Merz, Trump und Vance
Sehr unterschiedliches Verständnis von Meinungsfreiheit: Bundeskanzler Friedrich Merz mit US-Präsident Donald Trump und Vizepräsident J.D. Vance am 5. Juni im Weißen Haus / picture alliance/dpa/dpa Pool | Michael Kappeler

Deutsche „Meinungsfreiheit“ und amerikanisches First Amendment - Der Volksverhetzungsparagraph passt nicht in eine liberale Demokratie

Der Volksverhetzungsparagraph wurde seit Bestehen der Bundesrepublik immer wieder auf Kosten der Meinungsfreiheit ausgeweitet. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird eine weitere Verschärfung gefordert. Es ist vielmehr Zeit, den Paragraphen abzuschaffen.

Autoreninfo

Uwe Steinhoff ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Freedom, Culture, and the Right to Exclude – On the Permissibility and Necessity of Immigration Restrictions“.

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Der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance hat vor einigen Monaten europäischen Staaten vorgeworfen, die Meinungsfreiheit zunehmend einzuschränken, um missliebige Positionen und Wählerschichten zu isolieren und von politischer Macht auszuschließen. Soeben hat der Jahresbericht des US-Außenministeriums diese Einschätzung insbesondere in Bezug auf Deutschland nochmals bestätigt. Die oft hysterischen Reaktionen insbesondere auch deutscher Politiker zeigen, dass die amerikanischen Kritiker einen wunden Punkt getroffen haben. Die nüchterne Analyse der von diesen Politikern in den letzten Jahren verabschiedeten oder anvisierten Gesetze in puncto Meinungsfreiheit belegen, dass die Kritiker zudem Recht haben.

So trat im April 2022 eine Verschärfung des Paragraphen 188 StGB in Kraft. Schon zuvor war dieser Paragraph, der „Personen des öffentlichen Lebens“ – gemeint sind vor allem Politiker – in besonderer Weise schützt, als Zweiklassenrecht einem Obrigkeitsstaat angemessener als einer liberalen Demokratie. Einst freilich kriminalisierte er nur üble Nachrede und Verleumdung solcher Personen, nun auch noch die Beleidigung.

Insbesondere linksgrüne Politiker haben darauf ein System aufgebaut: Beim Verklagen vorlauter Bürger, denen beim Kritisieren ministerialer Inkompetenz das Wort „Schwachkopf“ über die Lippen kommt, erhalten sie großzügige logistische und finanzielle Schützenhilfe von links-grünen Vorfeldorganisationen, welchen sie ihrerseits zur „Demokratieförderung“ Steuergelder und Werbung zukommen lassen. So bleibt das entsprechende Steuergeld bei den Politikern und ihrer engsten Klientel. Der Bürger hingegen muss auf seine eigenen Ressourcen zurückgreifen, was oft dazu führt, dass er im Zweifelsfall den hohen Herren und Damen gegenüber lieber brav den Mund hält.

Des Weiteren hat die Ampelkoalition im Juli 2024 im Rahmen einer Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes die von ihr so genannte „Gehsteigbelästigung“ mit Bußgeldern belegt. Diese „Belästigung“ umfasst, in einem Umkreis von 100 Metern, auch stummes, den Zugang zur Klinik nicht versperrendes Dastehen mit Plakaten, welche „geeignet sind, bei einer Schwangeren eine erhebliche unmittelbare emotionale Reaktion wie insbesondere Furcht, Ekel, Scham oder ein Schuldgefühl auszulösen“. Es umfasst dem Wortlaut nach auch das Ankleben eines solchen Plakats am eigenen Fenster. Anders als bei anderen Gesetzen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit war hier die CDU übrigens ausnahmsweise dagegen.

„Hass und Hetze“ im Koalitionsvertrag

Ganz dafür ist sie freilich, wie der Koalitionsvertrag zeigt, allerlei zusätzliche Maßnahmen gegen „Hass und Hetze“ – ein Sprachgebrauch, der seinerseits unfreiwillig, aber keineswegs zufällig an ein Nazigesetz erinnert – zu ergreifen und den Volksverhetzungsparagraphen, der seit Bestehen der Bundesrepublik sukzessive immer wieder auf Kosten der Meinungsfreiheit ausgeweitet wurde, abermals zu verschärfen. Dabei ist dies zuletzt erst im Oktober 2022 geschehen, und zwar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf Drängen der EU-Kommission, die schon seit langem mehr Sympathie für „Hatespeech“-Gesetze denn für Meinungsfreiheit hegt. Juristische Kritiker bemängelten den Mangel an Debatte und dass das Gesetz „nicht gut gemacht“ sei, andere gingen weiter und monierten die „Kriminalisierung des politischen Gegners“ und einen „legalistischen Staatsstreich“. Die vereinbarte neue Erweiterung sieht nun auch noch folgerichtig die Möglichkeit vor, Politiker unter Rückgriff auf den Paragraphen gleich das passive Wahlrecht zu entziehen.

So mancher gestandene deutsche Politiker hat zu diesen Entwicklungen nichts Intelligentes oder auch nur Vertrauenerweckendes zu sagen. Jüngst etwa interpretierte der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck die Klage vieler Deutscher über unzureichende Meinungsfreiheit wie folgt: „Was die Leute meinen ist, dass sie Widerspruch ernten. Sie möchten gerne ihre Meinung sagen, und dann sollen wir anderen zustimmen.“ Tatsächlich jedoch sind Menschen, die über die oben genannten Denunziationsportale und Gesetzesverschärfungen informiert sind, durchaus imstande, mehr zu meinen, als Gauck es ihnen zugesteht.

Ebenso verfehlt ist es, wenn der Fraktionschef der Union, Jens Spahn, verkündet, jeder könne in Deutschland sagen, was er denke, aber es gebe halt Grenzen, wenn es strafrechtlich relevant werde. Erstens beweisen die genannten Denunziationsportale, die ausdrücklich auch auf Vergehen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ abzielen, dass das Strafrecht nicht das einzige staatlich finanzierte und politisch gewollte Mittel ist, Bürgern die freie Meinungsäußerung und am besten noch das freie Denken auszutreiben. Zweitens beantwortet man die Frage nach der Gerechtigkeit und Vernünftigkeit von in die Meinungsfreiheit eingreifenden Gesetzen nicht mit dem Hinweis auf deren Existenz.

Ideologische Schlagseite bei der Anwendung des Volksverhetzungsparagraphen

Daher ist auch nach der Berechtigung des Volksverhetzungsparagraphen zu fragen, eines Paragraphen, der von weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften und parteipolitisch allzu verlässlichen Richtern zunehmend mit ideologischer Schlagseite, also als Gesinnungsstrafrecht, statt mit der moralisch und verfassungsmäßig gebotenen Standpunktneutralität in Anschlag gebracht wird – so etwa gegen Kritiker der Pandemiemaßnahmen, der ungezügelten Migrationspolitik sowie des Islam.

Freilich wird man aufgrund einer solchen Frage in Deutschland schnell Verdächtigungen ausgesetzt. So verstieg sich etwa der ehemalige Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der Historiker Volkhard Knigge, zu der zwar gegen Björn Höcke gerichteten, aber der Logik nach allgemeinen Behauptung, man enthülle seine antidemokratische Gesinnung, wenn man mit dem Argument der Meinungsfreiheit gegen Paragraphen vorgehe, die die deutsche Demokratie wehrhaft machten. Tatsächlich enthüllt sich hier nur, dass man im Deutschland der Parteipolitik auch dann der Erinnerungskultur vorstehen kann, wenn man Antidemokraten nicht von kompromisslosen Verfechtern der Meinungsfreiheit zu unterscheiden vermag. Hitler war jenes, nicht dieses.

Die wehrhafte Demokratie des Volkes und der Volksverhetzungsparagraph der Autoritären

Zudem macht der Volksverhetzungsparagraph keineswegs die deutsche Demokratie als vielmehr den deutschen Staat und die deutsche Regierung gerade gegen den demos wehrhaft. Es sei daran erinnert, dass der Volksverhetzungsparagraph 1960 durchaus gegen deutlichen Widerstand eingeführt wurde.

In einer Bundestagsrede gegen den Paragraphen erklärte der CDU-Abgeordnete Franz Böhm, „die große Lehre“ aus der jüngsten Geschichte sei, dass „eine Nation, die nicht will, dass so etwas wie der Nationalsozialismus aufkommt, sich nicht auf ihre Staatsanwälte und ihre Polizei verlassen darf, sondern auf die Straße gehen muss, in die Hände spucken und sich zur Wehr setzen muss, wenn irgendwelche Leute eine gehässige Politik propagieren“. Und der SPD-Abgeordnete Adolf Arndt erklärte, „Redewendungen wie ‚hetzen‘ und ‚Volksverhetzung‘ als Gesetzesbegriffe“ ließen sich nur „in das unbestimmte und daher parteilich willkürliche Strafunrecht einer totalitären Macht einfügen“. Beide Politiker waren übrigens, wie man an ihren Lebensläufen feststellen kann, alles andere als Nazifreunde. Vielmehr verstanden sie, dass die Wehrhaftigkeit einer Demokratie im Volke selbst liegt, nicht in irgendwelchen Paragraphen, die Staat und Regierung allzu leicht gegen dieses wenden können.

Das Wunsiedel-Urteil

Zudem sollte klar sein, dass die Begründungslast bei Befürwortern eines solchen Paragraphen liegt, nicht bei dessen Gegnern. Der Paragraph ist ein Eingriff in ein Grundrecht, nämlich die Meinungsfreiheit, und bedarf daher der Rechtfertigung. Hierbei kommt dem Wunsiedel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts besondere Bedeutung zu, zumal es dort nicht um bloße Tatsachenbehauptungen, sondern um Meinungsäußerungen geht.

Das Urteil wird von Liberalen (im philosophischen, nicht im parteipolitischen Sinne) oft dafür gerühmt, dass es die Grenzen der Meinungsfreiheit sehr weit zieht. Ausdrücklich wird festgestellt, das Grundgesetz rechtfertige „kein allgemeines Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts“. Gesinnungspolizeilichen Anwandlungen, wie sie leider in Deutschland mehr und mehr um sich greifen, wird damit im Prinzip eine Absage erteilt. (Lediglich „im Prinzip“, da das notorisch unbestimmte Menschenwürdeprinzip, wie von diversen Kritikern immer wieder moniert wird, ein Einfallstor für richterliche Willkür bietet.)

Allerdings wird umgekehrt auch die Verfassungskonformität des Paragraphen bestätigt. Das Gericht meint, er genüge den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: „Die Vorschrift verfolgt mit dem Schutz des öffentlichen Friedens einen legitimen Zweck, zu dessen Erreichung sie geeignet, erforderlich und angemessen ist.“ Aber ist das so? Tatsächlich stellt das Gericht eher Behauptungen auf, als Begründungen zu liefern.

Der „öffentliche Friede“

Das Gericht gibt zu, dass die rechtswissenschaftliche Literatur Zweifel an der Bestimmtheit des Begriffs des „öffentlichen Friedens“ hat, sieht den durch entsprechende Äußerungen erfüllten Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens aber schließlich in einem „Absenken der Schwelle der Gewaltbereitschaft und in der bedrohenden Wirkung, die solchen Äußerungen“ zukomme. In dem Urteil bezieht sich das Gericht auf die „Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“, aber die angeführte Definition der Störung des öffentlichen Friedens beansprucht allgemeine Geltung, gilt also auch für andere Arten der „Volksverhetzung“.

Der Text des Paragraphen 130 stellt dem Wortlaut nach bereits die „Geeignetheit“ der Äußerung, den öffentlichen Frieden zu stören, unter Strafe, aber wie soeben gezeigt, definiert das BVerfG den Tatbestand enger, nämlich als tatsächliches Absenken der Schwelle zur Gewaltbereitschaft. Leider verzichten deutsche Gerichte auf diese feine Unterscheidung gern und begnügen sich mit bloßer „Geeignetheit“, was somit auf gerade das hinausläuft, was das BVerfG eigentlich ausschließen wollte, nämlich pure Gesinnungsjustiz. Hämmer sind auch geeignet, jemanden den Schädel einzuschlagen, aber das ist kaum ein hinreichender Grund, sie zu verbieten. Zudem ist selbst Gewaltbereitschaft etwas Innerliches – sie geht nicht zwangsläufig mit der tatsächlichen Anwendung von Gewalt einher. Möglicherweise meint das Gericht aber schlicht, die inkriminierten Äußerungen, vielleicht auch im Zusammenspiel mit ähnlichen Äußerungen anderer, trügen zur Zunahme tatsächlicher Gewalt in der Gesellschaft bei.

Vom Gericht unterstellte, aber nicht begründete Angemessenheit des Paragraphen

Wie dem auch sei, das Gericht erklärt, der Paragraph 130 Abs. 4 (dieser Absatz bezieht sich auf die Billigung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus) biete „einen angemessenen Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz des öffentlichen Friedens“. Leider offeriert das BVerfG in Anschluss an diese bloße Behauptung nichts, was auch nur im Entferntesten als ernsthafte Erwägung von Proportionalitätsfragen und mithin als Begründung gelten könnte.

Die Meinungsfreiheit ist schließlich ein Individualrecht, und individuelle Rechte haben gegenüber Rechtsgütern der Allgemeinheit ein besonderes Gewicht (der bekannte amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin spricht in diesem Zusammenhang von Rechten als Trümpfen). Es gibt ein Individualrecht auf Meinungsfreiheit, jedoch kein Individualrecht darauf, dass anderer Leute „Gewaltbereitschaft“ oder eine unbestimmte Bedrohungslage vermindert wird.

Anders ausgedrückt, selbst wenn der gesellschaftliche Nutzen eines Gesetzes, das in ein Individualrecht eingreift, den gesellschaftlichen oder individuellen Schaden überwiegt, heißt dies nicht, dass dieses Gesetz dem Proportionalitätsgebot entspricht. Beispielsweise würde ein Gesetz, welches vorsieht, zufällig ausgewählten Bürgern zwangsweise eine Niere zu entnehmen, um sie Bürgern zu transplantieren, die andernfalls sterben, in Bezug auf den gesellschaftlichen Nutzen (gerettete Menschenleben) den gesellschaftlichen Schaden (mehr Menschen mit nur einer Niere) überwiegen. Aber der potentielle Nierenempfänger hat schlicht kein Recht, anderer Leute Nieren zu erhalten, während der unfreiwillige Spender sehr wohl ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und damit darauf hat, seine eigenen Nieren zu behalten.

Vermuten beim Identifizieren von Gefahren, Einfallslosigkeit beim Finden von Gegenmaßnahmen

Das BVerfG belegt in seinem Urteil jedoch weder plausibel, dass der gesellschaftliche Nutzen des Gesetzes seinen Schaden überwiegt, noch erst recht nicht, dass der gesellschaftliche Nutzen die Verletzung des Individualrechts überwiegt. Es belegt nicht einmal, dass der genannte Schaden, nämlich die Absenkung der „Gewaltbereitschaft“, bei solchen Äußerungen überhaupt auftritt. Es meint vielmehr, dies dürfe man bei Vorliegen der anderen im entsprechenden Absatz des Paragraphen genannten Tatbestandmerkmalen „vermuten“. Tatsächlich jedoch sollte man individuelle Grundrechte nicht durch Gesetze einschränken und mit deren Hilfe jene ins Gefängnis bringen, die sie über die Einschränkung hinaus wahrzunehmen wagen, nur weil irgendjemand irgendetwas „vermutet“.

Wie sehr politische und richterliche Vermutungen über Gefahren einerseits und Einfallslosigkeit bei deren Bekämpfung andererseits bürgerlicher Freiheit entgegenstehen, hat man während der Pandemie zur Genüge erlebt. Auch im Wunsiedel-Urteil findet sich diese Kombination: Vermuten beim Identifizieren von Gefahren, Einfallslosigkeit beim Finden von Gegenmaßnahmen. So erklärt das Gericht apodiktisch, ohne geringste weitere Ausführungen: „Für den vom Gesetzgeber erstrebten Schutz des öffentlichen Friedens ist § 130 Abs. 4 StGB auch erforderlich. Ein milderes Mittel, das in Bezug auf die hier in Frage stehenden Rechtsverletzungen den Schutz des öffentlichen Friedens in gleich wirksamer Weise gewährleisten kann, ist nicht ersichtlich.“

Amerikanische Freiheit statt deutschem Obrigkeitsstaat

Glückliches Amerika! Amerikanischen Verfassungsrichtern nämlich ist das durchaus ersichtlich, was womöglich einen Unterscheid zwischen den Institutionen eines deutschen Obrigkeitsstaates und einer amerikanischen freiheitlichen Demokratie markiert. Der Rechtsprechung des amerikanischen Gerichts zufolge gilt die „Gegenrededoktrin“, das heißt, schädlicher Rede ist mit Gegenrede, nicht mit erzwungenem Schweigen zu begegnen. Auf nationalsozialistische Phantasmagorien mit deutlicher Kritik öffentlich zu reagieren, ist eine sinnvolle Maßnahme; sie mit Zensur in den Untergrund zu treiben, eher nicht. Letzteres dürfe die Schwelle zur Gewaltbereitschaft schon aus Ressentiment gegen die Unterdrückung nur noch weiter erhöhen. Im übrigen hat die öffentliche Auseinandersetzung den Vorteil, dass jene, gegen welche sich solche Rede richtet, ein adäquateres Bild von der gesellschaftlichen Stimmung erhalten und entsprechend planen können.

Eine weitere nicht nur ersichtliche, sondern ganz und gar offensichtliche Gegenmaßnahme ist die strengere Bestrafung und konsequentere Verfolgung der Gewalttaten selbst, zur deren Begehung die inkriminierte Rede Menschen angeblich „bereiter“ macht. Bei entsprechenden Strafandrohungen wird diese Bereitschaft deutlich sinken. Staatliche Ressourcen – will heißen, die Ressourcen der Steuerzahler – sollten nicht auf die Verfolgung vermeintlicher Meinungsdelikte verschwendet, sondern besser zur Verfolgung echter Gewaltdelikte nützlich eingesetzt werden.

Für Meinungsfreiheit in den weiten Grenzen des First Amendment

Der Volksverhetzungsparagraph hält also der kritischen Überprüfung nicht stand. Dasselbe gilt, aus ähnlichen Gründen, für andere gesetzliche Eingriffe in die Meinungsfreiheit, welche über die wenigen auch vom amerikanischen First Amendment erlaubten Eingriffe hinausgehen. All solche weitergehenden Eingriffe – und darin besteht ihr massiver gesellschaftlicher Schaden, der zur Verletzung des Individualrechts auf Meinungsfreiheit noch hinzutritt – werden selbst dort, wo sie im Gesetzestext Standpunktneutralität versprechen, in der tatsächlichen Rechtspraxis unvermeidlich mit ideologischer Schlagseite angewendet und von Staat und Regierung gegen Volk und Kritiker gerichtet werden. In Deutschland ist das inzwischen nur allzu deutlich.

Solche Eingriffe sind also nicht auszuweiten, sondern abzuschaffen. Den Regierenden macht dies das vom Volk und Opposition ungestörte Regieren natürlich schwieriger. Aber sie können ja jederzeit abtreten. Bei Regierungen, die sich für Eingriffe in die Meinungsfreiheit stark machen, wäre das ein großer Gewinn für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

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Jens Böhme | Di., 19. August 2025 - 08:24

Ein Meilenstein der Volksverhetzung war der öffentliche Umgang mit Ungeimpften während der Coronazeit.

Wolfgang Borchardt | Di., 19. August 2025 - 08:49

die Konsequenz. Was liegt näher, als die eigene ("unsere") Demokratie zu patentieren. Damit wäre sie vor jeglichem Anspruch Anderer bequem zu schützen. Und die Wächter der wahren Demokratie sind unentbehrlich, künftige Wahlsiege garantiert.

Alexander J. Schabries | Di., 19. August 2025 - 10:58

...dabei ist es doch so offensichtlich. Schon 1945 hat man gewusst:
„No Socialist Government conducting the entire life and industry of the country could afford to allow free, sharp, or violently worded expressions of public discontent. They would have to fall back on some form of Gestapo, no doubt very humanely directed in the first instance. And this would nip opinion in the bud; it would stop criticism as it reared its head, and it would gather all the power to the supreme party and the party leaders, rising like stately pinnacles above their vast bureaucracies of Civil servants, no longer servants and no longer civil.”
Broadcasted 4 June 1945 W.S. Churchill

Ernst-Günther Konrad | Di., 19. August 2025 - 12:09

Aber das wollen die linksversifften etablierten Parteien nicht. Die nutzen ihn, um allen und jeden verfolgen zu können. Und nebenbei könnte auch der Symbol-Paragraph mit abgeschafft werden. Es lebt keiner mehr aus der dunklen Zeit. Die Menschen, die derzeit leben haben keinerlei persönliche Schuld auf sich geladen und wissen mit den Symbolen aus der NS-Zeit umzugehen. Und diejenigen, die wenigen, die noch immer glauben an diese Zeit erinnern zu müssen, sind und werden ohnehin durch Missachtung von 99% der Bevölkerung bestraft. Ein liberales und selbstständig denkendes Volk weiß, wie man mit beiden Tatbeständen umgehen muss und braucht keine strafrechtliche Erziehung. Die beste Vorbeugung ist sachgerechte und ehrlich Aufklärung und keine Tabuisierung oder bevormundende Umerziehung. Und das sollte uns allen zu denken geben. Bei allem was man auch den Regierungen der USA vorwerfen kann, ihre Verfassung und ihre Freiheitsrechte halten sie alle in Ehren. Peinlich. Vance hat einfach Recht.

Markus Michaelis | Di., 19. August 2025 - 13:17

Dieses Argument von Gauck (und vielen anderen), dass die Rechten sehr wohl Meinungsfreiheit hätten, das Problem sei, dass sie Zustimmung von allen für ihre Meinung erwarten, stellt für mich die Dinge etwas auf den Kopf. Klar gibt es die, die irgendwas von "Volk und Vaterland" reden und erwarten, dass die ganze Menschheit dem, auch noch in ihrer Interpretation, zustimmt. Aber das ist doch bei uns der viel kleinere Teil.

Viel größer scheinen mir die Kreise, die von "Menschenrechten, Demokratie, Europa etc." reden, selbstverständlich von ihrer Interpretation ausgehen, keinerlei innere Widersprüche sehen, zu denen man sich stellen müsste, und dann von allen Zustimmung erwarten. Das scheint mir das mit Abstand größere Problem.

Am Ende ist alles Menschenrecht, entscheiden müssen wir dann auch nichts mehr, weil niemand gegen die Menschenrechte sein kann, Demokratie ist nur die institutionalisierte Bestätigung davon, die ganze Menschheit gehört dazu. Dazu wird Zustimmung erwartet.

Klaus-Peter Gerlach | Di., 19. August 2025 - 19:48

Wie schrieb das einstige liberasl-konservative Flaggschiff der sog. Leitmedien, die FAZ, am 17. August so schön:
"Und ein europäisch geprägter Liberalismus, der mehr staatliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen für zulässig und geboten hält, weil er der Souveränität des Einzelnen misstraut, Fehlinformation und unsaubere Kaufangebote im Internet zu durchschauen."
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