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Deutscher Staat als Totalversorger - Es gibt keinen Liberalismus mehr

Kisslers Konter über Politik und Selbstbedienung: Längst nicht nur in Südeuropa hat sich der Staat zum Totalversorger entwickelt. Das zeigt der Fall des ehemaligen thüringischen Regierungssprechers Peter Zimmermann, der mit 37 in die Privatwirtschaft wechselt. Seinen persönlichen Rettungsschirm spannt der Staat über ihm auf

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ein sicherer Lacherfolg im Programm des Kabarettisten Arnulf Rating ist der Satz: „Ich schwöre, am deutschen Volk zu verdienen, so bar mir Geld helfe.“ Die bittere Persiflage auf den Amtseid deutscher Minister enthält mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Natürlich wird man damit nicht der berühmten breiten Masse gerecht, den Amts- und Mandatsträgern vor allem auf regionaler oder kommunaler Ebene, die sich für karge Aufwandsentschädigungen Wochenende für Wochenende zur öffentlichen Person entstellen lassen. Sie sind das Wurzelgeflecht unserer Demokratie.

Wohl aber hat die Größe der Tröge, die locken, einen dämpfenden Einfluss auf das Gewissen. Vom Stamme Nimm sind längst nicht nur die so gerne belächelten Staatsdiener südeuropäischer Provenienz. Nein, wo immer der Staat mit Pfründen und Rundumsorglospaketen wedelt, ist die Nachfrage größer als das Angebot. Unlängst war dieser trübe Zusammenhang am Beispiel eines ehemaligen thüringischen Regierungssprechers zu besichtigen. Der Mann von 37 Jahren, Peter Zimmermann mit Namen, wird aus der harten Landespolitik in die noch härtere freie Wirtschaft wechseln, als Geschäftsführer zu einer Internet-Firma. [[nid:54578]]

Statt aber augenblicklich mit den Chancen auch die Risiken der Selbstverwirklichung anzunehmen, darf der glückliche Mann offenbar mit dem Besten zweier Welten rechnen: mit tendenziell unbegrenzten Einkommensmöglichkeiten auf freier Wildbahn - und mit einem lebenslang gemütlich schaukelnden finanziellen Rettungsschirm aus dem thüringischen Staatssäckel. Sollte der Ausflug in die Privatwirtschaft dauerhaft scheitern, darf Zimmermann, der in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist, mit einer lebenslangen Rente, einem „Ruhegeld“ von rund 3500 Euro monatlich rechnen. Womöglich ab dem 42. oder 43. Lebensjahr. Der Steuerzahler macht's möglich.

Periodisch wiederkehrende Fälle wie dieser sind es, die die Schar der Nichtwähler von Jahr zu Jahr wachsen lassen. Sie bestätigen auf denkbar simple Weise das Vorurteil, dass sich im politischen Geschäft wie in jedem Geschäft die Absahner neben den Ehrenleuten bewegen, dass Geld das Schmiermittel aller Beziehung und Gemeinwohl die Begriffshülse für das eigene Karrierestreben sein können. Arnulf Rating bezieht seinen Spruch auch auf das geschäftsanbahnende Politikgeschäft der Herren Fischer, Joschka, und Schröder, Gerhard, die ihr vom Volk verliehenes Mandat auch nutzten, um geldwerte Kontakte für die Zeit danach zu knüpfen. Sollte, fragt Rating listig, nicht das Volk an den Erlösen der Zweitverwertung von Politikerkarrieren beteiligt werden?

Zu jedem, der nimmt, gehört mindestens einer, der gibt. Der deutsche Staat, so überreich gemästet durch Steuereinnahmen, dass er kaum gehen kann, verteilt zu leicht seine Gratifikationen. Er hat es verlernt, das Wichtige - die Gesellschaft - von dem minder Wichtigen - dem Staat - zu scheiden. Er nimmt das eine für das andere und maßt sich eine Allkompetenz an. Er will Allesvertilger sein und niemanden aus seinen Klauen entlassen. Im Guten wie im Schlechten ist der Staat zum Gegner des Individuums geworden. Mal wird es ausgehorcht, mal mit einem Wust an Vorschriften gegängelt, mal geschröpft und mal umarmt. Die Grundmelodie ist dieselbe: Wir lassen dich nicht.[[nid:54578]]

Wenn das gute Leben sich an der Hand des Staates vollziehen soll, ist es schwer einsichtig, warum ein Staatsdiener irgendwann auf die schützende Hand des Staates verzichten sollte. Es ist geradezu Normalfall geworden, alle sozialen und geschäftlichen Beziehungen staatsförmig zu betrachten, immer zu fragen nach dem Anspruch des Staates statt nach den Rechten des einzelnen. Der Stamme Nimm wird wachsen und gedeihen, solange der Staat weiter anschwillt und über die Ufer tritt. Gegen diese Flut sind Staudämme dringend geboten. Doch woher nehmen? Es gibt keinen Liberalismus in Deutschland.

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