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Pleitenpolitik - Die Eurokritiker nagen an Merkel

Seit dreieinhalb Jahren steckt der Euro in der Krise. Die Bundeskanzlerin bemüht sich nicht mehr darum, die vielen Widersprüche in ihrer Europolitik zu erklären. Im Wahlkampf könnte das für Merkel zur Gefahr werden, denn die Euro-Skepsis der Deutschen wächst

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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In den vergangenen Wochen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Rettung des Euros zu einer ziemlich bürokratischen Veranstaltung verkommen. Von mehr Europa ist schon lange keine Rede mehr, die Rufe nach einer politischen Union sind verstummt. Stattdessen halten in der Eurozone die Buchhalter und Technokraten das Heft des Handelns in der Hand. Nächtelang tagten zuletzt in Brüssel die Finanzminister der Eurozone, um eine Pleite Zyperns abzuwenden. Von Leidenschaft für die europäische Idee war dabei wenig zu spüren. Stattdessen beschlossen die Finanzminister zunächst, auch die Konten der zyprischen Kleinsparer zu plündern. Erst, als ein europaweiter Protestchor anschwoll, ließen sie von dieser peinlichen Idee ab.

Kein Wunder, dass die Zweifel am Euro wachsen und die Eurokritiker in vielen Ländern Europas auch politisch immer mehr Einfluss gewinnen. Die Ernüchterung ist in Ländern wie Griechenland oder Spanien groß. In Italien exekutierte der proeuropäische Technokrat Monti seinen Landsleuten solange ohne Leidenschaft das Brüsseler Spardiktat, bis die Eurogegner von links und rechts bei den Wahlen im Februar die Mehrheit der Wähler mobilisierten. Jetzt ist Rom in Not.

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Kanzlerin Merkel müht sich gar nicht mehr darum, die vielen Widersprüche in ihrer Europolitik – ihr ständiges Hin und Her – zu erklären. Sie verlässt sich darauf, dass die Wähler die Details der Eurorettung sowieso nicht mehr verstehen und den Überblick über die Milliardensummen, die dafür aufgewandt werden, verloren haben. Zyperns reiche Russen und Spaniens Arbeitslose sind für die Deutschen weit weg. Solange Deutschland von der Krise profitiert und die deutsche Wirtschaft auf Kosten der Krisenstaaten wächst, sitzt die Kanzlerin scheinbar fest im Sattel. Ihre Wiederwahl im September gilt als sicher.

Dabei ist die Stimmung der Wähler in Deutschland wesentlich fragiler, als es auf den ersten Blick scheint. Erstens stehen die Regierungsparteien alles andere als geschlossen hinter Merkel. Ohne Unterstützung der Opposition stünde die Kanzlerin in Sachen Europa schon jetzt im Bundestag ohne Mehrheit da. Zweitens bringen die Wähler das Vertrauen, das sie der Kanzlerin entgegenbringen, nicht im selben Umfang für die CDU auf. Nur noch 39 Prozent der Deutschen glauben, dass die Union die Kompetenz hat, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen.

Seite 2: Eine neue Partei will die Eurokritiker aufsammeln

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Eurokritiker zu. Schleichend breiten sich Sorgen und Ängste aus, viele Deutsche glauben dem Versprechen der Kanzlerin, ihre Spareinlagen seien sicher, nicht mehr. Selbst die politischen und wirtschaftlichen Eliten präsentieren sich alles andere als geschlossen. Vor allem viele Ökonomen wenden sich vom Euro ab und machen Stimmung gegen die Eurorettungspolitik der Kanzlerin. Die Kritik verfängt. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap hat jeder zweite Deutsche Angst um seine Ersparnisse. Jeder Dritte Deutsche sehnt sich nach der D-Mark.

Europa ist für Merkel kein Mobilisierungsthema. Die Forderung nach mehr politischer Integration ist unpopulär. Aus dem Bundestagswahlkampf würde die Kanzlerin die Eurokrise deshalb gerne raushalten.

[gallery:Griechenland unter: Karikaturen aus drei Jahren Eurokrise]

Doch vielleicht werden die Pläne der Unionsparteien jetzt durchkreuzt. In zwei Wochen soll in Berlin eine Partei gegründet werden, die sich die Wiedereinführung der D-Mark auf die Fahnen geschrieben hat. Über die Wahlchancen der „Alternative für Deutschland“ lässt sich noch wenig sagen, aber die Resonanz auf den Gründungsaufruf ist groß. Vor allem die CDU ist nervös, unter den Parteigründern sind viele ehemalige Christdemokraten und vor allem am rechten Rand ihrer Partei könnte die eurokritische Konkurrenz wildern. Der CDU-Fraktionschef Volker Kauder nannte die neue Partei eine „institutionalisierte Angst vor der Zukunft“. Da hatte sich die Bundesregierung in Sachen Zypern-Rettung noch nicht blamiert.

Auch glühende Anhänger Europas und des Euros sollten froh sein, dass sich jetzt auch in Deutschland die Kritiker des Euros in einer Partei organisieren. Endlich könnte die Europa-Debatte den Stellenwert in der Gesellschaft bekommen, den sie verdient. Und im Wahlkampf würde der Euro endlich zum Thema.

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