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(picture alliance) „Vertrauen, genau wie Loyalität, ist ein wichtiges Führungsprinzip der Kanzlerin.“

Genervt vom Getöse - De Maizière beklagt Redseligkeit der Koalition

Berlin lärmt, die Koalition rumpelt, Thomas de Maizière hat es lieber leise. Das Getöse vieler Koalitionskollegen nervt den Verteidigungsminister. Im Cicero-Gespräch empfiehlt er ihnen, öfter mal zu schweigen

Der CDU-Politiker diagnostiziert erstaunlich offen, woran das schwarz-gelbe Bündnis seiner Ansicht nach krankt: „Es muss nicht jede Initiative von Einzelnen aus Fraktionen gleich öffentlich werden, bevor man sich abspricht, ob das Aussicht auf Erfolg hat“, sagt er im Gespräch mit Cicero (Dezemberausgabe). „Es muss auch nicht jeder seine Meinung vortragen und die als Meinung eines Koalitionspartners ausgeben.“
 

 


Das komplette Interview mit Thomas de Maizière in der Dezember-Ausgabe des Cicero. Das Heft ist am Kiosk und auch im Online Shop ab sofort erhältlich.

 

Das Problem seien nicht einmal inhaltliche Differenzen, sagt de Maizière. Sondern ein bei allen Koalitionspartnern des „zu weit ausgeprägten Individualismus“ in der Koalition. „Da hätte Schweigen einen Mehrwert.“

Namen nennt der Minister nicht. Dafür analysiert er das Anreizsystem in Berlin. Dort werde „Geschwätzigkeit prämiert“. Sich Sachkenntnis anzueignen, sei dagegen mühsam. „Aber der Mechanismus zwischen Medien und Politik belohnt das flotte Wort“. Und die Opposition? SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sei geradezu ein „Meister des flotten Wortes.“ Renate Künast von den Grünen hält de Maizière für wortmächtig, er lobt aber auch ihre Verschwiegenheit. In seiner Zeit als Kanzleramtschef habe er sie etwa bei Geiselnahmen eingeweiht – und immer habe sie dicht gehalten.

Nach seiner eigenen Einschätzung ist der Verteidigungsminister der Spitzenpolitiker mit der quantitativ geringsten Pressearbeit. Schweigen sei Ausdruck von Stärke. Zudem könne niemand täglich etwas Gutes beitragen. „Ehrlich gesagt wundert es mich, dass manchen in Berlin jeden Tag was Neues einfällt.“  Zu viele Politiker konzentrierten sich darauf, auf sich aufmerksam zu machen. Aus vertraulichen Gesprächen werde zu viel getratscht.

Nichts zu sagen, das hat de Maizière schon früh auf Kindergeburtstagen geübt, berichtet er. Ein Spiel hieß „Schweigenkönnen“. In dem Cicero-Gespräch erklärt er, wie man die Kunst des Schweigens trainieren kann und wie er die Diskretion seiner Beamten heimlich testet.

Sein gutes Verhältnis zur Kanzlerin erklärt er auch damit, dass beide wissen, dass der andere Schweigen kann. „Vertrauen, genau wie Loyalität, ist ein wichtiges Führungsprinzip der Kanzlerin.“

Die Verschwiegenheit in Merkels Machtsystem analysiert die Publizistin Gertrud Höhler in einem Beitrag für Cicero. „Im Schweigkartell der Mächtigen gelten Worte als Verrat“, schreibt sie.

„Dominanz durch Schweigen knechtet wirksamer als autoritäre Reden der Führung.“ Alle warteten, wann die Kanzlerin ihr Schweigen breche. Und alle würden immer unsicherer, ob die Kanzlerin bereits ein Urteil im Kopf habe, das sie zu Verlierern mache. „Selbst wenn sie redet, bleibt Merkel nah an der Auskunftsverweigerung.“ Höhler analysiert die Strategie der Mächtigen. Schweigen liefere eine Aura, die ein Sprecher kaum erreiche. „Je mehr er redet, desto weniger bleibt offen.“ Merkels Redestil liege so nah am Schweigen, dass er im Prinzip unermessliche Spielräume zum Selberdenken offen halte.

Schweigen und Verschwiegenheit in der Politik ist das Titelthema der Dezemberausgabe des Cicero. Dort werden auch fünf Fälle aus den vergangenen Jahren untersucht, in denen sich Politiker ins Abseits oder sogar um ihr Amt redeten. Horst Köhler, Guido Westerwelle, Kurt Beck, Herta Däubler-Gmelin und Rudolf Scharping, mussten konstatieren: Wenn ich nur geschwiegen hätte.

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