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() Renate Köcher, Geschäftsführerin des Institut für Demoskopie Allensbach
Die Außenseiter vom Bodensee

Das Institut für Demoskopie hat bundesdeutsche Geschichte geschrieben. Doch bei den Meinungsforschern aus Allensbach läuft heutzutage vieles anders als bei der Konkurrenz.

Lesen Sie auch: Cicero-Dossier: Demoskopie Das Arbeitszimmer von Renate Köcher ist nicht sehr repräsentativ. Ein Regal, ein Schreibtisch, ein Computer, alles in Grau gehalten, mehr steht nicht in dem kleinen Raum. Gegenüber dem Schreibtisch hängen Bilder, die einer ihrer Referenten gemalt hat. Hier arbeitet die 56-Jährige schon seit 29 Jahren. An einen Umzug und ein größeres Büro hat die Meinungsforscherin jedoch nie gedacht. „Mehr Platz brauche ich nicht“, sagt sie. Dabei ist Renate Köcher mittlerweile seit zwei Jahrzehnten Geschäftsführerin, verantwortlich für neun Millionen Euro Umsatz, Chefin von rund hundert Mitarbeitern. Das schlichte Arbeitszimmer bildet in jeder Hinsicht einen Kontrast zu dem legendären Ruf, der dem Institut für Demoskopie Allensbach vorauseilt, und zu der demoskopischen Macht, die es besitzt. Allensbach, der Name der nur 7000 Einwohner zählenden Gemeinde am Bodensee, ist in Sachen Meinungsforschung eine Marke. Seit der Gründung des Instituts im Jahr 1947 wird hier in einem ehemaligen Bauernhaus der Puls der Republik gemessen. Kein Wunsch, keine Vorliebe und keine Hoffnung der Bevölkerung, keine gesellschaftliche Veränderung, kein politischer Stimmungsumschwung und auch keine Parteipräferenz blieb den Allensbacher Demoskopen seither verborgen. Gerade erst hat das Institut für Demoskopie eine viel beachtete Studie über die Einstellungen von Jugendlichen veröffentlicht. Die Ergebnisse sind alarmierend, die junge Generation zieht sich von der Politik zurück, interessiert sich auch nicht für Kultur oder Wissenschaft, sie nutzt Medien sehr selektiv und geht anders mit Informationen um. Von einem „Paradigmenwechsel“, auf den sich die Gesellschaft, die Wirtschaft und auch die Parteien einstellen müssten, spricht Renate Köcher und warnt vor einer „Spaltung der Gesellschaft in Informierte und Uninformierte, in Interessierte und Desinteressierte“. Die Umfragen und Studien, die die Allensbacher Meinungsforscher im Auftrag von Parteien und Regierungen, Unternehmen oder Verbänden erstellt haben, füllen mittlerweile eine ganze Bibliothek. Etwa 80 Projekte kommen derzeit pro Jahr hinzu. Fast scheint es, als gäbe es nichts, was Allensbach die Deutschen nicht bereits gefragt hätte: von der Währungsreform, nach der die Mehrheit der Deutschen der Marktwirtschaft misstraute, über Wirtschaftswunderjahre und die politisch und ideologisch aufgeheizten Siebziger bis zur Wiedervereinigung, die in den Köpfen der Menschen noch immer nicht vollendet ist. Rund 300000 Fragen sind in den vergangenen sechs Jahrzehnten zusammengekommen. In den Fluren des Instituts sind sie alle auf Karteikarten archiviert. Schier endlos reihen sich die Klappregister aneinander und lassen trotzdem nur erahnen, was es heiflt, die Seelenlage einer Nation demoskopisch zu durchleuchten. Die richtige Fragestellung kann dafür entscheidend sein. Drei Mitarbeiter des Instituts tun deshalb den ganzen Tag nichts anderes, als Fragebögen zu konzipieren. An einem langen Holztisch sitzen sie, reden, diskutieren und formulieren. Fragebogenkonferenz heiflt dieses Team, es ist das Herzstück des Instituts. Mit der Qualität des Fragebogens steht und fällt die Qualität der Ergebnisse. Da gibt es viele Klippen zu umschiffen. Wie lassen sich Suggestivfragen vermeiden, und wie lassen sich sozial gewünschte Antworten ausschließen? Werden die Fragen in allen Landesteilen verstanden, gibt es ein gemeinsames Verständnis von Werten und vor allem: Fühlen sich alle sozialen Gruppen gleichermaßen angesprochen? Das Wort „gerecht“ in einer Frage zum Beispiel weckt in der Regel positive Assoziationen, „islamisch“ negative. Wer nach der weiteren Nutzung der Atomenergie fragt und gleichzeitig sinkende Strompreise in Aussicht stellt, bekommt andere Antworten, als wenn dieselbe Frage mit der ungelösten Endlager-Frage verknüpft wird. Die Fragenbogenkonferenz hat Tradition in Allensbach. Sie wurde schon kurz nach der Gründung des Instituts ins Leben gerufen, und sie hat in den Anfangsjahren der Meinungsforschung in Deutschland wissenschaftliche Standards gesetzt. Gleichzeitig hatte vor allem in der alten Bundesrepublik kein Meinungsforschungsinstitut mehr Einfluss auf die Politik. Vor allem mit dem Namen Elisabeth Noelle-Neumann war die Institution Allensbach ein halbes Jahrhundert lang verbunden: Die Institutsgründerin suchte früh die Nähe zur Macht. Bereits den ersten Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer versorgte sie mit Stimmungsberichten aus der Bevölkerung. Besonders eng war ihr Verhältnis zu Helmut Kohl, dessen Karriere Noelle-Neumann schon in jungen Jahren förderte, später wurde sie zur Hausdemoskopin des Kanzlers und zur engen Beraterin im Wahlkampf. Vornehm zurückhaltend war die selbstbewusste Demoskopin dabei nicht, sondern immer engagiert, streitbar und konservativ. Viele gesellschaftliche Debatten hat das Allensbacher Institut angestoßen, es hat aufgeklärt und polarisiert, die Politik beraten und selbst Politik gemacht. Heikel war beispielsweise eine Befragung zu antisemitischen Tendenzen im Nachkriegsdeutschland. Sie wurde geheim gehalten, um den Ruf der jungen Bundesrepublik im Ausland nicht zu beschädigen. Legendär sind die seit 1972 in Allensbach erhobenen Datenreihen zu dem ambivalenten Verhältnis der Deutschen zu den Werten Freiheit und Gleichheit. Wissenschaftlich äußerst umstritten ist die von Noelle-Neumann ersonnene Theorie der Schweigespirale, nach der Menschen, deren Meinung nicht in den Medien vorkommt, sich aus Angst vor sozialer Isolation nicht zu ihren Überzeugungen bekennen. Vor allem die knappe Niederlage der CDU bei der Bundestagswahl 1976 war deshalb für Noelle-Neumann das Werk vermeintlich linker Redaktionsstuben. Dafür musste das Institut nach der Bundestagswahl 2002 viel Hohn und Spott ertragen, weil es im Wahlkampf früh und voreilig einen bürgerlichen Wahlsieg vorhergesagt hatte. Erst wenige Tage vor der Wahl räumte Elisabeth Noelle-Neumann ein, dass sich die Stimmung zugunsten von Rot-Grün gedreht hatte. Mittlerweile hat sich die Gründerin des Instituts aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Nachfolgerin Renate Köcher hat in den vergangenen Jahren behutsam versucht, das Image des Instituts zu verändern und andere Akzente zu setzen. „Ich suche nicht die Nähe von Parteien“, sagt sie, „das ist nicht mein Stil.“ Köcher sucht die Nähe der Wirtschaft, sie versucht, das Institut an der „spannenden Nahtstelle zwischen Politik und Wirtschaft“ zu positionieren. Sie will den Meinungsaustausch zwischen politischen und wirtschaftlichen Eliten fördern, die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft stärken. Die Wirtschaft agiere immer schneller, dynamischer und globaler, so Köcher, und die Frage sei, ob die Politik bei diesem Tempo mithalten kann. Aus dem politiknahen ist ein wirtschaftsnahes Meinungsinstitut geworden, und so verwundert es auch nicht, dass Renate Köcher nicht nur als Meinungsforscherin, sondern auch als Beraterin gefragt ist. Sie sitzt mittlerweile im Aufsichtsrat von vier Dax-Unternehmen und gehört damit zu den einflussreichsten Frauen in der deutschen Wirtschaft. Mit Wahlprognosen, politischen Umfragen und Gesellschaftsanalysen lässt sich sowieso kein Geld verdienen. Nur noch zu etwa 15 Prozent tragen diese zum Umsatz des Instituts bei, ein Drittel erwirtschaftet die klassische Marktforschung. Im Mittelpunkt der Arbeit steht indes die Medienforschung. Jedes Jahr erstellt das Institut beispielsweise die „Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse“, in der rund 20000 Deutsche zu ihrer Mediennutzung und zu ihren Konsumgewohnheiten befragt werden. Die großen Schlagzeilen liefern inzwischen oft andere Meinungsforscher. Von den Konkurrenten wie Forsa, Emnid oder Infratest wird das Institut für Demoskopie darum oft belächelt, gelegentlich auch als verstaubt und methodisch veraltet kritisiert. Allensbach gilt in der Branche mittlerweile als Außenseiter. Doch Renate Köcher ficht das nicht an: „Wir empfinden das gar nicht so“, entgegnet sie, „wir gehen unseren Weg und machen das, was wir für richtig halten.“ Allensbach kann es sich leisten, nicht jedem Trend und Auftrag hinterherzulaufen. Denn das Institut ist unabhängig, gehört zu keinem internationalen Konzern und ist deshalb nicht auf Gewinnmaximierung angewiesen. Anders als die Forschungsgruppe Wahlen ist es auch nicht von einem einzigen Auftraggeber abhängig. Diese Unabhängigkeit ist dauerhaft gesichert. 1996 hat Elisabeth Noelle-Neumann die Stiftung Demoskopie Allensbach gegründet und dieser 99 Prozent der Instituts-GmbH übertragen. Dass es in Allensbach anders zugeht, langsamer, bedächtiger, aber auch gründlicher, das sticht jedem Besucher des Instituts sofort ins Auge. Auf dem Fußboden eines der vielen Büros stapeln sich die Fragebögen, von Hand werden die Antworten in den Computer eingegeben. Es gibt kein Telefonstudio, keine computergesteuerten Abfragesysteme. Demoskopie ist hier in der Regel noch Handarbeit. „Unsere Untersuchungen sind viel zu komplex für das Telefon“, erklärt Köcher. Die Allensbacher Meinungsforscher arbeiten hier noch ganz überwiegend mit sogenannten Face-to-Face-Interviews, mit Interviewern, die zu Hause durchgeführt werden und meist eine Stunde lang dauern. Das Ergebnis liegt darum erst nach bis zu zehn Tagen vor. Doch das stört im Institut für Demoskopie kaum jemanden, am wenigsten Renate Köcher: „Eine Meinungsforschung nach dem Motto ,heute passiert, morgen gemessen’ hat oft ein kurzes Verfallsdatum.“ Foto: Picture Alliance

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