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Die Sekte

Als „Rotes Kloster“ ist die Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig in die Geschichte eingegangen. Die Partei lenkte, die Stasi überwachte die angehenden Redakteure. Nach dem Mauerfall hatten die einstigen „Funktionäre der Arbeiterklasse“ kaum Mühe, sich in der pluralen Medienwelt des Westens zurechtzufinden

Ostberlin zu Beginn der fünfziger Jahre. Am Berliner Ensemble begegnen sich ein Student und eine Studentin, die in Brechts Theater ein Praktikum absolvieren. Brigitte Klump studiert in Leipzig Journalistik, Wolf Biermann Politische Ökonomie. In Probenpausen lernen sie sich kennen, ein Gespräch ist überliefert: „Wahrheit besteht aus Taktik. Die ganze Wahrheit zuzulassen, würde dem Klassenfeind Spielraum einräumen.“ „So kann man nicht leben, Brigitte, sich mit Teilwahrheiten zufriedenzugeben.“ „Das ist besser, als dem Klassenfeind Argumente in die Hand zu spielen.“ „Wenn ihr so weitermacht, ihr Journalisten, bricht euch eines Tages alles zusammen. Die Taktik schließt die Lüge ein, wenn das der Taktik nützt. Und wenn die Lüge dann ans Licht kommt?“ Über dreißig Jahre später erinnert sich Brigitte Klump in ihrem Buch „Das rote Kloster“ an diesen Dialog, der grundsätzlicher kaum sein könnte. In ihrer erfolgreichen Autobiografie, die 1978 bei Hoffmann und Campe erschien und die die DDR so gern komplett aufgekauft und damit verhindert hätte, findet sie nicht nur ein Synonym für die journalistische Ausbildung in der ostdeutschen Diktatur, sondern bestimmt die Sicht des Westens auf dieses Institut der gelenkten Meinung bis heute. Sehr persönlich schildert Brigitte Klump, mit welchen Hoffnungen sie in die Villa in der Leipziger Tieckstraße einzieht. Nur wenig später wird das Studium an der Fakultät für Journalistik zur Belastung. Man liest, wie eigene Gedanken schwinden, wie aus taktischen Gründen die Unwahrheit gesagt wird, wie die Stimmung auf dem Campus zwischen Anpassung und Heuchelei schwankt. Die Partei hat immer recht, die Stasi stets den Überblick. Als der Druck zunimmt und sie merkt, dass zur Karriere auch der Verrat gehört, flieht sie nach Westberlin. „Wir hatten begriffen: Nur der Mensch ist wahrhaft privilegiert, der sagen kann, was er denkt“, lautet der letzte Satz ihres Buches. Es ist das einzige über das „Rote Kloster“ geblieben, und das einzige, das darüber berichtet, wie in den fünfziger Jahren „Produzenten von Ideologie“ ausgebildet wurden. In der Nachwendezeit ist für derlei Erinnerungen wenig Platz. Man hält sie für zu drastisch, für ein Protokoll aus der Zeit des Kalten Krieges, von der Zeit längst überholt. Westliche Zeitungshäuser und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten pflegen versöhnliche Gesten und praktizieren eine Politik der ausgestreckten Hand. Der damalige SFB-Chefredakteur und langjährige „Kontraste“-Moderator Jürgen Engert zum Beispiel hat kein Problem damit, ehemalige Redakteure der „Aktuellen Kamera“ zu beschäftigen. Und dies, obwohl er in seiner Sendung oft genug die Schwierigkeiten mit der Wahrheit in der Hauptnachrichtensendung der DDR angeprangert hatte. Gern gibt man zu, dass die Leipziger Ausbildung zwar zur Hälfte aus einer „gründlichen Aneignung des Marxismus-Leninismus“ bestanden habe, die stilistische und methodische Lehre allerdings erstklassig gewesen sei. Der Frieden mit dem „Roten Kloster“ ist schnell gemacht, und bis auf ein paar brisante Stasi-Fälle – man denke nur an den ARD-Sportredakteur Hagen Boßdorf – lassen sich die DDR-Journalisten geräuschlos in den gesamtdeutschen Medienpluralismus integrieren. Wer danach fragt, wie es denn gewesen sei, „ein Werkzeug ökonomischer Umerziehung der Massen“ gewesen zu sein, erhält meist zur Antwort: So etwas habe man nie gehört. Steht das also alles nur in den Lehrbüchern? Was war das „Rote Kloster“ wirklich? Eine elitäre Gesinnungsschule? Es gibt keine einfachen Antworten und keine klaren Wahrheiten. Hatte Brigitte Klump vor dreißig Jahren noch behauptet, die Stasi habe eine „Direktleitung zur Fakultät“ unterhalten, lassen sich dafür heute in der Birthler-Behörde kaum Beweise finden. Allerdings betrachtete die Stasi angehende Journalisten durchaus als ihresgleichen. Besonders die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) von Markus Wolf versuchte immer wieder, redaktionelle mit nachrichtendienstlichen Recherchen verbinden zu lassen. „Es ist auffällig, dass die HVA sich sehr für Journalisten interessierte, die zum Beispiel später für den Rundfunk oder das Fernsehen arbeiten sollten, vielleicht sogar zu Reisekadern aufstiegen“, sagt Herbert Ziem von der Birthler-Behörde. Leider lässt sich heute nicht mehr genau belegen, wie viele Redakteure sowohl für die Leser als auch für das MfS berichteten. Viele Akten der DDR-Auslandsspionage sind vernichtet. Allerdings dürften es nicht wenige „Multiplikatoren“ gewesen sein, heißt es in der Birthler-Behörde. Und die waren nicht nur IM-Kandidaten, sondern in Einzelfällen sogar Offiziere im besonderen Einsatz. Es wird vermutet, dass einer von fünf für die Stasi gespitzelt hat. Ein deutliches Indiz für den Stasi-Verdacht: das monatliche Kassieren der SED-Parteibeiträge. Das geschieht öffentlich und vor aller Augen. Astrid Kny, die im Wendejahr 1989 ihr Studium in Leipzig abschloss und als Volontärin der CDU-Zeitung Neue Zeit eher eine Außenseiterrolle am „Roten Kloster“ spielte, erinnert sich: „Die Parteibeiträge der SED-Genossen wurden meist in bar kassiert. Und da sich die Höhe prozentual zum Einkommen bemaß, konnte man sehen, dass einige mehr als nur 200 Mark Stipendium monatlich beziehen mussten. Die waren nun nicht alle bei der Stasi, aber einige bestimmt.“ Heute sitzt Astrid Kny im siebten Stock des Kanzleramtes und ist Referatsleiterin Presse für den Chef des Hauses, Thomas de Maizière. Leipzig liegt lange zurück, aber im Nachhinein erscheint ihr das „Rote Kloster“ keineswegs nur wie eine realsozialistische Propagandaschmiede: „Ich habe mir immer gedacht, ich will Journalistin werden und muss da durch, weil es die einzige Hochschule in der DDR war. Und dann habe ich eben die politische Ökonomie und den wissenschaftlichen Kommunismus an mir vorbeiziehen lassen.“ Sie beißt die Zähne zusammen, wenn sie in sozialistischer Militärpolitik unterrichtet wird, und ist aufmerksam, wenn es um Stilistik, Methodik und Logik geht. Dies, sagt sie, sei noch heute ihr Handwerkszeug. So wie sie denken viele, die in Leipzig studieren. Sie brauchen schließlich einen Abschluss. Wofür die Sprache geschult wird, ist kein Geheimnis. Astrid Kny spürt früh, dass die Sektion Journalistik am langen Arm der Abteilung Agitation und Propaganda des ZK der SED hängt und hier nur reüssieren kann, wer der Partei der Arbeiterklasse und ihren Ideen treu ergeben ist. Sie, die der Blockpartei CDU angehört, wird allenfalls geduldet. „Wenn montags SED-Parteiversammlung war, blieb meist die ganze Seminargruppe da, nur zwei oder drei Leute gingen raus. Das waren wir. In dieser Versammlung haben sie aber nicht nur über die Partei gesprochen, dort wurden zum Beispiel auch Prüfungstermine bekannt gegeben, von denen wir erst drei Wochen später erfuhren. Nicht-SED-Mitglieder wie ich bekamen obendrein einen Beobachter zur Seite gestellt, der dann über mich berichtete, ich sei zu individualistisch und würde immer nur mein Ding machen.“ Auch Susann Morgner, ebenfalls 89er Absolventin und heute Geschäftsführerin einer Agentur für Wissenschaftskommunikation, erinnert sich daran, wie groß der Druck auf all jene war, die ohne Parteibuch nach Leipzig kamen. „Es hieß immer, Journalismus sei eine politische Angelegenheit, zu der man sich bekennen müsse. Ich würde sagen, damals waren 90 Prozent der Studenten Mitglied der SED.“ Die Partei hat alles in der Hand, sucht die Studenten aus, die nach Leipzig kommen, und delegiert sie nach dem Studium in die Redaktionen. Das ZK lässt Journalismus im Sinne einer Profession lehren und fordert ein Bekenntnis. Wer auf Linie ist, darf zum Beispiel in den siebziger Jahren schon mal längere Haare tragen. Kein Wunder, dass das „Rote Kloster“ unter den Studenten auch den Spitznamen „Sekte“ trug. Von anderen Studenten in Leipzig werden die indoktrinierten Klosterschüler ein wenig belächelt, und das hat meist mit dem Inhalt des Studiums zu tun. Der Schriftsteller Reiner Kunze, in den fünfziger Jahren selbst hier Student, beklagt früh, dass es zu wenig sei, Journalisten nur mit den Lehren von Marx, Engels und Lenin auszustatten. Mitte der achtziger Jahre hat die DDR ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Es sind die Jahre, als sie sich mit aller Macht gegen Glasnost und Perestroika wehrt, sowjetische Filme zensiert und das Magazin Sputnik verbietet. Astrid Kny erinnert sich zwar, dass über Gorbatschows neuen Weg durchaus diskutiert wurde, mehr aber auch nicht: „Wenn man vernünftige Argumente hatte, brauchte man keine Angst zu haben, diese auch auszusprechen. Man musste aber in Kauf nehmen, dass man für die anderen ein wenig auch den Clown spielte. Die, die den Mund hielten, waren nicht etwa verbohrte Ideologen, die wollten einfach ihrer Karriere nicht schaden.“ Es kommt etwas in Bewegung, einige Studenten verlangen sogar Westfernsehen im Wohnheim. Doch ein Wandel zu einem ehrlicheren Journalismus wird daraus noch lange nicht. Jost-Arend Bösenberg schreibt in seinem Buch über die „Aktuelle Kamera“ (Verlag für Berlin Brandenburg), dass keine einzige Diplomarbeit die Gorbatschow’sche Politik zum Thema hatte. Je mehr sich die DDR abschottet, desto grotesker wird die Berichterstattung. An der Leipziger Sektion gibt es einige, die das Spiel nicht mehr mitmachen und dem Beispiel Brigitte Klumps folgen. Sie steigen aus und wechseln den Beruf. Wie Bösenberg schreibt, werden an der Sektion Journalistik erst am 20. Oktober 1989 34 Thesen zur Erneuerung des DDR-Journalismus verabschiedet: „Doch schon im ersten Punkt dieses neuen Programms war nur eine partielle Veränderung zum alten Denken spürbar: ‚Unsere Überlegungen zum sozialistischen Journalismus in der DDR gehen davon aus, dass die Macht der Arbeiterklasse unantastbar ist, wie auch die Bourgeoisie die Macht des Kapitals nicht zur Disposition stellt.‘“ Es ist weiterhin von einem „sozialistischen Journalismus“ die Rede, der die „ideologische Auseinandersetzung mit dem Klassengegner (…) allseitig und kontinuierlich“ führen soll. Nur ein Jahr später ist der Klassengegner in Gestalt von Karl Friedrich Reimers in Leipzig. Der bekannte Medientheoretiker aus München hält seine erste Vorlesung als Gründungsdekan des neuen Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Das „Rote Kloster“ ist Geschichte. Man versucht jetzt, an das traditionsreiche Institut für Zeitungskunde anzuknüpfen, das zwei deutschen Diktaturen zum Opfer gefallen war. Reimers, der aus München kommt, steht vor den Überresten einer „Missionsschule“, wie sie 1951 gegründet und immer weiter ausgebaut wurde. Überheblichkeit schlägt dem Gast aus dem Westen entgegen: „Da saßen 500 Studenten, nicht wenige davon waren Funktionärskinder, die die Dozenten erst mal sehr reserviert betrachteten. Ich war für die ein Kapitalist. Gleichzeitig merkten sie, dass das alte System nun wirklich zusammengebrochen war. Um in der neuen Medienwelt zu überleben, brauchten sie ein hohes Anpassungsvermögen, fast im Sinne einer altkommunistischen Partisanentaktik.“ Reimers räumt auf, trennt sich von MfS-belasteten Dozenten und kommt seinem Traum von einem europäischen Kommunikationsinstitut immer näher. Der Westen habe die, die damals noch jung waren und noch nicht der Partei verfallen, einfach auf seine Seite gezogen: „Warum auch nicht, wir wollten doch zusammenleben. Es gibt einige, die vom SED-Sozialismus noch nicht stigmatisiert waren und heute ihren Weg machen.“ Inzwischen ist die gesamtdeutsche Medienlandschaft gut durchmischt, gerade auch in den neuen Ländern. Bei den ehemaligen SED-Bezirksblättern stimmt die Auflage, viele Redakteure beschreiben ihre Tätigkeit als Dienstleister, nicht unbedingt als Meinungsmacher. Auch das ist spätes Erbe von Leipzig. Doch die Leser und Zuschauer sind zufrieden. Und so bleibt die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, fast eine einsame Ruferin, wenn sie beklagt, dass über den „Kulturschaden“, den vierzig Jahre DDR-Journalistik in den Seelen angerichtet hätten, doch geredet werden müsse. Es ist noch nicht zu spät. Foto: Picture Alliance

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