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(picture alliance) Es geht darum, die Wünsche der Pädophilen aushaltbar zu machen

Therapie für Pädophile - Damit aus Fantasien keine Taten werden

Es ist eine Liebe, die nicht sein darf: Pädophile wünschen sich Geborgenheit, Verständnis, Sicherheit und Sex - in der Beziehung mit einem Kind. Damit dieser Wunsch nicht in Erfüllung geht, müssen sie kämpfen. Jeden Tag

„Meine kleine Nachbarin ist so süß, circa 11, noch völlig flach oben und total verspielt. Sie hat mich schon öfter zum Spielen aufgefordert, aber ich trau mich nicht richtig wegen der ganzen Hysterie […] die Mutter der Kleinen ist nie da,[…] der Vater immer mit seinen Kumpels weg. Könnt ihr mir Tipps geben wie ich der Kleinen helfen kann, ohne dafür im Knast zu landen ?[...] Ich will mit der Kleinen nur Freundschaft sonst nichts,vielleicht kuscheln oder so aber mehr nicht.“ [video:Kein Täter werden. Auch nicht im Netz.]

Diese Worte schreibt Internetuser Ole im vergangenen Dezember in einem Internetforum für  Pädophile, der Name: Girllover-Forum. Nach einigen aufmunternden Worten seiner Mitdiskutanten, ist er einen Tag später etwas weiter: Die kleine Nachbarin habe bei ihm an der Tür geklingelt, die Eltern seien nicht zuhause, sie wollte herein. „Auch wenn ich nun Ärger kriege, aber ich lasse sie nicht vor der Tür stehen. Sie schläft nun in meinem Bett und ich kann auf dem Scheiß-Sofa pennen.“

Klaus M. Beier lacht freudlos. Der Psychoanalytiker und promovierte Philosoph kennt Geschichten wie diese – und er weiß auch, wie sie weitergehen können: „Ohne therapeutische Maßnahmen wird es nicht lange so bleiben, dass er auf dem Sofa schläft“, kommentiert er trocken.

Beier leitet das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité in Berlin und entwickelte 2005 das Präventionsprojekt Dunkelfeld, das mittlerweile in den Städten Regensburg, Kiel und Leipzig Nachahmer gefunden hat. Auch Hannover und Hamburg werden folgen. Mit dem Slogan „Kein Täter werden“ richten sich Beier und seine Kollegen an Menschen wie Ole, „die auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben“. Einige der Patienten von Beier haben sich bereits an Kindern vergriffen, andere wiederum geben sich – noch – mit Video- und Fotodarstellungen von Kindesmissbrauch, schönfärberisch als Kinderpornografie bezeichnet, zufrieden.

Die Voraussetzung für einen Platz in Beiers Therapiegruppen:  Bei keinem der Patienten darf ein Gerichtsverfahren anhängig sein, man will keinen Anreiz auf Strafmilderung schaffen. Vor allem aber muss tatsächlich eine Pädophilie vorliegen. Und das zu beurteilen, ist schwieriger als gedacht.  Menschen, die Kinder sexuell missbrauchen, begehen diese Taten in 60 Prozent der Fälle als sogenannte Ersatzhandlung. In ihren Sexualfantasien kommen Erwachsene vor und keine Kinder, trotzdem weichen sie „aus Angst vor gleichaltrigen Geschlechtspartnern und aufgrund fehlender sexueller Befriedigung auf Kinder aus“, so Beier. Etwa 40 Prozent gehen dabei auf das Konto von Männern, die in sogenannten phallometrischen Messungen auf die Präsentation von kindlichen Körperschemata mit einer deutlichen Volumenzunahme des Penis reagieren - einem Indiz für das Vorliegen einer Pädophilie.

Unter Frauen kommt Pädophilie dagegen sehr selten vor. So ist Klaus M. Beier erst eine Betroffene begegnet – da allerdings „mit massivem Leidensdruck“. „Diese Frau hatte auch schon sexuelle Übergriffe begangen“. Normalerweise aber finden sich die Täterfrauen eher auf dem Gebiet der Ersatzhandlungen, Beihilfe, unterlassener Hilfeleistung oder dem Zuführen zu den Tätern.

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Beier und Kollegen wollen präventiv wirken. Sie wollen helfen – möglichen Opfern aber eben auch möglichen Tätern. Denn viele Pädophile leiden selbst am meisten unter ihrer Neigung. Es sind Männer wie Leo. Er ist 25 Jahre alt und in einer Kleinstadt aufgewachsen. Wie viele der Patienten von Beier leidet er darunter, dass er, wie er seiner Therapeutin mitteilte, seine „Neigung nicht ausleben möchte.“ So kamen die Depressionen.

Mithilfe der Therapie habe Leo Werkzeuge erhalten, um seinen Willen zu stärken und keinen Übergriff zu begehen. Heute gefragt, ob es einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen geben kann, antwortet er: „Meiner Meinung nach liegen diese Männer falsch, weil Kinder niemals die geistige Reife für diese Erfahrung besitzen. Das heißt, sie wissen überhaupt nicht, worauf sie sich einlassen“.

Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es Pädophilen grundsätzlich Lust verschafft, kleine Kinder zu quälen. Das kommt natürlich vor, besonders in den Schlagzeilen großer Zeitungen, ist aber normalerweise nicht der Antriebsgedanke der Pädophilen. Diese Männer wünschen sich eine Beziehung mit dem Kind. Sie wünschen sich Geborgenheit, Verständnis, Sicherheit, Liebe. Dass am Ende dieser Kette auch die sexuelle Befriedigung steht, bleibt zunächst nur ein Randaspekt. Wenngleich ein sehr gefährlicher.

Denn es dauert meist nicht lange und der Wunsch nach der Vollendung dieser zweifelhaften Beziehung wird stärker: „Die Abläufe der sexuellen Handlungen mit Kindern sind in den Fantasien der Männer mit pädophiler Neigung exakt gespeichert“, weiß Beier. Er müsse dann in der Therapie „Verhaltensmechanismen entwickeln, damit aus den Fantasien keine Taten werden.“ Es geht nicht darum, die pädophilen Gefühle zu verbieten, sondern darum, das eigene Verhalten zu kontrollieren, die Wünsche aushaltbar zu machen.

Leo etwa ersehnt sich, seine verbotenen Wünsche in den Griff zu bekommen. Es ist alles, was er an Hoffnung hat. Aber seine Vorstellung über die mögliche Beziehung zu Gleichaltrigen offenbart, wie schwer das wird: „Es wäre eine Partnerschaft, die einfach nur zweckgebunden wäre. Man ist nicht alleine, gründet eventuell eine Familie. Eine tiefe Zuneigung aber, Geborgenheit und Ähnliches kann mir kein gleichaltriger Partner oder Partnerin geben.“

Hin- und hergerissen zwischen dieser tristen Realität und der Illusion einer glücklichen Beziehung, entscheiden sich einige Pädophile für den falschen Weg. Sie suchen nach einer Rechtfertigung dafür, dass das, was sie sich wünschen auch legal möglich sein soll. Diese Menschen werden immer leichter fündig im Internet, stoßen auf Gleichgesinnte in Foren wie dem der Girllover, wo die Mitglieder Namen von Kinderhelden haben, wie dem Panzerbären Iorek Byrnison aus dem Fantasy-Film „Der goldene Kompass“. Oder sie behelfen sich mit Argumenten wie denen der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS), die sich auf vermeintlich wissenschaftlicher Basis mit dem Phänomen beschäftigt und Thesen wie diese vertreten: „Auch pädophile Kontakte gehören zu solchen Handlungen, die trotz Ungleichheit der Partner gleichberechtigt und einvernehmlich gestaltet werden können.“ Beier warnt davor, wie findig die Vertreter der Pädophilie ihre Neigung schön reden. Bei der Pressevorstellung des Projektes „Kein Täter werden“ sei einer von ihnen im Raum aufgestanden und habe verkündet, dass seine sexuellen Erlebnisse im Kindesalter ihm keineswegs geschadet hätten.

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In Deutschland gibt es etwa 250.000 Betroffene – etwa ebenso viele Menschen sind an Parkinson erkrankt. Repräsentative Befragungen haben ergeben, dass vor ihrem 16. Lebensjahr etwa 8,6 Prozent aller Mädchen Opfer von sexuellen Handlungen durch einen erwachsenen Täter werden – und 2,8 Prozent der Jungen. Daraus ergeben sich hochgerechnet jährlich etwa 50.000 Missbrauchsfälle in Deutschland.  Das ist eine enorme Menge im Vergleich zu dem, was die offiziellen Zahlen vermuten lassen: Während etwa 12.000 Fälle im Jahr angezeigt werden, werden nur etwa 3000 Männer verurteilt. Damit ist das „Hellfeld“ wesentlich kleiner als das sogenannte „Dunkelfeld“ – also jene Taten, die der Justiz nicht bekannt werden.

In diesem Dunkelfeld handeln zu können, ist die Idee des Präventivprojekts „Kein Täter werden“.  Da ist zum Bespiel der Stiefvater, der die Stieftochter bereits missbraucht hat und nun in die Therapie kommt, erzählt Beier. „Sie wissen, die Justiz wird davon nie erfahren, die Situation ist innerfamiliär viel zu abgeschirmt. Sie wissen: Sie haben die Chance, weitere Übergriffe zu verhindern.“ Dabei tue es natürlich weh, dass der Missbrauch schon häufig passiert sei. Trotzdem sei es ein Erfolg für die Therapeuten, in das System einzugreifen, mit der Mutter ins Gespräch zu kommen, Risikosituationen zu verhindern, den Täter aus dem System zu lösen und mit Therapie und gegebenenfalls Medikamenten seine Impulse zu dämpfen. Aber Beier weiß auch, dass es für ihn nur eine einzige Chance gibt: „Die müssen sich zu erkennen geben.“

Als Gutachter hat er zunehmend mit der sogenannten Kinderpornografie zu tun, die von Otto-Katalogähnlichen Bildern bis hin zu schlimmsten sadistischen und masochistischen Szenen gehen. In der Öffentlichkeit beobachte er dabei eine weit verbreitete Bagatellisierung. Sogar Juristen würden da mitunter keine Ausnahme machen und zum Teil argumentieren, dass die Nutzung des Bildmaterials besser sei als ein realer Übergriff – zumal die Bilder ja sowieso schon in der Welt wären. Außerdem, so warnt Beier, müsse man davon ausgehen, dass das Schauen dieser Abbildungen „zu einer innerlich positiven Besetzung  des Missbrauchs“  beitragen könne. Dadurch wiederum würden Übergriffe in der Realität wahrscheinlicher.

Und niemand wisse genau, wie die Kinder unter diesen Missbrauchsdokumentationen leiden. Ihre Abwehrzeichen seien subtil, der Gesichtsausdruck wechsele zwischen Verwirrung und dem Erheischen von Aufmerksamkeit und Lob – „wenn das Gesicht überhaupt zu sehen ist und nicht verdeckt wird.“

Ole hat im Girlloverforum mittlerweile Antwort auf seinen Thread erhalten. Kommentator Mitleser antwortet: „Hast Du gut gemacht, wenigstens einer, der sich um die Kleine kümmert. Die Nacht auf dem Sofa wirst Du wohl überleben, und wenn Du das Mädchen wirklich magst, dann bringst Du gerne dieses Opfer auf. Vielleicht weckt sie Dich ja morgen früh zum Frühstück.“

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