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Prostitution - Die Callboys drängen aus der Schmuddelecke

Prostitution gibt es auch unter Männern. In der öffentlichen Debatte meist als Randphänomen abgetan, vollzieht sich in der Gayszene ein beachtlicher Wandel, wie Udo Beckmann vom Projekt querstrich berichtet. Die Prostitution drängt aus der Schmuddelecke und bricht mit gesellschaftlichen Tabus

Autoreninfo

Lisa Schneider studierte Politik-, Medien- und Sozialwissenschaften in Düsseldorf und Prag.

So erreichen Sie Lisa Schneider:

Bei homosexueller Prostitution denken viele Menschen an Geschlechtskrankheiten, Drogen und alte Männer, die Jünglinge verführen…
Grundsätzlich ist Sex für Geld stigmatisiert. Das hat damit zu tun, dass es früher das Klischee gab, diese Leute würden ihren Körper für Geld verkaufen – das macht natürlich keiner. Und wer dabei seine Seele verkauft, sollte sich einen andern Job suchen. Aber es gibt natürlich auch innerhalb der schwulen Szene eine Stigmatisierung. Prostitution ist ja schließlich eine promiske Sexualität. Und wer damit Geld verdient gilt oft als charakterlich bedenklich. Außerdem gilt der Kontakt eines älteren Mannes zu einem jüngeren oft als fragwürdig. Das hat aber auch etwas mit dem Thema Alterssexualität zu tun, dass generell ein Tabu ist und da rückt der Sex mit einem älteren Mann ganz schnell in die Nähe der Pädophilie. 

Das Projekt querstrich geht als Informations- und Beratungsprojekt in Berlin gegen solche Stigmatisierungen an. An wen wenden Sie sich?
Wir beraten Callboys, Escorts und auch Kunden. Unsere Klientel sind weniger Stricher, sondern Callboys, die selbständig in dem Bereich der männlichen Prostitution arbeiten: von zu Hause aus oder durch Hotelbesuche. Sie sind in der Regel zwischen 20 und Mitte dreißig. Die Kunden von Callboys sind meistens deutlich älter. 

Mit welchen Sorgen kommen die Männer zu Ihnen?
Wir bieten in erster Linie Gesundheitsberatung. Da geht es vor allem um HIV, Aids, Hepatiden, kurzum: sexuell übertragbare Infektionen. Wir haben außerdem eine Einstiegsberatung, bei der wir den oft jungen Männern eine Möglichkeit bieten, diese Tätigkeit sicher aufzunehmen. Oftmals geht es auch um Probleme mit Behörden wie Hartz IV-Angelegenheiten, seltener Gewerbeanmeldungen. Ganz oft kristallisiert sich gerade bei den Jüngeren heraus, dass sie eigentlich auch eine andere Erwerbstätigkeit suchen, aber ihnen die Alternativen fehlen.

Worin besteht der Unterschied zwischen Strichern und Callboys?
Die Abgrenzung ist schwierig. Seit dem Internetboom gibt es da auch Überschneidungen. Im Großen und Ganzen zählt der Callboy eher zu den schwulen Lebenswelten. Er hat in aller Regel einen regulären Job und bietet zusätzlich seine Dienste über das Internet an. Bei den Strichern geht es zumeist darum, dass ihnen der Zugang zu einer anderen Einnahmequelle komplett fehlt. Oft sind das Jungs aus Rumänien oder Bulgarien. Wenn die einen anderen Job bekämen in Deutschland, würden sie den meist auch machen. 

Was treibt junge Männer an, sich zu prostituieren?
Die Motive sind unterschiedlich.  Meist ist das so, dass es eine bescheidene Erwerbsgrundlage gibt und die Prostitution stockt das auf. Es kann sein, dass der Callboy im Niedriglohnsektor arbeitet. Durch die Arbeit als Callboy erfüllt er sich einen Konsumwunsch, eine Reise, ein neues Smartphone. Es geht nicht um ein geregeltes Einkommen, sondern darum, sich gelegentlich etwas leisten zu können. Sie arbeiten dafür und dann hören sie wieder eine Weile auf. Für einige Callboys ist die gelegentliche Prostitution aber auch eine Form ihrer eigenen Sexualität, und die Entlohnung ist Teil dieser Befriedigung.

Seite 2: Prostitution als eine Form der Sexualität

Wo sehen Sie die größten Unterschiede zur weiblichen Prostitution?
Zum einen gibt es einige Phänomene nicht in der männlichen Prostitution wie Zuhälterei, Zwangsprostitution, Nötigung oder Menschenhandel. Das sind dann wirklich Ausnahmen. Zumindest in den EU-Staaten ist mir ein kriminelles Umfeld im Callboy-Bereich nicht bekannt. Das hängt einmal damit zusammen, dass das Verhältnis zwischen den männlichen Kunden und dem Callboy mehr von einem gemeinsamen, befriedigenden Erlebnis geprägt ist. Was wiederum damit zusammenhängt, dass eine Unlust von Seiten des Callboys - sagen wir, der macht das nur wegen dem Geld - ganz schwer zu überspielen ist bei Männern. Wenn der keinen Spaß daran hat, ist es einfach zu offensichtlich. Beim Kunden natürlich auch. Insofern bedingt die männliche Prostitution eine andere Herangehensweise als die weibliche. 

Dient die männliche Prostitution auch der sexuellen Befriedigung?
Für manche – und der Bereich hat durch das Internet zugenommen – ist es auch eine Form der Sexualität. Sie erfüllen sich damit ihre Bedürfnisse. Das Internet hat die Schwelle für die Prostitution wesentlich herabgesetzt – einmal für die, die anbieten. Das war früher viel schwieriger, da mussten Anzeigen geschaltet werden, das hat Geld gekostet und es war  immer ein Identitätsnachweis erforderlich, z.B. eine Ausweiskopie. Darauf haben sich viele nicht eingelassen. Das hat sich aber geändert, weil im Internet beides nicht mehr zwingend notwendig ist. 

Wird da kein Identitätsnachweis gefordert?
Man kann ein Callboy-Profil anlegen, ohne seinen richtigen Namen anzugeben. Die Eintrittsschwelle ist eigentlich genullt. Dadurch ist die Zahl natürlich exorbitant gestiegen, auch von denen, die das einfach mal ausprobieren wollen. Die Profile haben freizügige Bilder und ausführlichere Beschreibungen. Es gibt Gästebücher mit entsprechenden Kundeneinträgen. Dadurch ist die Eintrittsschwelle für Kunden ebenso gesunken. Das hat eine Veränderung in der Gay-Szene bewirkt: Die Callboy-Szene war früher ein Randbereich, aber heute ist sie ein Teil der Szene geworden und eine Form der Sexualität.

Hat sich damit einhergehend das Thema Alterssexualität enttabuisiert?
Ich würde sagen es hat sich reduziert. Es ist an der Schwelle, da verändert sich gerade was. Früher gab es ja zum Beispiel ganz wenige erotische Masseure, heute gibt es viele. Ältere Männer wollen natürlich auch Sex, aber sie wollen auch mal eine Stunde massiert werden und dieser Art Service nimmt enorm zu. Das hat was mit dem Selbstverständnis von Älteren zu tun, die sich nicht mehr verdrängen lassen wollen in irgendwelche Ecken, in denen sie ihre Bedürfnisse befriedigen können. Sie gehen heute offener damit um. Da geht es nicht nur um Sex, sondern auch um Berührung und Wertschätzung.

Ist das auch ein Thema bei querstrich?
Das Projekt querstrich ist ja nicht nur ein Informations- und Beratungsprojekt für Callboys, sondern auch für deren Kunden, und die gibt es in allen Altersklassen. Allerdings wird die Zahl der Männer, die älter werden und alleine leben größer. Die haben ihre Bedürfnisse und wollen darauf nicht verzichten. Da rückt die Prostitution mehr und mehr in Richtung Dienstleistung, in dem die Bedürfnisse von Älteren selbstverständlicher akzeptiert werden.  In diesem Sinne ist Alterssexualität von Männern ein wichtiges Thema in unserem Projekt.

Herr Beckmann, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Lisa Schneider.

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