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(picture alliance) Die mediale Aufregung war groß – doch warum eigentlich?

Christian Wulff - Die Kredit-Affäre taugt nicht als Rücktrittsgrund

Christian Wulff hat Fehler gemacht. Unbestritten. Doch Rücktrittsgründe sind dies alles nicht. Die mediale Aufregung steht in keinem Verhältnis zu den Vorwürfen. Weder das Amt des Bundespräsidenten ist beschädigt worden, noch die Demokratie. Geschadet hat Wulff vor allem einem – sich selbst

In den letzten Tagen konnte man den Eindruck haben, als drohe in der Causa Wulff der Untergang des bundesdeutschen Abendlandes. Die Gefahren für die Demokratie wurden beschworen, die Verletzung von Menschenrechten beklagt und das Ende der Pressefreiheit an die Wand gemalt. Das Amt des Bundespräsidenten gilt als beschädigt, selbst von einer drohenden Staatskrise war in den Medien die Rede. Die Rücktrittsforderungen an Christian Wulff häuften sich und am Dienstagabend sah sich der Bundespräsident sogar gezwungen, sich einer hochnotpeinlichen Befragung in ARD und ZDF zu stellen.

Die mediale Aufregung in der Kreditaffäre ist groß, die Schlagzeilen sind noch größer. Die Tatsache, dass diese Affäre ausgerechnet in der nachrichtenarmen Weihnachtszeit hochkochte, hat ihr zusätzlich Aufmerksamkeit beschert. Zieht man jedoch jenseits der großen medialen Aufregung und ihrer massive Verstärkung durch das Internet mal einen Strich und betrachtet nüchtern die Vorwürfe, dann ist die Affäre doch eher ein Affärchen.

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•    Wulf hat sich vor drei Jahren am Stadtrand von Hannover ein Haus gekauft, das er sich nicht leisten konnte, um seiner zweiten Frau ein Zuhause bieten zu können. Dafür hat er zunächst einen zinsgünstigen Privatkredit in Anspruch genommen und anschließend seine guten Kontakte zu einer Bank genutzt, um ein zinsgünstiges Bankdarlehn erhalten zu können. Und so wurden Wulff Zinskonditionen eingeräumt, die kein normaler Häuslebauer erhalten würde. Aber zugleich ist Wulff nicht der erste Deutsche, der die Erfahrung gemacht hat, dass eine Scheidung teuer ist und finanzielle Not zur Folge haben kann.

•    Christian Wulff hat über die Finanzierung seines Hauses erst falsch, dann widersprüchlich und zuletzt zögerlich Auskunft gegeben. Das war politisch äußerst ungeschickt, aber menschlich verständlich. Strafrechtlich relevant ist dies nicht. Er wusste seit Monaten, dass Journalisten in dieser Angelegenheit recherchieren, hätte also selbst frühzeitig für Klarheit sorgen können. Jetzt hat er sich für totale Transparenz entschieden und alle Dokumente zur Finanzierung seines Hauses ins Internet gestellt. Nur kann auch das kein neuer Maßstab für Politiker sein. Auch diese haben ein Recht auf Privatsphäre.

•    Der Bundespräsident hat, als er noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, unbezahlten Urlaub bei reichen Freunden auf Norderney, Mallorca oder in Italien gemacht. Wobei nicht immer klar war, wo es sich um private Freunde gehandelt hat und um politische Freunde, bei denen man nie ausschließen kann, dass sie eine ebensolche Gegenleistung erwarten.

•    Schließlich hat er versucht, einen kritischen Bericht in der Bildzeitung mit Anrufen beim Springer-Verlag zu unterbinden und dabei ein paar unschöne Flüche und Drohungen auf der Mailbox des Chefredakteurs Kai Diekmann hinterlassen. Das schickt sich nicht für einen Bundespräsidenten, aber ehrlich gesagt wirkt es schon ein wenig befremdlich, wenn sich jetzt ausgerechnet die Bild-Zeitung zur Gralshüterin der Pressefreiheit aufschwingt.

Außerdem ist Wulff erstens bei Weitem nicht der einzige Politiker, der Journalisten beschimpft oder missliebige Berichterstattung zu unterbinden versucht hat. Das macht es nicht besser, zeigt aber, wie verlogen manche Kritik der politischen Konkurrenz ist. Zweitens gibt es gravierendere Eingriffe der Politik in die Pressefreiheit als eine Schimpftirade auf der Mailbox eines Chefredakteurs. Und solange zum Beispiel Parteibücher über Karrieren im öffentlich rechtlichen Rundfunk entscheiden und in den Staatskanzleien der Bundesländer über die Besetzung der Intendantenposten entschieden wird, wird die Unabhängigkeit der Medien dort ganz anders auf die Probe gestellt. Man kann es frei nach Bertolt Brecht auch so formulieren: Was ist die Beschimpfung eines Chefredakteurs gegen einen ZDF-Intendanten von Unions Gnaden oder einen Intendanten des Bayerischen Rundfunks, der vorher Regierungssprecher war.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum das Amt des Bundespräsidenten keinen Schaden genommen hat

Kurzum: Wulff hat Fehler gemacht, sich ungeschickt verteidigt, die mediale Dynamik der Affäre unterschätzt und sich mit der falschen Zeitung angelegt. Rücktrittsgründe sind dies alles nicht.

Der Rest sind Unzufriedenheit, Schadenfreude, Spekulationen und Vorbehalte gegen einen gesellschaftlichen Aufsteiger.

•    Die Unzufriedenheit darüber, dass Christian Wulff nicht die präsidiale Strahlkraft hat, die viele von ihm erwarten. An diesen Anforderungen an das Amt kann jeder Bundespräsident jedoch nur scheitern, weil der Amtsinhaber zwar in einem schönen Schloss wohnt, aber keine exekutive Macht besitzt. Weil er der erste Diener der Demokratie ist und eben kein Ersatzkönig.

•    Schadenfreude über einen Politiker, der nun von der Zeitung getrieben wird, mit deren Hilfe ihm einst sein politischer Aufstieg gelang.

•    Miese Spekulationen über das Privatleben seiner Frau, die in der Öffentlichkeit und auch im Internet nichts zu suchen haben und denen Wulff wehrlos gegenübersteht­.

•    Vorbehalte gegen einen Aufsteiger, der nicht mit goldenen Löffeln geboren wurde, sondern aus einfachen Verhältnissen kommt und sich seinen politischen und gesellschaftlichen Aufstieg hart erkämpfen musste. Anders ist zum Beispiel die Milde, die viele Kommentatoren im Vergleich zu Wulff gegenüber dem überführten Betrüger Karl-Theodor zu Guttenberg walten lassen, nicht zu verstehen.

Was bleibt also von der Kredit-Affäre, wenn die Wogen der medialen Empörung weitergezogen sind? Beschädigt ist vor allem Christian Wulff selbst, und dies hat sich der Bundespräsident im Wesentlichen selbst zuzuschreiben. Da hilft es auch nicht, wenn er sich jetzt als Opfer der Medien stilisiert. Er wird den Rest seiner Amtszeit mit dieser Bürde leben müssen. Aber weder ist das Amt des Bundespräsidenten beschädigt worden, noch die Demokratie.

Und wenn der Bundespräsident doch zurücktritt? Sei es, weil doch noch neue und gewichtigere Vorwürfe bekannt werden, oder sei es, dass Christian Wulff einfach irgendwann die Nase voll hat. Na und? Dann wird sich jemand anders finden, der die Gesetze unterschreibt, Minister ernennt und im Namen Deutschlands die Welt bereist. Dann tritt die Bundesversammlung zusammen, und wenn CDU, CSU und FDP dort über keine Mehrheit mehr verfügen, dann müssen sie sich halt mit der einen oder anderen Oppositionspartei arrangieren. So ist das in einer Demokratie.

Aber ein präsidialer König wird auch der Wulff-Nachfolger nicht, sondern der Bundespräsident bleibt das, was das Grundgesetz als Arbeitsplatzbeschreibung vorgesehen hat: Schriftführer der parlamentarischen Demokratie.

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