12

... bei Westerwelle fällt mir sofort wieder Mövenpick und die Reduzierung der MWSt für Hotels ein. Und das war sicher kein Vorzeigebeispiel für Liberalismus sondern eines für (schön geredete) Korruption.

Elisa Laubeth | Di., 24. Juni 2025 - 07:32

Antwort auf von Detlev Bargatzky

Der angebliche Mövenpick-Skandal wird immer dann von den Gegnern der Liberalen zitiert, wenn sonst keine sachlichen Argumente zur Verfügung stehen. Richtig ist, dass es in der Regierung 2009 Konsens war mit Steuersenkungen für Hotels nach der Wirtschaftskrise 2008, an die sich viele nicht mehr erinnern, die Konjunktur anzukurbeln. Ob das sinnvoll war wäre zu diskutieren. Grössere Wahlkampfspenden sind nicht illegal. Mit Korruption hat das nichts zu tun, das ist ein schwerer, dazu falscher Vorwurf. In diesem Zusammenhang müsste man z.B. auch das SPD Medienimperium unter die Lupe nehmen. Oder die vielen staatlich geförderten NGOs , die zum Teil recht offen parteipolitisch positioniert sind. Es ist wie immer kompliziert.
Liberal sein, heißt auch den Dingen auf den Grund gehen und nicht einfach die Erzählungen der linken Presse zu wiederholen..,

Urban Will | Mo., 23. Juni 2025 - 08:17

Und da ist das Volk der Deutschen als Ganzes sehr ambivalent. Der weitaus größte Teil kann und konnte noch nie etwas mit der Freiheit anfangen, weil sie nun halt mal anstrengend ist. Selbstständiges Denken ist vielen nicht geheuer. Der Deutsche will Führung, will, dass andere für ihn denken. Wenn er nach „Freiheit“ ruft, dann meint er, dass er in Ruhe gelassen werden will.
Er duckt sich weg und lässt sich vorführen. Nie war das eindeutiger und brutaler zu sehen als bei Merkels Grenzöffnung, die millionenfach freiheitsverachtende, intolerante, in großen Teilen rücksichtslos brutale Menschen zu uns brachte. Die Zerstörung unserer kulturellen Basis läuft auf Hochtouren und wir tanzen dazu unter dem Regenbogen. Man kann ein Volk nicht daran hindern, sich selbst zu zerstören, letztendlich ist auch das ein Stück „Freiheit“, so pervers es sich anfühlt.
Die FDP wird wohl nicht mehr auferstehen und die neue Freiheitspartei AfD wird per „Befehl“ von oben von der Mehrheit ausgegrenzt.

die Summe der deutschen Bevölkerung gesehen, nichts mit der errungenen Freiheit anfangen können, sehe ich nicht so.
Meine Eltern wuchsen in der sowjetischenBesatzungszune auf. Erlebten den 17. Juni. Ich, den Einmarsch in die CSSR 68.Meinen Vater habe ich ausgelacht, wenn er über den Sturtz des SED Regime redete. Warum? Nicht weil ich ein „Überzeugter“ war sondern die sozialistische Idee in Rußland rd. 70 Jahre andauerte und ein Ende nicht in Sicht war. Um so erstaunlicher der in Polen eingeleitete Kurs, ein Russland, auf Reformen setzend, und razzi fazzi war’s aus mit der DDR …..
Eine Freiheit, die man nicht kannte ! Die freie Wahl, bei der es niemand störte, wenn man 17.30 wählte mit offenem Ergebnis.
Seine Arbeitskraft selbst vermarkten muss, arbeiten in dem sich die Ausbildung als Dipl. Ing, die sich auch ohne SED Mitgliedschaft endlich auszahlte.
Aus Angst, die Freiheit wieder zu verlieren, wählt der „Osten“ eben „anders“
um seine Freiheit eben nicht zu verlieren.
MfG ad ErfRep

Wolfgang Borchardt | Mo., 23. Juni 2025 - 08:29

Untergang einer Partei. Es geht um Schlimmeres. Die FDP hat der Demokratie schweren Schaden zugefügt. Noch wie war eine liberale Oppositionspartei wichtiger als jetzt, da Links-Grün die Deutungshoheit besitzt. Nie hätte die FDP mehr Stimmen sammeln können. Erwartbar ist das Gegenteil eingetreten: Konformismus und Verfall. Dass die "Rückkehr zu den Wurzeln" erforderlich ist, ist eine so banale wie undurchsetzbare Wunschvorstellung, A l l e s, eben auch die FDP, ist links-grün durchtränkt, an die Stelle des Liberalismus sind die alten deutschen Tugenden des Konformismus und Denunziantentums getreten - wichtige Überlebens und Karrierestrategien, die sich in einer langen Kette von Diktaturen ausgeprägt haben.

Die Mitverantwortung von Guido Westerwelle für den Verfall der FDP wird im Beitrag weitgehend ausgeblendet. Reden über liberale Grundsätze ist das eine, das entsprechende Handeln blieb aus. Im Bundestagswahlkampf 2013 ließ er sich von Merkel pulverisieren, und der Wiederaufstieg durch Christian Lindner scheiterte an dessen Ego. Strack-Zimmermann und Buschmann: mit dieser Mixtur ist nach der Wahl ein Vaterschaftsurlaub für den Vorsitzenden fast unausweichlich.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 23. Juni 2025 - 09:34

also nur für den Fall, dass mir zum Artikel nicht so schnell etwas Intelligentes einfällt und das hohe Niveau dieses Artikel fordert es ein,

Guido Westerwelle
RIP

Ernst-Günther Konrad | Mo., 23. Juni 2025 - 14:38

Erinnern wir uns noch an Möllemann? Der Mann dessen Tod heute noch Fragen aufwirft? Ein Liberaler durch und durch. Und Scheel mit seinem gelben Pullover sang auch noch das Lied der Liberalen. Aber bereits mit Westerwelle nach einem kurzen Hype begann die Aushöhlung des Liberalismus. Die FDP schmierte ab und ein Philipp Rösler wurde letztlich als Niete aus dem FDP-Loos Dose gezogen, der sich nur zwei Jahre hielt und danach begann Lindner seine One-Man-Show. Die FDP wäre heute noch da, wäre sie nicht der Macht verfallen und in die Ampel eingetreten und beerdigte dort die letzten Reste ihres liberalen Ansatzes. Mir ist egal, wer da inzwischen agiert. Für mich kann die FDP weg. Die hatte seit 1949 mehrfach die die Gelegenheit eine tragende Säule in der Parteienlandschaft zu werden, wurde aber immer nur als Mehrheitsbeschaffer genutzt und war ein politisches Leichtgewicht - eben nur Zünglein an der Waage-. Die FPF wird nicht untergehen, sie ist es bereits schon aus meiner Sicht. Und das zur

S. Kaiser | Mo., 23. Juni 2025 - 15:00

Danke für das Transkript dieser Westerwelle-Rede, die im Rückblick geradezu visionär (Corona, Klima) anmutet, und sich diametral entgegen zum Anspruch der Grünen positioniert. Genau 10 Jahre später hat dann die FDP durch ihre Beteiligung an der Ampel schlussendlich ihre liberale Seele verkauft. Den Verrat an der Stammwählerschaft teilt sie aber nicht nur mit der SPD, auch die CDU hat ihre Kernklientel sukzessive aus den Augen verloren.
Alle Etablierten verlieren durch ihre Anpassung an die grün-linke Hegemonie, weil sie die veröffentlichte Meinung für die öffentliche halten, sich von irgendwelchen Demos und Shitstorms beeindrucken und beeinflussen lassen, und nicht genügend Rückgrat haben, sich dem Meinungsmob entgegenzustellen.
An ein nochmaliges Comeback dieser Wackelpudding-FDP glaubt kein Mensch mehr. Zu Recht. Kann weg.

René Maçon | Mo., 23. Juni 2025 - 15:29

Von unserer formalen Ordnung her betrachtet, sollte es der Liberalismus in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich einfach haben. Schließlich stehen die Grundprinzipien des Liberalismus in den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes. Man müsste sich einfach nur dazu durchringen können, diese immer und immer wieder gegen die Feinde der Freiheit zu verteidigen - egal wo der Zeitgeist weht und was für die eigene Karriere gerade günstig erscheint.

Das Problem: Die Grundrechte wurden von der deutschen Bevölkerung nie dem Staat abgerungen. Sie wurden immer von oben verordnet.

Deshalb klafft ein Riss zwischen der formalen und der realen Ordnung Deutschlands. Die reale Ordnung hat noch immer sehr viel mehr mit dem altgermanischen Gefolgschaftssystem als mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Wer braucht da ein liberale Partei, die es mit liberalen Grundsätzen ohnehin nicht so genau nimmt? Hier gedeihen Parteien wir Bündnis90/DieGrünen und AfD sehr viel besser!