Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()
Die Lügen des Präsidenten: Gerhard Schröder über George W. Bush.

Der ehemalige Bundeskanzler über die Kriege im Irak und in Afghanistan, über die globale Finanzkrise, sein Verhältnis zu Amerika und Russland und über das selektive Gedächtnis des früheren US-Präsidenten George W. Bush.


Herr Schröder, haben Sie schon einen Blick in die Biografie von George W. Bush werfen können? Das habe ich nicht, ich habe aber die mich betreffenden Zitate zur Kenntnis genommen. Er beschreibt Sie als einen der „am schwierigsten zu durchschauenden Staatsmänner“. Sehen Sie das als Kompliment oder als Beleidigung? Was meine „Durchschaubarkeit“ angeht, so hängt sie ja auch vom Betrachter ab. Bushs Ärger über Sie konzentrierte sich auf die Frage aus dem Jahr 2002, ob Deutschland am Irakkrieg teilnehmen werde oder nicht. Angeblich hätten Sie zugesagt. Wie war das eigentlich ganz genau? Es war ja bekannt, dass die USA in den Krieg ziehen wollten. Ich war der Auffassung, dass die im Lauf der Jahre 2002/2003 gegebenen amerikanischen Begründungszusammenhänge für eine militärische Intervention im Irak nicht ausreichen. Es ging um Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen. Die Begründungszusammenhänge für den Krieg sind ja immer öfter verändert worden. Am Anfang standen der Vorwurf und die Behauptung, dass Al Qaida wie in Afghanistan auch im Irak tätig sei. Und ich habe in einem Gespräch mit Präsident Bush deutlich gemacht, dass für den Fall, dass dies stimme, für uns natürlich die gleiche Vorgehensweise zu gelten habe, wie er sie in Afghanistan praktiziert habe. Das war jenes berühmte Gespräch im Januar 2002 im Oval Office, und die Beteiligten haben sich ja zum Wahrheitsgehalt von Bushs Erinnerungen daran auch geäußert. Staatssekretär Kastrup und Botschafter Ischinger haben sie als falsch bezeichnet. Ja, insofern ist die Sache jedenfalls für mich erledigt. Wie war denn die Erkenntnislage der deutschen Nachrichtendienste über die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak? Die Frage der Nachrichtendienste stellte sich ja erst, als die amerikanische Kriegsbegründung wechselte – weg von Al Qaida hin zu den Massenvernichtungswaffen. Unsere Kenntnisse deckten sich nicht mit den amerikanischen. Man kann das sehr gut im Buch von Colin Powell nachlesen – unsere Einschätzungen über die Situation im Irak waren zutreffender als die Berichte anderer. Das Nachrichtenmaterial reichte für mich jedenfalls nicht, um in einen Krieg zu ziehen. Dann gab es im August 2002 jene berühmte Rede von Vizepräsident Dick Cheney in Nashville, in der klargestellt wurde – Massenvernichtungswaffen hin oder her –, es müsse einen Regimewechsel in Bagdad geben. Also: Krieg, auch ohne UN-Mandat. Und dann kam Ihre Rede Anfang August 2002 in Hannover, die Ihnen die Bush-Regierung übel nahm. Sie lehnten ab, an dem Krieg teilzunehmen. Es war Bundestagswahlkampf. Man kann in einem Bundestagswahlkampf ein solches Thema nicht aussparen, das geht ja überhaupt nicht. Also mussten wir deutlich machen, dass wir von den Kriegsgründen nicht überzeugt waren, und das hat sich dann ja auch als richtig erwiesen. War das für den Wahlsieg entscheidend? Fragen von Krieg und Frieden spielen immer eine Rolle in zugespitzten politischen Situationen, wie es Wahlkämpfe nun einmal sind. Aber mindestens so wichtig war auch unsere Reaktion auf die Flut in Ostdeutschland. Beides wird eine Rolle gespielt haben. Aber unabhängig davon hat sich ja historisch auch erwiesen, dass erstens die amerikanischen Begründungszusammenhänge so nicht stimmten. Zweitens ist inzwischen auch den ehemaligen Befürwortern klar, dass es wohl ein Fehler gewesen ist, eine solche Intervention überhaupt ins Auge gefasst zu haben. Seit bald zehn Jahren ist die Bundesrepublik in einen Konflikt verwickelt, der ursprünglich Al Qaida galt und der Vertreibung des Regimes der Taliban. Tatsächlich herrscht Krieg, aber die ursprüngliche Legitimation hat sich verschoben. Al Qaida sitzt nicht mehr in Afghanistan. Wie soll es weitergehen? Zunächst einmal: Dies war eine militärische Intervention, ein Krieg, an dem ich die deutsche Beteiligung zu verantworten hatte. Was waren die Gründe dafür? Erstens: Eine befreundete Nation, die Vereinigten Staaten, waren im eigenen Land angegriffen worden. Damit wurde die Beistandsverpflichtung des Nato-Vertrags relevant. Zweitens gab es eindeutige Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, so dass die völkerrechtliche Legitimation außer Frage stand. Für mich stellte sich dann die Frage: Bist du bereit, eine solche Aktion zu unterstützen oder nicht? Und ich habe damals gesagt, in einem solchen Fall kann es für eine befreundete Nation keine Verweigerung geben. Ich lege darauf auch deshalb so viel Wert, weil das die Gründe zur Teilnahme für uns waren – der Nato-Vertrag, die Beschlüsse der Vereinten Nationen und die Freundschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika, nicht zu einer einzelnen Regierung, sondern zu Amerika. Trotzdem muss dies für einen sozialdemokratischen Kanzler eine ganz erstaunliche politische Erfahrung gewesen sein. Ja, natürlich. Wir hatten uns ja auch im Kosovo beteiligt, wobei diejenigen, die das kritisierten, sicher insofern recht hatten, als unsere Legitimation dort schwächer war als später in Afghanistan. Ich verweise deswegen auf die Legitima­tion oder auf die Begründung, die für mich wesentlich war, weil sich daraus ja auch ergibt, was jetzt und künftig zu tun ist. Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht gewillt sind und auch keine Legitimation dafür haben, auf Dauer mit der Bundeswehr in Afghanistan präsent zu sein. Heute plädiert selbst der Vizekanzler und Außenminister Westerwelle für einen Beginn des Abzugs im nächsten Jahr. Inzwischen ist ein baldiges Rückzugsdatum allgemein akzeptiert. Wir hoffen und wir helfen, dass bis dahin, auch durch Verstärkung der Ausbildungsanstrengungen, die Regierung in Afghanistan in der Lage ist, die Sicherheit ihres Volkes selber zu garantieren. Sie gehören zu der Generation, deren Amerikabild zu einem nicht unbeträchtlichen Teil geprägt war durch den Vietnamkrieg. Hat sich dieses Bild in der Zeit Ihrer Kanzlerschaft verändert? Keine Frage, dass sich das verändert hat, und zwar zum Positiven – auch schon vor meiner Kanzlerschaft. Es ist richtig, dass ich politisch auch über den Vietnamkrieg sozialisiert bin. Und natürlich hat das mein erstes Amerikabild geformt. Aber ich habe das Land immer auch wahrgenommen als eine in sich sehr widersprüchliche, in jedem Fall aber zutiefst demokratische Nation. Zwei Dinge haben mich stets besonders fasziniert: zum einen die Art und Weise, wie man mit Eingewanderten umgeht und sie integriert, und zum anderen, dass Amerika politisch betrachtet sowohl finsterste Reaktion beherbergt als auch aufgeklärteste Demokratie. Also, um es mal so zu sagen: auf der einen Seite die Tea-Party-Bewegung um Sarah Palin, auf der anderen Seite die aufrechte Demokratin und leider viel zu früh gestorbene Susan Sontag. Wie war Ihr Empfinden, mit einem Präsidenten zu verhandeln, der an die 100 Todesurteile als Gouverneur von Texas unterschrieben hat. Also, das hat bei unseren Verhandlungen keine Rolle gespielt. Im Übrigen hatte ich zu akzeptieren, dass er ein vom amerikanischen Volk gewählter Präsident war. Und was er zu bestimmten Fragen dachte, die ja nicht Gegenstand unserer Diskussionen waren, das hatte mich nicht zu interessieren. Aber persönlich muss es doch eine Rolle gespielt haben? Nein, das kann ich nicht sagen, dass das überhaupt eine Rolle gespielt hat. Wir hatten unterschiedliche politische Auffassungen, aber ich habe mich immer um einen zivilisierten Umgang bemüht. Das Gespräch führte Michael Naumann Lesen Sie am Donnerstag im zweiten Teil des Interviews bei Cicero Online, wie der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die deutsch-russischen Beziehungen beurteilt, warum er für einen russischen Energiekonzern tätig ist und was er über die Finanzkrise denkt. Oder lesen Sie das vollständige Interview mit Gerhard Schröder in der Dezemberausgabe des Magazins Cicero. (Jetzt am Kiosk oder hier zu bestellen).

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.