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Hartmann im Edathy-Ausschuss - Politisch erledigt, aber juristisch im Recht

Die Weigerung des „Schlüsselzeugen“ Michael Hartmann, im Edathy-Ausschuss weiter auszusagen, ist politisch verhängnisvoll. Der Ausschuss steckt jetzt in einer Sackgasse. Hartmann ist juristisch im Recht, aber politisch erledigt. Nach der Zetrümmerung seiner Glaubwürdigkeit muss niemand mehr fürchten, durch ihn belastet zu werden. Denn diesem Zeugen glaubt niemand mehr

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der so genannten „Kinderporno-Affäre“um den früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy hat bisher schon mehr enthüllt, als SPD und Union anfangs für möglich gehalten und vielleicht auch befürchtet haben. Deshalb war es richtig, dass Linke und Grüne ihn beharrlich forderten und schließlich durchsetzten.

Aber ob die Abgeordneten die Wahrheit jemals ganz enthüllen werden, ist jetzt wieder zweifelhaft. Nach der Weigerung Hartmanns, weiter zur Sache auszusagen, scheint sich nur zu bestätigen, was auf Protestumzügen zur Rettung des Abendlandes und an Stamm- oder Frühstückstischen ohnehin geglaubt und behauptet wird: Dass die da oben in der Politik sowieso nur lügen und betrügen und dass jeder nur darauf bedacht ist, dem anderen eins auszuwischen, um selbst oben zu bleiben.

Edathy und die Schurkenrolle
 

Erst lief das Drama in gewohnten Bahnen. Die Schurkenrolle schien mit Sebastian Edathy ideal besetzt. Er war den Sicherheitsbehörden bei einer Razzia in Kanada dadurch aufgefallen, dass er via Internet die Bilder nackter Kinder bestellte. Kinderpornos – das ist so ziemlich das Ekelhafteste. Wer sie besitzt oder bestellt, gehört nicht in den Bundestag.

Aber ganz so glatt ging es nicht weiter. Erst ließen die Sicherheitsbehörden die Dinge ziemlich lange schleifen. Dann drang die Angelegenheit bis zur politischen Spitze des Innenministeriums vor, der Rest ist bekannt: Der CSU-Amtsinhaber Friedrich informierte die SPD-Spitze über die Ermittlungen (weswegen er später gehen musste, obwohl er doch eigentlich nur Gutes tun wollte). Thomas Oppermanm damals Fraktionsgeschäftsführer und heute Chef der SPD-Fraktion zog Erkundigungen ein. Und bald tauchte auch Michael Hartmann auf: Er soll – so die Version der SPD-Führung – sich aus reiner Sorge um den Verdächtigten „gekümmert“ haben.

Grüne und Linke bezweifelten die edlen Motive und setzten den Edathy-Ausschuss durch. Und der schaffte das scheinbar Unmögliche: Im Laufe der Ermittlungen gab es eine erst allmähliche dann aber radikale Neubewertung der Akteure: Edathy schlüpfte aus der Rolle des vermeintlichen Bösewichts in die der verfolgten und verfolgenden Unschuld. Aus dem vermeintlichen Täter wurde auf wundersame Weise plötzlich das Opfer. Vorverurteilt nicht nur von den Medien, sondern auch von der eigenen Partei und von den Justizbehörden Niedersachsens. Er steht jetzt – glaubt man seinem Anwalt Noll, der gestern im Ausschuss dieses Szenario entwarf – fast schon auf einer Stufe mit dem zu Unrecht verfolgten Ex-Präsidenten Christian Wulff.

Der wackere Hartmann aber, der doch nur helfen und sich kümmern wollte, musste die undankbare Rolle des Lügners übernehmen. Seine Glaubwürdigkeit wurde durch eigenes Zutun, noch mehr aber durch Zeugen aus dem Umfeld Edathys vollständig zerstört. Eigentlich sollte er helfen, den des Kinderporno-Besitzes verdächtigten Genossen als Lügner zu überführen. Und die Parteioberen – insbesondere Oppermann – von dem Verdacht zu befreien, sie hätten mit seiner Hilfe versucht, Edathy zum Mandatsverzicht zu bewegen. Dabei hatte er sich so sehr in Widersprüche verwickelt, dass er nun – auch nach anderen Zeugenaussagen – selbst als Lügner dastand. Deshalb verweigerte er gestern die Aussage.

Das war ein glatter Affront. Und es war politisch und moralisch falsch. Denn nun bleiben viele Fragen offen, die nur Hartmann hätte klären können. Er blockiert die Aufklärung und schürt damit alle Ressentiments gegen die politische Klasse.

Juristisch im Recht
 

Aus Hartmanns persönlicher Sicht war die Aussageverweigerung allerdings das einzig Richtige. Er hat reichlich spät versucht, seine Haut zu retten, oder das, was davon noch übrig geblieben ist. Politisch ist er ohnehin erledigt. Niemand glaubt ihm noch ein Wort. Und ob er seiner Fraktion weiter angehören kann, wird sich noch zeigen. Aber das Recht, dies zu tun, hat er nun einmal.

Die Aussage verweigern zu dürfen, ist eine große Errungenschaft unserer vom Grundgesetz geschützten Rechtsordnung. Niemand darf genötigt werden, sich selbst (oder nahe Angehörige) durch eine Zeugenaussage zu belasten. Hartmann hätte sich dieser Gefahr ausgesetzt, wenn er weiter so drauflos erzählt hätte, wie bei seiner letzten Zeugenvernehmung.

Denn bei dieser Vernehmung hat er sich in eine Zwickmühle manövriert. Wenn er wirklich seinen Genossen Edathy vor den Ermittlungen der Justizbehörden gewarnt hätte, was dieser behauptet und er bestreitet, wäre er wegen Strafvereitelung dran. Er musste bei seiner Version bleiben, selbst wenn ihm das eine Anklage und möglicherweise gar eine Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage einbringt.

Wer nun von den beiden gelogen hat, Edathy oder Hartmann, können vermutlich nur noch die Gerichte klären. Politisch aber sind beide schon jetzt auf der Strecke geblieben.

Edathy wurde als Abgeordneter untragbar, weil er sich die Bilder nackter Kinder kaufte. Und Hartmanns Glaubwürdigkeit ist inzwischen derartig zetrümmert, dass niemand mehr seine Aussagen fürchten muss.

Selbst wenn er jetzt behauptete, er habe im Auftrag der SPD-Führung Edathy laufend über den Stand der Ermittlungen informiert, bliebe das wahrscheinlich folgenlos. Denn diesem Zeugen glaubt jetzt niemand mehr.

Für Überraschungen aber sind Untersuchungsausschüsse – das weiß man spätestens seit den legendären Ermittlungen beim Flick-Skandal in den 1980er-Jahren – trotzdem immer noch gut. Deshalb soll, muss und wird der Ausschuss weiter machen.

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