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Koalitionsgespräche - „Öffentliche Inszenierung gehört dazu“

Am Mittwoch gehen Union und SPD in Koalitionsverhandlungen. Diese sind längst nicht so kompliziert, wie es den Eindruck erweckt, behauptet der Münsteraner Wirtschaftspsychologe Michael Krämer. Ein Gespräch über Verhandlungsstrategien und taktische Spielereien

Autoreninfo

Studierte Politikwissenschaft, Medienrecht und Werbepsychologie in München und Bologna.

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Cicero Online: Herr Krämer, warum müssen Verhandlungen denn immer so kompliziert sein?
Michael Krämer: Das Schwierige an Verhandlungen ist, dass hier zwei unterschiedliche Ebenen beteiligt sind. Auf der einen Seite gibt es die sozial-emotionale Ebene und auf der anderen Seite die Inhaltsebene. Wenn beide Ebenen auseinanderdriften, dann wird es für beide Verhandlungspartner schwierig, ein tragfähiges Ergebnis zu erzielen. Es muss also gelingen, diese beiden Ebenen zusammenzuführen. Nur so werden beide Seiten am Ende zufrieden sein.

Wie lassen sich di[[{"fid":"58721","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":170,"width":139,"style":"width: 120px; height: 147px; margin: 5px 10px; float: left;","title":"Michael Krämer","class":"media-element file-full"}}]]ese beiden Ebenen denn am besten zusammenführen?
Entscheidend ist, dass sich die Beteiligten gegenseitig mit Wertschätzung begegnen. Man muss einander zuhören können und sich gegenseitig die Chance geben, die eigenen Standpunkte darzulegen. Eine konstruktive Atmosphäre ist gewissermaßen die Grundbedingung für gute Verhandlungen.

Wie verhandelt man möglichst clever?

Ganz wichtig ist die Definition eines Maximal- und eines Minimalziels. Und mit diesen Zielen sollten alle Beteiligten möglichst konform gehen. Außerdem sollte man stets ausreichend Alternativen im Kopf haben. Man muss in der Lage sein, Angebote zu machen und flexibel zu argumentieren. Das hat sich in empirischen Studien immer wieder bestätigt: Wenn der Druck hoch ist, also nur eine einzige Konstellation möglich erscheint, wirkt sich das nachteilig auf das Erreichen der eigenen Ziele aus. Hat man wiederum mehrere Alternativen, stärkt das die Verhandlungsposition.

Wie verfährt man in Koalitionsverhandlungen am besten mit besonders heiklen Punkten? Wann ist der beste Zeitpunkt, diese anzusprechen?
Strittige Punkte sollten gut vorbereitet sein. Manche treten jedoch auch vollkommen unerwartet auf. Dann ist man gezwungen abzuwägen. Verhandlungen sind immer auch eine Frage der richtigen Priorisierung. Gegebenfalls kann es ratsam sein, einen heiklen Punkt erst einmal zurückzustellen und mit anderen Themen fortzufahren. Keinesfalls sollte man auf dem Punkt beharren nach dem Motto: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Es geht darum, in Zwischenschritten Erfolge zu erzielen. Wissenschaftlich ausgedrückt: Die „Tit-for-Tat-Strategie“ gehört zur Verhandlungsführung nun einmal dazu.

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Worum geht es denn bei dieser Strategie genau?
Beide Seiten formulieren zwar ihre Maximalziele, letztlich geht es aber um ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Das bedeutet: Sobald man einen Punkt aufgegeben hat, der sehr zentral erschien, muss man sich vor Augen führen, dass man dadurch an anderer Stelle auch wieder etwas gewonnen hat. Diese Strategie wird von beiden Seiten als fair erlebt. Bei einer größeren Verhandlungsgruppe bietet es sich dafür beispielsweise an, verschiedene Untergruppen zu bilden, mit denen man sich währenddessen immer wieder abstimmen kann.

À propos Verhandlungsgruppe: Welche Charaktere braucht es denn für erfolgreiche Koalitionsverhandlungen? Gibt es einen Tipp für eine optimale Zusammensetzung einer Verhandlungsdelegation?
Eine heterogene Gruppe erscheint mir von Vorteil, weil es dann nicht möglich ist, eine einzelne Person für das Ergebnis verantwortlich zu machen. Diese verschiedenen Rollen können dabei aber auch bewusst eingenommen werden: Eine Position strebt eher zum Kompromiss, eine andere wird zum Teufelsadvokaten, die alles noch einmal in letzter Minute in Frage stellt… Das ist eine durchaus gängige Praxis.

Sind diese taktischen Spielchen auch der Grund, warum Verhandlungen immer so zeitintensiv sind? Bedeuten möglichst zähe Verhandlungen denn gleich gute Verhandlungen?
Nein. Ich glaube nicht, dass sich eine direkte Verbindung herstellen lässt zwischen der Länge der Verhandlungen und dem letztendlichen Ergebnis. Sicherlich: Eine gute Verhandlungstaktik mit vielen kleinen Teiletappen bedarf einer gewissen Zeit. Aber auch dann ist es keineswegs die reine Länge, die für die Qualität des Ergebnisses verantwortlich ist.

Gerade die Sondierungsgespräche der letzten Wochen gingen meist sogar bis spät in die Nacht!
Das stimmt, aber meiner Meinung nach geht es hier um etwas anderes, nämlich um die äußere Akzeptanz des Ergebnisses, vor allem bei den eigenen Anhängern. Meine These ist, dass diese politischen Verhandlungen viel schwieriger erscheinen sollen, als sie es de facto sind. Eigentlich sind sie nämlich längst nicht so kompliziert, wie derzeit behauptet wird.

Inwiefern?
Stellen Sie sich einmal vor, man setzt sich zusammen, verhandelt und nach drei Stunden verkündet man eine Einigung in allen Punkten. Da bleibt gerade bei den eigenen Anhängern ein schaler Nachgeschmack bestehen nach dem Motto: Das kann doch nicht mit richtigen Dingen zugegangen sein; die haben ihre Positionen viel zu leichtfertig preisgegeben. Will heißen: Das Bild der „zähen Verhandlungen“ muss für die äußere Akzeptanz dringend aufrecht gehalten werden. Die breite Öffentlichkeit und insbesondere die eigenen Anhänger erwarten förmlich, dass ein „besonderes Opfer“ erbracht wird. So entsteht dann am Ende eine Korrelation zwischen der Länge der Verhandlungen zu dem erreichten Ergebnis. Aber dabei handelt es sich um eine Scheinkorrelation.

Moment. Sie meinen also, in Wirklichkeit sitzen die beiden Gruppen schon längst beim gemütlichen Glas Wein zusammen, nur um dann möglichst spät nochmals vor die Kameras zu treten?
So viel Schauspielerei möchte ich den Politikern nun nicht unterstellen. Aber es ist zweifellos so, dass die Entscheidungen in der Regel sehr gut vorbereitet sind. Darüber hinaus sind Verhandlungen bis spät in die Nacht sicherlich auch nicht sehr effektiv. Eventuell wird noch über Nebenthemen debattiert, bis dann die „gewünschte Erschöpfung“ erreicht ist. Fest steht jedenfalls, dass die Akzeptanz des Ergebnisses ganz wesentlich von seiner öffentlichen Inszenierung abhängt.

Das würde ja bedeuten, dass die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen eigentlich viel zügiger verlaufen könnten als geplant…
Absolut. Ich bin fest davon überzeugt, dass man diesen Prozess auf jeden Fall beschleunigen könnte. Die Beteiligten kennen sich, das erleichtert die ganze Situation extrem und darüber hinaus gibt es ein großes, gemeinsames Interesse, nämlich eine solide Regierung zu bilden. In der Wirtschaft gibt es nun wirklich weitaus komplexere Verhandlungskonstellationen, wenn sich beispielsweise zwei vollkommen fremde Gruppen gegenüberstehen, womöglich noch mit interkulturellen Barrieren. Das ist dann wirklich eine Herausforderung. Aber in diesem Fall können die Beteiligten ja schon von sehr vielen gemeinsamen Erfahrungen profitieren. Es besteht also eigentlich gar kein Anlass, in große Konflikte zu geraten.

Dabei gibt es doch durchaus noch viele strittige Punkte: Mindestlohn, Rente, Finanztransaktionssteuer – alles ungeklärt.
Das ist zweifellos richtig. Jedoch handelt es sich bei diesen Politikern ja um Verhandlungsprofis. Das bedeutet: Jedem Beteiligten ist bereits im Vornherein bewusst, dass die Maximalforderungen nicht durchgesetzt werden können. Natürlich gibt es inhaltliche Diskrepanzen, aber machen wir uns nichts vor: Letztlich geht es hier immer auch um eine Frage des Personals und der Ressortverteilung. Dies wird nur nicht öffentlich thematisiert. Lassen wir uns also überraschen, aber die Chancen stehen gut, dass sich das Ergebnis nicht sonderlich von den letzten Verhandlungen über eine Große Koalition unterscheidet. Im Prinzip könnte man also sagen: Nehmt doch das, was schon einmal stattgefunden hat, übertragt es auf die Jetztzeit, schiebt bestimmte Namen zu und dann habt ihr es doch. Doch das wäre eben zu simpel…

Aber bei der letzten Großen Koalition 2005 sah die Machtverteilung noch ganz anders aus. Dieses Mal ist die Situation doch äußerst komplex. Die CDU hat das weitaus bessere Ergebnis erzielt, dennoch erscheint die SPD nach dem Scheitern der Gespräche mit den Grünen als das Zünglein an der Waage. Wer hat denn nun die bessere Ausgangslage?
Das lässt sich schwer sagen. Ich denke, dass es sowohl für die CDU/CSU als auch für die SPD zunächst einmal sinnvoll war, den Schritt in Koalitionsverhandlungen zu wagen. Zum einen können damit beide Seiten eine Regierungsbeteiligung erreichen, was ja auch das große verbindende Interesse ist. Das eröffnet dann wiederum die Chance, der eigenen Klientel glaubhaft zu vermitteln, dass die sehr weitreichenden Forderungen aus Wahlkampfzeiten leider am Koalitionspartner gescheitert sind. So kann man sich also während der Verhandlungen immer noch auf moderatere Positionen zurückziehen, was wiederum die These unterstreicht, dass die Verhandlungen langwieriger und komplizierter erscheinen sollen, als sie es tatsächlich sind.

Was bedeutet es denn ganz konkret für die Verhandlungsbasis der Union, dass sich die Grünen im Falle eines Scheiterns der Gespräche mit der SPD noch ein letztes Hintertürchen offengehalten haben?
Die CDU/CSU sollte sich diese Option, so unrealistisch sie für die eigene Klientel auch scheinen mag, unbedingt weiter offenhalten. Das wird ja im Moment auch sehr deutlich: Sogar Unionspolitiker, von denen man eigentlich weiß, dass sie nicht mit den Grünen koalieren wollen, signalisierten plötzlich große Kompromissbereitschaft.

Horst Seehofer ist der SPD bereits beim Thema Mindestlohn und doppelter Staatsbürgerschaft entgegengekommen. Was kann er denn nun im Gegenzug verlangen?
Konkretes kann ich hier natürlich nicht nennen. Aus psychologischer Sicht ist es aber durchaus nachvollziehbar, wenn sich insbesondere ein Politikertypus wie Horst Seehofer, der für seine expliziten Positionen bekannt ist, plötzlich sehr moderat verhält. Das hat dann auf die bereits angesprochene sozial-emotionale Ebene eine besonders effektive Wirkung. Auf der Inhaltsebene muss es deswegen aber noch lange nicht zu einer Veränderung kommen. Es scheint mir hier eher um die öffentlichkeitswirksame Abgrenzung gegenüber der CDU zu gehen und natürlich spielt auch die Freude an der Selbstdarstellung eine Rolle. Ich bezweifle deswegen auch, dass er diese Meinung auf Dauer aufrecht erhalten wird. Das Ganze ist doch eher eine Verwirrungsstrategie. Wie gesagt: Wer sich zu eindeutig festlegt, macht sich nur schneller angreifbar. In diesem Thema ist also durchaus noch viel Bewegung im Laufe der Verhandlungen zu erwarten.

War es denn ein geschickter Schachzug der SPD, die Mitglieder in die Entscheidung über eine Große Koalition miteinzubeziehen?
Definitiv. Eine breite, dabei aber inhaltlich nicht zu fixierte Bestätigung kann sich sehr vorteilhaft auswirken. Denn so legitimiert die Basis diese Entscheidung nun mit und muss sie folglich auch mitverantworten. Gleichzeitig hat man es vermieden, die Bestätigung von einem einzelnen, spektakulären Punkt abhängig zu machen. Das hätte im Gegenzug nur extreme Kompromisse in anderen Punkten nach sich gezogen. Mit dieser Vorgehensweise hat sich die Parteispitze also sehr geschickt Freiraum verschaffen können.

Zum Schluss: Wieviel Taktik tut der Politik gut? Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Politiker entgegen ihrer inneren Überzeugung handeln?
Politik ist ja bekanntlich die Kunst des Möglichen. Pauschal zu behaupten, dass dabei die Überzeugung verloren ginge, das wäre meiner Meinung nach zu hoch gegriffen. Erfolgreiche Politiker sind in der Regel immer auch gute Diplomaten. Ausnahmen bestätigen lediglich diese Regel. Ich denke, argumentative Geschicklichkeit verbunden mit dem starken Streben nach Macht sind gute Voraussetzungen, um auf längere Sicht in der Politik erfolgreich zu sein.

Herr Professor, vielen Dank für das Gespräch.

 

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