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Geschäftsmann in Rumänien: - Ich schäme mich für die Deutschen

Die Vorurteile gegen Rumänen haben durch die völlig überzogene Diskussion über „Armutsmigration“ neue Nahrung erhalten. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun, berichtet der Geschäftsmann Ludger Thol aus Cluj in Rumänien

Autoreninfo

Ludger Thol ist Geschäftsführer der Lupp Projekt Transilvania in Cluj-Napoca und Vorsitzender des deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Nord Transilvanien (DWNT). Außerdem ist er Mitglied des Vorstandes der deutsch-rumänischen Außenhandelskammer.

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Als Deutscher, der seit vielen Jahren beruflich in Rumänien tätig ist, schäme ich mich. Es verletzt mich ansehen zu müssen, wie Rumänen, die nach Deutschland kommen, derzeit einer populistischen Stimmungsmache seitens meiner Landsleute ausgesetzt sind.

Gerade wir Deutschen sollten nicht vergessen, dass wir das Wirtschaftswachstum der 1960er Jahre unseren italienischen, jugoslawischen und türkischen Gastarbeitern zu verdanken haben. Sie legten durch ihren Fleiß und Arbeitseifer die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand. Sicher wurde damals manches versäumt: So hätte man die Integration dieser ausländischen Mitbürger stärker fördern sollen. Doch daraus haben wir gelernt.

Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation. Es geht nicht um Wirtschaftswachstum, sondern vielmehr um das Bewahren unseres Lebensstandards. Einerseits altert die deutsche Bevölkerung, die Sozialsysteme sind an ihrem finanziellen Limit, den Rentenkassen fehlt Geld. Andererseits suchen die Industrie und der gesamte Dienstleistungsbereich verzweifelt Arbeitskräfte, um das „Made in Germany“ beziehungsweise die Erfüllung der sozialen Staatsaufgaben weiterhin sicherzustellen.

Primitive Stimmungsmache


Jetzt haben wir die große Chance, freie Arbeitsplätze durch Osteuropäer zu besetzen. Die politischen Rahmenbedingungen liegen vor – dank der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wonach jeder Europäer innerhalb Europas freie Arbeitsplatzwahl hat. Es ist eine der großen Errungenschaften der EU.

Und was macht die deutsche Politik? Allen voran schürt die CSU Ängste vor einer Zuwanderungswelle, die die Sozialsysteme belasten. Die CSU poltert gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, noch schlimmer, sie unterstellt den arbeitswilligen Rumänen, in die „sozialen Sicherungssysteme“ als sogenannte  Armutsmigranten einzuwandern. Welch primitive Stimmungsmache!

Nach zehn Jahren in Rumänien habe ich die Mentalität und Situation der dortigen Menschen kennengelernt. Die große Mehrheit der in Deutschland Arbeitssuchenden ist gut ausgebildet und motiviert. Es sind überwiegend die jungen, sprachbegabten Rumänen, die sich durch die höher bezahlte Arbeit in Deutschland ein besseres Leben erhoffen als es ihre Eltern hatten. Warum geben wir ihnen nicht das Recht dazu?

Dass dieser Schritt ins Ausland nicht so leicht ist, zeigen die Beispiele junger Rumänen, die dem Ruf des angeblich verlockenden, reichen Westen folgten: Sie arbeiteten dort, kehrten aber nach wenigen Monaten wieder in die Heimat zurück. Die höheren Lebenshaltungskosten in Deutschland haben das Thema Geld schnell relativiert. Noch schwerer wogen Momente der Einsamkeit, weil es nur wenigen gelang, Kontakte zu Deutschen zu knüpfen. Da schmerzte es sehr, aus dem sozialen Umfeld in der Heimat herausgerissen zu sein. Die interkulturellen Unterschiede sind nicht zu unterschätzen.

Diese Beispiele zeigen, dass die sozialen Bindungen der Rumänen eine große Rolle spielen. Keiner gibt diese freiwillig auf, um in Deutschland nur „ins soziale Netz zu immigrieren“, wie es die CSU posaunt. Jene, die nach Abwägen aller Vor- und Nachteile nach Deutschland kommen, wollen Geld verdienen. Das heißt, sozialversicherungspflichtige Arbeit annehmen und nicht arbeitslos sein.

Wenn Deutschland seinen Arbeitsmarkt gegenüber den Arbeitsmigranten aus Rumänien abschottet, vertut es eine große Chance. Die Sozialsysteme könnten durch Besetzung der vorhandenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze mehr Geld einnehmen, um den Verpflichtungen gegenüber der alternden Bevölkerung nachzukommen – jetzt gibt es die Möglichkeit hierzu.

Wo bleibt das Machtwort der Kanzlerin?


Ein ganz anderer Aspekt wird von den Populisten der CSU verschwiegen. Zwischen Deutschland und Rumänien bestehen exzellente Wirtschaftsbeziehungen. Sowohl bei der Einfuhr als auch bei der Ausfuhr ist Deutschland mit Abstand Rumäniens wichtigster Handelspartner. In Rumänien sind 19.500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung tätig. In den vergangenen fünf Jahren wurden jährlich im Schnitt je 500 Firmen mit deutschem Kapital gegründet. Wir Deutsche werden in Rumänien freundlich und herzlich aufgenommen. Warum sind wir noch immer so negativ gegenüber den zu uns kommenden Rumänen eingestellt?

Alles in allem gleicht die derzeit die Medien beherrschende Diskussion der potenziellen „Armutsmigration“ und der potenziellen „Migration in die Sozialsysteme“ einem Armutszeugnis für Deutschland. Haben es Deutschlands Politiker nötig, sich mit derart populistischen Angstmachparolen auf Kosten des EU-Mitgliedslandes Rumänien zu profilieren? Wo bleibt hier das Machtwort der Kanzlerin, um ihre mitregierenden CSU-Politiker in die Grenzen zu weisen?

Es scheint, als wolle die CSU schon einmal Wahlkampf für die Kommunal- und Europawahlen betreiben. Dazu bedient sie sich Parolen aus den rechten Ecken von AfD und NPD. Eine traurige Entwicklung dieser Partei.

Als Deutscher in Rumänien möchte ich jene Politiker, die ernst genommen werden wollen, um etwas mehr Niveau bitten. Wir wollen doch nicht in einer Bananenrepublik enden.

Ludger Thol ist Geschäftsführer der Lupp Projekt Transilvania in Cluj-Napoca und Vorsitzender des deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Nord Transilvanien (DWNT) in Bukarest. Außerdem ist er Mitglied des Vorstandes der deutsch-rumänischen Außenhandelskammer.

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