Mathias Brodkorb
Im Land der kleinen Unterschiede: Tetiana mit unserem Kolumnisten Mathias Brodkorb / M. Brodkorb

Gebrauchsanweisung Deutschland, Teil I - Eiertanz auf dem Behördenweg

Wer den hiesigen Behördendschungel verstehen will, der lese entweder Franz Kafka oder er lerne den Amtsschimmel mit den Augen von Fremden zu sehen. Unserem Kolumnisten war Letzteres vergönnt. Erst mit Hilfe einer Ukrainerin hat er verstanden, dass in Deutschland auf Steuerzahlerkosten große bürokratische Mahlwerke bewegt werden, ohne dass sich für die Betroffenen irgendetwas ändert.

Porträt Mathias Brodkorb

Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

So erreichen Sie Mathias Brodkorb:

Wenn man in der ukrainischen Flüchtlingshilfe unterwegs ist, kann man ganz schön viel lernen. Gar nicht über die Ukraine und den Krieg. Sondern darüber, in welchem miserablen Zustand sich der deutsche Sozialstaat befindet. Die rechtlichen Reglungen haben ein Maß an Absurdität erreicht, das nur noch schwer erträglich und vor allem eines ist: eine veritable Verschwendung von Steuergeldern. Es ist ein wenig so, als zündete der Staat höchstselbst täglich dutzende Millionen von Euro an, um sie in Rauch aufgehen zu lassen. Und zwar für nichts und wieder nichts. 

Dies ist ein Erfahrungsbericht. Das hat mit Journalismus nichts zu tun. Ein Journalist schreibt aus der Helikopterperspektive: mit Überblick und ohne eigene Betroffenheit. Das kann ich in diesem Falle allerdings nicht liefern. Und ich will es auch gar nicht. Ich will erzählen, wie sich der Staat selbst erdrosselt. Durch unsinnige Regelungen und Bürokratie. Dass ich das erst durch Ukrainer lernen musste, spricht wiederum für sich. Mein gesamtes Leben habe ich privilegiert verbracht - ohne auf besondere Hilfsleistungen des Staates angewiesen zu sein. Seit Neuestem habe ich ein Gespür dafür, worunter Millionen Deutscher leiden, wenn Sie Hartz-IV beziehen. Aber das weiß ich von den Ukrainern.

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Jens Böhme | So., 2. Oktober 2022 - 11:35

Dass im modernen Deutschland Ämter erst mal versuchen mit Behördendeutsch Bürger loswerden wollen, ist kein Geheimnis. Testen Sie mal die Beantragung von Pflegegraden (früher Pflegestufen) bei der Pflegekasse der entsprechenden Krankenkasse.

Thomas Hechinger | So., 2. Oktober 2022 - 11:43

Unser Deutschland erstickt an sich selber.
Wäre ich Pensionär und würde ich irgendwo außerhalb Deutschlands leben und hätte ich gerade diesen Artikel von Herrn Brodkorb gelesen, würde ich mir einen abgrinsen und mich über die Dämlichkeit dieses Landes lustig machen. Ich bin aber weder Pensionär noch lebe ich außerhalb dieses Landes. So grinse ich mir auch keinen ab, sondern stelle meine Ellbogen auf den Tisch, richte die Unterarme auf und senke meinen Kopf in die ausgebreiteten Hände. Und bin ratlos. Ratlos.

Tomas Poth | So., 2. Oktober 2022 - 12:13

... sind auch ein Ausdruck dessen, daß durch Umverteilung, Ermöglichung sozialer Teilhabe und Gerechtigkeit "die Welt" "etwas gerechter" werden soll, und das bei gleichzeitiger Verhinderung des Mißbrauchs der sozialen und wohltätigen Pfade die die Gesellschaft bietet.
Der beste Weg, um solche sich selbst nährenden, Ressourcen verschlingenden und auch entwürdigenden Mahlwerke zu verhindern, ist die Eigenverantwortung und Selbsthilfe stark in den Vordergrund zu stellen und zu fördern, statt Bittsteller zu züchten.

Es gibt nicht nur deutsche bürokratische Mahlwerke. Das größte bürokratische Monster-Mahlwerk ist das der Brüssel-EU!

Walter Bühler | So., 2. Oktober 2022 - 13:55

Ich finde es sehr gut, dass Sie nicht nur über Solidarität reden, sondern sie auch praktizieren. Ich glaube ihnen aufs Wort, dass Sie dabei eine Realität kennenlernen, die Sie bisher so nicht kannten.

Aber: Sie waren doch einmal Finanzminister. Soll ich glauben, dass derart prominente SPD-Mitglieder und ehemalige Jusos gar nichts von der sozialen Lage im Land und von der Arbeitsweise der Verwaltungen und der sozialen Sicherungssysteme gewusst haben?

Das würde ein trauriges Licht auf unsere Parteien und auf die von ihnen bestellten Minister werfen.

Ihre Definition "Föderalismus = diffundierende Verantwortungslosigkeit zwischen den staatlichen Stellen und Ebenen." ist zwar sehr hübsch, hat aber mit den berichteten Vorkommnissen gar nichts zu tun.

Grundsätzlich habe ich schon lange den Verdacht, dass die gegenwärtigen Parteien grundsätzlich nicht mehr fähig sind, ernsthafte politische Probleme zu lösen. Das gilt nicht nur für den Föderalismus, nein, wirklich nicht.

Auch wenn es Sie verblüffen sollte: Ja, als Finanzminister beschäftigt man sich für gewöhnlich nicht mit der bundesrechtlich geschaffenen Verwaltungsstruktur von SGB-Leistungen. Das machen Arbeits- und Sozialminister. Ist ja auch logisch - oder denken Sie wirklich, Bildungsminister würden sich umgekehrt mit der Frage beschäftigen, welches Sachgebiet in welchem Finanzamt in welchem Umfang vorgehalten wird - oder ob die Grundfreibeträge an die Inflation angepasst werden? Wenn es so wäre, hätte jemand seinen Job und das Prinzip der Arbeitsteilung missverstanden.

Und selbstverständlich ist der Wahnsinn auch Ausdruck eines föderal dysfunktionalen Systems. Warum meinen Sie denn, dass das Jobcenter den Unterhaltsvorschuss von der Stadt eintreibt? Damit die Kosten bei der Kommune und nicht beim Bund hängen bleiben. Es wäre ganz leicht möglich, so etwas bürokratiearm zwischen den Behörden zu organisieren - ohne die Leistungsbezieher zu behelligen und dadurch Steuergelder zu verbrennen.

Walter Bühler | Mo., 3. Oktober 2022 - 17:55

Antwort auf von Brodkorb

... um die wahre Lage kennenzulernen. Ich hoffte immer, in einer Demokratie würden die Parteien durch die innerparteilichen Diskussionen genügend realitätsbezogene Informationen an die Regierungsebene liefern könnten, so dass solche strapaziösen Inkognito-Reisen unnötig wären.

Solange ich in der SPD war, wurde auf der unteren Ebene auch genau das gemacht. Aber natürlich: Was ist damals davon "oben" wahrgenommen worden? Und kommt heute in den Abteilungen überhaupt noch das "Volk" zu Wort?

Und ist es vielleicht wirklich eine reine Träumerei, wenn man zu glauben wagt, dass in einer demokratischen Regierung sämtliche Minister ein Gesamtbild von der Lage des Landes haben könnten, auf dessen Basis sie ihr jeweiliges Ressort beackern? Ist das heutzutage zu viel verlangt?

Warum brauchen Beamte heute Mut, wenn sie zum Hörer greifen und ihren Kollegen in der anderen Behörde anrufen wollen? Weil die Datenschutz- und Kompetenz-Vorgaben der Politik das erschweren - oder etwa nicht?

Walter Bühler | Mo., 3. Oktober 2022 - 17:59

Antwort auf von Brodkorb

... um die wahre Lage kennenzulernen. Ich hoffte immer, in einer Demokratie würden die Parteien durch die innerparteilichen Diskussionen genügend realitätsbezogene Informationen an die Regierungsebene liefern könnten, so dass solche strapaziösen Inkognito-Reisen unnötig wären.

Solange ich in der SPD war, wurde auf der unteren Ebene auch genau das gemacht. Aber natürlich: Was ist damals davon "oben" wahrgenommen worden? Und kommt heute in den Abteilungen überhaupt noch das "Volk" zu Wort?

Aber ist es wirklich eine substanzlose Träumerei, wenn man zu glauben wagt, dass in einer demokratischen Regierung sämtliche Minister ein Gesamtbild von der Lage des Landes haben sollten, auf dessen Basis sie ihr jeweiliges Ressort beackern? Kann ein solcher Überblick heutzutage nicht verlangt werden?

Warum brauchen Beamte heute Mut, wenn sie zum Hörer greifen und in der anderen Behörde anrufen? Weil die Datenschutz- und Kompetenz-Vorgaben der Politik das erschweren - oder ist es etwa nicht so?

Gisela Hachenberg | So., 2. Oktober 2022 - 14:34

Ich glaube jedes Wort in diesem Artikel. Jeder, der einmal in einer „ernsteren“ Angelegenheit mit deutschen Behörden zu tun hatte, kennt das. Nur, werter Herr Brodkorb, glaube ich, dass Friedrich Merz mit seinem „Asyltourismus“ etwas anderes meinte. Nämlich die Ukrainer, die täglich mit Flix-Bussen einreisen und hier Hartz 4 (später Bürgergeld) beantragen und per Bus zurückfahren. Man kann es ihnen noch nicht mal verübeln, wenn der deutsche Staat so großzügig Hilfe bereitstellt. Ich könnte noch einiges über An- und Abmelden und Beantragen von Hilfe für Ukrainer schreiben. Aber das würde zu weit führen. Fest steht, dass es in unserem Land einen „Behördendschungel“ gibt! Wehe, wenn man hineingerät. Ihnen, Herr Brodkorb, Anerkennung für die geleistete und noch zu leistende Hilfe. Bin gespannt, wie es weitergeht!

Ingo Frank | So., 2. Oktober 2022 - 15:14

in Behörden & Ämtern . Dazu noch die, die sich diesen Wiedersinn ausdenken und das noch in Gesetzte und Verordnungen und dann noch in die x- te Ergänzung gießen. Alles brotlose Kunst. Uns fehlen im Buntland Germany keine Arbeitskräfte. Schafft den Staat als größten Arbeitgeber ab, dann sind genügend Kräfte in der Produktion vorhanden. Qualifizieren können DIE sich selber, wissen ja wie’s geht.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Martin Falter | So., 2. Oktober 2022 - 15:33

schlimmer und verzwickter.

Lassen Sie mal einen Führerschein ändern ( vorgeschrieben von alt auf neu ) oder eine Auto zu ( nicht in Berlin ).

Früher konnte man die Herren und Damen noch einfach Vormittags am Wochentag "belästigen".

Heute brauchen Sie einen Termin, der 1 bis zu 3 Wochen Vorlaufzeit haben kann.

Nichts geht digital, aber von der Öltankprüfung bis zur Steuererklärung ist alles mit Terminen belegt und bei Nichteinhaltung ( siehe Terminvergabe ) wird es teuer für den Bürger.
Die Ämter haben aber alle Zeit der Welt.

Georg Kammer | So., 2. Oktober 2022 - 18:54

Eilmeldung:
50 jähriger Ukrainer, mit Familie seit Juni 2022 in BERLIN, in Container - Flüchtlingseinrichtung, tötet seine ukrainische Frau mit einem Messer, die ukrainischen Töchter mussten das mit ansehen.
Wohl zu wenig Harz - 4, keine neuen Zähne und Hüftgelenk umsonst, und keinen Mercedes 500 E und keine Villa?
Das hat sich der Ukrainer wohl ganz anders vorgestellt.
In Deutschland heißt das Motto, von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare.
Wie im Mittelalter.
Die, die das Volk knechten , schänden und Ablass erpressen, wollen uns was von Demokratie erzählen.
Wer hat dich verraten, die Sozialdemokraten, so was wie der regierende Lügenaugust, Austernministerin, Porschefahrer und Nuschelpeter.
Die Speicher sind zu 90 % gefüllt, das über das Gas aber nicht nur Deutschland verfügen kann, kein Wort.
Heute bei ARD Presseclub, der Moderator, das habe ich noch gar nicht gewusst, unser Nuschelpeter wohl auch nicht, oder wird das deutsche Volk täglich betrogen?
JA; JA; JA;
Arbeitslos und Spass dabei, das wird das neue Motto.
War auch immer mein Anspruch.
Für diesen Staat so wenig wie möglich zu arbeiten.
Niedersachsenwahl, AfD bei 10 %, Linke bei 4 % ,
bundesweit bei 14 % ! Weitermachen, bald wird unser Merz die Katze aus dem Sack lassen, und dann fahren wir mal rechts vor links.
Viel Spass weiterhin im Arbeits - Verweigerungs - Center.
Deshalb mehr Zahnstocher - Schnitzer und mit Vorliebe, Muslime, die Deutschland retten, ne Hr. Heil ?
Ich brauch auch nicht eine Ukrainerin, die mir das Sklavenamt und deren Machenschaften erklärt, nicht eine Einzige !

Manfred Westphal | So., 2. Oktober 2022 - 21:11

Habe mich beginnend als Lehrling über Selbstständigkeit bis heute als Rentner mit Subventionen, Zuschüssen, öffentlichen Geldern, Pflegegeld, Wohngeld usw. für mich und andere
durch den bürokratischen Dschungel gekämpft und in der Regel die Ziele in DM und € erreicht. Es ist ein Abenteuer, wie im echten Dschungel, nur nicht so gefährlich, aber recht einträglich.

Gabriele Bondzio | Mo., 3. Oktober 2022 - 09:39

und wenn sie da reingeraten, kommen sie u.a. gut geschrotet hinten raus.

Allein die Formulare zu jeden Vorgang, sind sprichwörtlich so gestaltet, dass sie (ein fehlendes Ankreutzkästchen) öfters "jein" benutzen müssten.

Oder ein spezielles Studium für Behördensprache absolvieren sollten. Ich bin nun nicht auf den Kopf gefallen und beherrsche die deutsche Sprache sehr gut (Flüchtigkeitsfehler eingeschlossen)...aber Post vom Amt, muss ich erst mal ein paar Tage durchkauen.

Grausig, wenn frau nicht zum Telefon greift(Warteschlangen bis 20min einkalkulieren) und just einen gut gelaunten Beamten antrifft, der den Erklärungsnotstand behebt.

"Behörden sind Gestüte für Amtsschimmel."
-Quadbeck-Seeger

Ernst-Günther Konrad | Mo., 3. Oktober 2022 - 10:50

wirbt ein Baumarkt für seine Produkte. Was Sie da nachvollziehbar und glaubhaft schildern Herr Brodkorb, ist nur ein kleiner Ausschnitt unseres bürokratischen Irrgartens. Ich denke mal, da könnte jeder von uns im Forum einen ganzen Cicero füllen an bürokratischem Wahnwitz, Absurditäten und sinnlosen Verwaltungsakten. Jeder aktive Politiker, der die Ukrainepolitik befürwortet, sollte höchst persönlich einen Flüchtling aufnehmen, ihn betreuen, ihm Unterkunft besorgen und bei Behördengängen und Sprachkursen begleiten und mündlich und schriftlich gegenüber der Behörde helfen. Nein, nicht mit dem Briefkopf eines Bundestagsabgeordneten und auch nicht durch ein oder zwei Anrufe im Netzwerk, sondern als Privatperson ohne Hervorhebung des Mandats. Und wenn er mit dem Flüchtling durch ist, einen Bürgergeldempfänger und einen Rentner beim unmittelbaren Kampf mit dem Behördenchaos. Sie haben es getan und sind aufgewacht. Leider bedurfte es erst ukrainischer Flüchtlinge. Aber besser spät als nie.