- Der Vulgärmarxist der Linkspartei
Wenige kennen Bernd Riexinger – und die ihn kennen, reden nicht gut über ihn. Wer ist dieser neue Chef der Linkspartei, der sich nur mit Lafontaines Hilfe auf dem vergangenen Parteitag durchsetzen konnte? Ein Porträt
Da stand er plötzlich auf der Bühne der Lokhalle in Göttingen und wusste selbst nicht, wie ihm geschah. Eine Woche zuvor hatte Bernd Riexinger, 56, noch nicht die geringste Ahnung von seinem bevorstehenden Karrieresprung. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch – das waren die großen Antipoden des verzweifelten Machtkampfs um die Führung der krisengeschüttelten Linken. Ihn kannte kaum einer, selbst in der eigenen Partei nicht.
Und dann passierte es. Als sich die Polit- Elefanten endgültig gegenseitig blockiert hatten, schlug Riexingers Stunde: Der Genosse Parteisoldat wurde General. „Hinbestellt und reingewählt“, so beschreibt ein Insider den Coup der Lafontaine-Fraktion, den Verdi-Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart und Landessprecher in Baden-Württemberg zum zweiten Bundesvorsitzenden der Linkspartei zu küren. Zwar entsprachen die 53,5 Prozent, die er erhielt, nicht gerade dem üblichen Spitzenergebnis sozialistischer Krönungsmessen, dafür aber wurde von seinen Genossen anschließend lautstark die Internationale angestimmt und der unterlegenen Bartsch-Fraktion der Antifa-Refrain „Ihr habt den Krieg verlor’n!“ entgegengeschleudert.
Nun also soll ausgerechnet der Mann die zerstrittenen Lager einen, der selbst als linker Hardliner und Freund, ja „Marionette“ und „Schießbudenfigur“ Lafontaines gilt. Ein schlechtes Omen kam umgehend aus der Zollernalb: Der dortige Kreisvorstand trat geschlossen zurück. Begründung: Mit Riexinger an der Bundesspitze sehe man keine Möglichkeit mehr, die nächsten Wahlen erfolgreich zu bestehen: „Bernd Riexinger als herausgehobener Vertreter jener Mischung aus gewerkschaftlichen Dogmatikern und städtisch geprägten Demo-Linken wird Die Linke noch tiefer in die Krise treiben.“ Auch die „zum Wesen der Linken gehörende Leidensfähigkeit“ habe „Grenzen“.
Der gelernte Bankkaufmann fing bei der Leonberger Sparkasse an, wechselte aber schon mit 25 Jahren vom Bankschalter ins Büro des freigestellten Betriebsrats. 1991 wurde er hauptamtlicher Sekretär der Gewerkschaft „Handel, Banken und Versicherungen“ (HBV), die 2001 im Verbund der neu gegründeten Organisation Verdi aufging. Seitdem sitzt er, nun auch schon elf Jahre lang, als Verdi-Bezirkschef in Stuttgart – ein lupenreiner Gewerkschaftsfunktionär. Kürzlich bilanzierte er auf einem Kongress mit dem zumindest grammatikalisch waghalsigen Titel „Marx is’ muss“ voller Stolz die rekordverdächtige Zahl von Streiktagen in seinem Bezirk: „Streiken ist ein bisschen wie Fahrradfahren: Wenn man es erst mal erlernt hat, dann verlernt man es auch nicht so schnell wieder.“
Seite 2: Riexinger sei politisch „ohne jeden Instinkt, eine strategische Niete“
Die Stuttgarter Zeitung nennt Riexinger, der für ein Gespräch mit Cicero keine Zeit fand, einen persönlich „sehr umgänglichen Menschen, ohne die Attitüde eines selbstgerechten Besserwissers“ – doch gerade Kollegen anderer Gewerkschaften zeichnen ein sehr kritisches Bild. „Er ist ein staatsgläubiger vulgärmarxistischer Brachial-Keynesianer“, sagt ein DGB‑Kollege in Berlin, seinem „altlinken Weltbild geradezu übertreu“, politisch aber „ohne jeden Instinkt, eine strategische Niete“. Tatsächlich scheint der Staat für Riexinger ein Gegner, wenn nicht Feind zu sein, dem man möglichst viele finanzielle Zugeständnisse abpressen muss: Je mehr Stellen im öffentlichen Dienst, desto besser. Für Differenzierungen ist da kein Platz. Es gibt es nur rechts und links, oben und unten.
Typisch sein Verhalten während eines Streiks im öffentlichen Dienst, von dem auch die Kitas betroffen waren: Als auch nach zehn Tagen noch kein neues Angebot der Arbeitgeber vorlag, empfahl er eine konsequente Fortsetzung. Als Druckmittel gegen die Kommunen wollte er ganz gezielt die entnervten Eltern einsetzen, ganz so, als handle es sich um Zulieferbetriebe für Automobilkonzerne.
[gallery:Oskar Lafontaine: Das Ende eines Instinktpolitikers]
Hier wird der „Streik als Mittel zur persönlichen und politischen Profilierung missbraucht“, urteilt ein anderer Gewerkschafter, dem Riexingers „rückwärtsgewandtes Schwarz-Weiß-Denken“ suspekt ist – weder „zeitgemäß“ noch „zukunftstauglich“. Tatsächlich fühlt man sich, wenn man sich dessen Reden auf Youtube anschaut, in die Zeit der fünfziger und sechziger Jahre versetzt. Man könnte glauben, der Mann habe sich seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt. Zwar beteiligt er sich fleißig an allen außerparlamentarischen Protestmoden – von „Stuttgart 21“ bis „Blockupy Frankfurt“ –, aber seine eingebaute, immer etwas leiernde Empörungsautomatik wirkt altbacken, einstudiert und abgelesen. Auf unbefangene Zuhörer hat sie einen deutlich einschläfernden Effekt. Seine Wirkung auf die Partei dürfte ähnlich sein.
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