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100 Jahre Franz Josef Strauß - Ein Kosmos voller Widersprüche

Vor hundert Jahren wurde Franz Josef Strauß geboren. Bis heute ist er umstritten und bestaunt, als Politiker und auch als politischer Popstar, der zugleich zocken und zaudern konnte. Bilanz eines außergewöhnlichen Politikerlebens 

Autoreninfo

Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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„Das nämlich ist das Geheimnis der CSU: Dass alles in ihr Platz hat – das Reaktionäre und das Fortschrittliche, die Frömmigkeit und die Libertinage, der Einsatz für die kleinen Leute und der für den FC Bayern, den manche nicht ohne Grund mit der CSU verwechseln“. So hat Herbert Riehl Heyse von der „Süddeutschen Zeitung“  2002, ein Jahr vor seinem viel zu frühen Tod, die „Staatspartei“ CSU charakterisiert. Und diese Beschreibung passt nicht nur auf die CSU und auf den Freistaat Bayern – sondern auch auf den bayrischsten aller Politiker, auf Franz Josef Strauß.

Auch in ihm hatte alles Platz: das Reaktionäre und das Fortschrittliche, die Frömmigkeit und die Libertinage, der Einsatz für die kleinen Leute und der für die großen Konzerne, der verstockte Ideologe und der geschmeidige Realpolitiker, der Machtmensch und der Zauderer, der strategische Ökonom, der weitreichende industriepolitische Entscheidungen durchsetzte und der gierige Zocker, der anfällig für Affären und Skandale war, weil er zwischen öffentlichem und privatem Geld nicht genau genug unterschied.

Ein Popstar der Politik
 

Franz Josef Strauß, am 6. September 1915 in München geboren, war immer umstritten und ließ niemanden kalt. Keiner hat so die Gemüter erhitzt, kaum ein anderer Politiker aus den jungen Jahren der Bundesrepublik – außer vielleicht Herbert Wehner – wurde von seinen Anhängern so inbrünstig verehrt und von seinen Gegnern so heftig geschmäht wie er. Wenn er in Wahlkämpfen schwitzend, stampfend und dampfend durch die Bierzelte der Republik zog, wurde er von seinem Publikum wie ein Popstar gefeiert. Dabei wollte er, wie er selbst einmal sagte, weder als „Heiliger“ noch als „Dämon“ wahrgenommen werden, sondern eigentlich nur als „ein Mensch in seinem Widerspruch".

In Bayern gehörte er zu den jungen Leuten, die gleich nach dem Krieg die CSU formten. 1949 wurde er deren Generalsekretär, 27 Jahre – von 1961 bis zu seinem Tode 1988 – war er ihr Vorsitzender. Zwölf Jahre war er Bundesminister in verschiedenen Ressorts, zehn Jahre bayerischer Ministerpräsident. Unter seiner Führung wandelte sich das einstige Agrarland Bayern zur Hightech-Region. Der technikbegeisterte Strauß, der im reifen Mannesalter selbst das Fliegen lernte, gründete das Luftfahrtunternehmen Airbus, bewahrte den Autobauer BMW vor der Pleite, verschaffte dem Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei saftige Aufträge, ließ gegen mannigfache Widerstände den Rhein-Main-Donau-Kanal bauen, sanierte die Infrastruktur des Landes und setzte sich mit dem riesigen Flughafen im Erdinger Moos, der seinen Namen trägt, ein bleibendes Denkmal.

Sein berstendes Ego ließ ihn immer vorneweg marschieren – schon in der Schule war er Primus. Er war rhetorisch brillant, überdurchschnittlich gescheit, ein begnadeter Polemiker und Vereinfacher. Das hob ihn heraus und machte ihn schon in jungen Jahren zu einem der bekanntesten Politiker.

Und natürlich seine Affären und Skandale. Sie begleiteten ihn seit Ende der 50er Jahre. „Onkel Aloys“, „HS 30“, „FIBAG“, „Starfighter“ hießen die Stichworte. Dabei ging es immer um Geld und Vetternwirtschaft in Verbindung mit teuren öffentlichen Aufträgen, die der Verteidigungsminister Strauß zu vergeben hatte.

Sonderkonten und anonyme Spenden
 

Schon 1965 urteilten Richter des Landgerichts München, es könne „keinem Zweifel unterliegen, dass ihm der Geruch der Korruption“ anhafte. Überführt und verurteilt wurde er allerdings nie.

Jüngst aufgetauchte Unterlagen aus seinem Nachlass scheinen jedoch zu belegen, dass die Verdächtigungen nicht aus der Luft gegriffen waren. Strauß hat, als stiller Teilhaber einer Briefkastenfirma, jahrzehntelang von Unternehmen und Unternehmern Geld für eine angebliche Beratungstätigkeit bekommen, deren Art und Umfang völlig vage war. Weil er partout nicht in Erscheinung treten wollte, wurde sein Engagement juristisch geschickt verschleiert. Seine Firmenanteile wurden treuhänderisch von seinem Intimus Reinhold Kreile gehalten. Niemand sollte wissen, dass hinter „Eureco Büro für Wirtschaftsberatung GmbH und Co KG“ Franz Josef Strauß und seine Ehefrau Marianne steckten.

Die gleiche Konstruktion hatte Strauß schon Mitte der 1960er Jahre davor bewahrt, als stiller Teilhaber einer Baufirma namens „Bau Union“ in Erscheinung zu treten, deren Pleite im Freistaat Bayern seinerzeit erheblichen Wirbel verursachte. Hier war Strauß-Intimus Fritz Zimmermann derjenige, der die Anteile des CSU-Politiker treuhänderisch hielt. Wie Strauß damals darum kämpfte, nicht persönlich für die Pleite haften zu müssen, die sein Renommée als Finanzminister der Großen Koalition erheblich beschädigt hätte, konnte man in den Akten seines Schatzmeisters Wolfgang Pohle nachlesen, die 1996 auf einem Trödelmarkt in Sankt Augustin bei Bonn gefunden wurden. Aus diesen Unterlagen ging auch hervor, dass Strauß viel Geld, das der Partei anonym gespendet wurde, auf „schwarzen Kassen“ hortete, die beschönigend „Sonderkonten“ genannt wurden und über die nur er persönlich verfügte.

Wären diese Details schon damals bekannt geworden, hätten sie mit Sicherheit das Ende der politischen Karriere von Strauß besiegelt. Strauß hätte weder Finanzminister in der Großen Koalition bleiben, noch später Ministerpräsident von Bayern werden können. Sondern er hätte – wie später Helmut Kohl – erklären müssen, wer die anonymen Spender waren, die seine Kassen füllten. Kohl verlor darüber Reputation und Ehrenvorsitz. Strauß blieb das erspart, weil er acht Jahre vor der Entdeckung der brisanten Unterlagen starb.

Überschätzte Macht
 

In den späten 1950er und den frühen 1960er Jahren war es fast immer „der Spiegel“, der die frühen Affären des Verteidigungsministers Strauß aufdeckte und zum öffentlichen Thema machte. Die Redaktion setzte dem Bayern solange zu, bis Strauß versuchte, das Magazin zum Schweigen zu bringen und seinem Gegner Rudolf Augstein das Maul zu stopfen.

Der Spiegel“ wurde im November 1962 in einer Nacht- und Nebel-Aktion besetzt, Polizisten durchwühlten Redaktionsräume und Archive. Angeblich hatte das Blatt in einem Artikel über ein NATO-Manöver Staatsgeheimnisse veröffentlicht und Landesverrat begangen. Die Verhaftung Augsteins und seines Redakteurs Conrad Ahlers, der auf Betreiben von Strauß in Spanien festgenommen worden war, löste die bis dahin schwerste innenpolitische Krise der Adenauerzeit aus und kostete Strauß schließlich das Amt des Verteidigungsministers. Er hatte das Parlament belogen und musste gehen. Augstein wurde rehabilitiert und ging als Sieger vom Platz. Es war das erste Mal, dass Strauß sich selbst und seine Macht überschätzte – und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein.

Der zweite, an dem er sich die Zähne ausbiss, hieß viele Jahre später Helmut Kohl. Nie konnte der Bayer verkraften, dass der 15 Jahre jüngere „Filzpantoffelpolitiker“ (Strauß über Kohl) aus der Pfalz das Amt anstrebte, für das er selbst sich als den einzig Geeigneten hielt. Die Rivalität mit Kohl, schreibt der Historiker Horst Möller in seiner jüngst erschienenen Biographie,  „lähmte Strauß und bewirkte, befeuert durch sein Temperament und sein Impulsivität, seine Freude an der klärenden Kontroverse, aber auch dem kräftigen Austeilen, immer wieder ein unprofessionelles, unkollegiales und parteiunfreundliches Verhalten gegenüber dem ‚Parteifreund’ Kohl." Ja, er leistete sich sogar einige üble Ausfälle gegen ihn. Hier lag mit Sicherheit der größte politische Fehler seiner späten Jahre, zumal er sein Verhalten auch nach 1982/83 nur begrenzt mäßigte.

Es war ein langer und zäher Bruderkampf. Schon 1974 hatte Strauß in einer Rede vor der CSU-Landtagsfraktion in Sonthofen versucht, sich als Alternative zu Kohl zu empfehlen und die Union auf Total-Opposition zu trimmen. Seine Empfehlung, die „sozialistisch-liberale Bundesregierung“ (wie er sie nannte) koste es, was es wolle, niederzukämpfen – ganz gleich, ob das dem Land schade oder nicht, wies ihn als einen Mann aus, der das Wohl der Partei über das des Landes stellte.

Rhetorisches Talent als Handicap
 

Als zwei Jahre später Helmut Kohl knapp die Wahl gegen Helmut Schmidt verlor, geriet Strauß in Rage. In der Münchener „Wienerwald“-Zentrale wütete er vor Mitgliedern der Jungen Union nicht nur gegen Kohl, sondern auch gegen die „politischen Pygmäen der CDU, die nur um ihre Wahlkreise bangen, diese Zwerge im Westentaschenformat, diese Reclamausgabe von Politikern.“ Strauß: „Herr Kohl, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe, wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.

Eine fatale Fehleinschätzung aber typisch für Strauß. Der beherrschte zwar die Kunst der politischen Rede wie kaum ein anderer. Aber wenn er sich in Rage redete, verlor er jedes Maß und jede Beherrschung. Seine große rhetorische Begabung erwies sich dann als sein größtes Handicap. Bereits als junger Mann hatte er sich durch sein Gerede darüber, dass der Krieg ein Wahnsinn und nicht mehr zu gewinnen sei, in Gefahr gebracht. Dergleichen galt in der Nazizeit als Wehrkraftzersetzung und konnte mit der Todesstrafe bestraft werden. Er hatte Glück: Niemand verpfiff ihn. Und auch später war es, neben seinen vielen Affären und Skandalen, immer wieder sein loses Mundwerk, seine begnadete Beredsamkeit, die ihm den Weg nach ganz oben und ins Kanzleramt verbaute.

Zutreffend hat Helmut Schmidt, gegen den Strauß 1980 vergeblich als Kanzlerkandidat antrat, und mit dem er sich bestens verstand, den CSU-Politiker „ein Kraftwerk“ genannt – „ohne Sicherung“, wie er hinzufügte, „aber ein Kraftwerk“.

Strauß verachtete die Nazi- und die Sowjet-Diktatur, Stalin und Hitler waren für ihn die größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig aber hofierte er Diktatoren wie Pinochet, Mao und Franco, denen er sich im Kampf gegen den sowjetischen Kommunismus verbunden fühlte. In seiner Partei herrschte er uneingeschränkt – aber obwohl er selbst auftrat wie der Kinni im bayerischen Freistaat, unterschätzte er gelegentlich die Gefolgstreue seiner Untertanen. Dann reagierte er so, wie er es Willy Brandt gern polemisch unterstellte: als beleidigte Majestät.

Nicht nur Kohl schätzte er falsch ein, sondern auch die FDP. Strauß verübelte den Liberalen, dass sie der Union 1969 den schon sicher geglaubten Sieg genommen und sich mit der SPD zur sozial-liberalen Koalition zusammengetan hatten. Und er glaubte nicht, dass die FDP je wieder die Seite wechseln und zur Union zurückkehren werde: „Glaubt's mir nur eines,“ sagte er in der Wienerwaldrede, „dass ich mit Helmut Schmidt viel schneller einig bin, als der Helmut Kohl jemals mit Genscher einig werden wird. Weil dann mal endlich politische Gewichte gewogen, statt dass Schranzen nach ihren Opportunitäten gewürdigt werden.“ Es kam bekanntlich anders.

Auch die eigene Partei schätzte der Stratege Strauß gründlich falsch ein. Nachdem er 1976 in Wildbad Kreuth die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufgekündigt hatte, musste er wieder zurückrudern. Die Partei meuterte. Ganze Orts- und Kreisverbände drohten damit, aus der CSU auszutreten und mit Kohl zusammen im Freistaat für die CDU zu kandidieren.

Der Ideologe als Realpolitiker
 

Die größte politische Fehlleistung des Franz Josef Strauß war die Einschätzung der Deutschland- und Entspannungspolitik Willy Brandts. Strauß denunzierte den Versuch, mit der Sowjetunion und mit der DDR einen Modus Vivendi zu finden und das Leben der Menschen im geteilten Deutschland zu erleichtern als eine große Illusion. In Wahrheit werde mit dieser Ostpolitik nichts Anderes betrieben als sowjetische Westpolitik. Die Sowjetunion werde durch den Verzicht auf Gewalt ermuntert, die von ihr besetzten osteuropäischen Gebiete (einschließlich der DDR) für immer und ewig als ihr Eigentum zu betrachten. Deshalb sei die von Egon Bahr und Willy Brandt betriebene Politik grundfalsch, gefährlich und verfassungswidrig. Strauß bezeichnete sie als „Bruchpunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte... auf einer Straße, an deren Ende nur Unheil stehen kann.“

Das hinderte ihn freilich nicht, eben diese Politik der Verhandlungen und der menschlichen Erleichterungen später – als er bayerischer Ministerpräsident geworden war – mit Billigung des Kanzlers Helmut Kohl fortzusetzen und zu vertiefen.

Der Milliardenkredit für die DDR, den er 1983 in streng geheimen Gesprächen mit Erich Honeckers Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski einfädelte, war sein deutschlandpolitisches Gesellenstück und wies den einstigen Ideologen Strauß als Realpolitiker von staatsmännischem Format aus. Strauß folgte der gleichen Logik, die er einst bekämpfte. Und diese Logik entsprang der Einsicht, dass man die durch den Zweiten Weltkrieg geschaffenen weltpolitischen Realitäten anerkennen muss, um sie verändern und für die Menschen erträglicher machen zu können. Also machte auch er, wie vorher die SPD geführten Bundesregierungen, Geschäfte mit dem Osten: Für die Milliarden, die er im Westen locker machte, baute die DDR ihre Selbstschussanlagen ab und erlaubte Ausreisewilligen die legale Übersiedlung in den Westen.

Fest statuiertes Feindbild
 

Strauß musste dafür innenpolitisch einen hohen Preis zahlen. Die Nachricht vom Milliardenkredit schockierte einige CSU-Mitglieder so, dass sie sich zusammentaten und eine neue Partei gründeten. Die Republikaner wurden die schärfsten Konkurrenten am rechten Rand.

Verbal zog Strauß auch weiterhin gegen die Machthaber in Ost-Berlin und Moskau zu Felde, und denen war es auch ganz recht, von ihm verteufelt zu werden. So kam das Feindbild nicht in Gefahr, verwischt zu werden. Der von Bahr und Brandt in den 1960er Jahren konzipierte „Wandel durch Annäherung“ war für die kommunistische Führung viel gefährlicher als die Strauß Variante „Wandel trotz Abgrenzung“ und führte letztendlich dazu, dass 1989 die Mauer friedlich fiel.

Dass ausgerechnet sein Dauer-Rivale Kohl als Kanzler der Einheit in die Geschichte eingehen würde, hat Strauß nicht mehr erlebt. Er starb am 3. Oktober 1988 auf der Jagd. Zwei Jahre später wurde der Einigungsvertrag zwischen Bonn und Berlin ausgehandelt. Als es um die Frage ging, wann der in Kraft treten sollte, entschied man sich – auf Drängen Kohls – für den 3. Oktober.

Seitdem ist der Todestag von Strauß nationaler Feiertag. 

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