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Crystal Meth - Die gefährlichste Stimulanz auf dem Markt

Vor einigen Wochen gab der SPD Politiker Michael Hartmann zu, die Droge Crystal Meth genommen zu haben. Er wollte im Rausch bessere Leistungen erzielen. Die Erfahrungen von Roland Härtel-Petri zeigen: Hartmann ist kein Einzelfall

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Merle Schmalenbach

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Das Glück der Patientin verschwand im Nichts. Himmelhochjauchzend – dann am Boden zerstört. Sie saß im Bayreuther Bezirkskrankenhaus vor dem Arzt Roland Härtel-Petri und beschimpfte ihn. In der Psychiatrie passiert so was schon mal, aber Härtel-Petri kam der Fall merkwürdig vor. Er ging die möglichen Diagnosen durch, er sprach mit Kollegen. Es kamen andere Patienten, denen es ähnlich ging. Die meisten hatten angegeben, Drogen zu nehmen. „Sie hätten stundenlang begeistert die Fliesen mit einer Zahnbürste putzen können – und dann waren sie völlig antriebslos.“ Es war das Jahr 1997, und Härtel-Petri betrat Neuland.

Anderthalb Jahrzehnte später sitzt er in einem Fernsehstudio in Berlin. Seine Miene ist ernst. Auf dem Tisch stehen Flaschen mit Rohrreiniger und Batteriesäure, Zutaten für die Droge Crystal Meth. „Es ist die gefährlichste Stimulanz, die wir momentan auf dem Markt haben“, sagt er. Er wirkt routiniert im Scheinwerferlicht.

Deutschland mangelt es an Daten und Studien
 

Härtel-Petri, 47, ist der bekannteste Crystal-Experte Deutschlands. Er tritt im Fernsehen auf, kürzlich erschien sein Buch „Crystal Meth – Wie eine Droge unser Land überschwemmt“. Auch vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestags redete er. „Ich bin nur der Einäugige unter den Blinden“, wiegelt er ab. „Ein Wald- und Wiesenpsychiater.“ Dabei hat er bislang 800 Crystal-Patienten behandelt. Das macht ihn zum Vorreiter.

In Deutschland mangelt es an Daten und Studien. Die Universitäten haben das Thema lange ignoriert. Man konnte damit kein Forschungsgeld einwerben, keine Karriere vorantreiben. Härtel-Petri denkt in anderen Kategorien. Sein Kopf ist voller Einfälle, sie strömen aus ihm heraus. Er redet schnell. Als Kind ist er wild, ungestüm. Oder impulsgestört, wie er es nennt. In der Schule prügelt er sich mit älteren Schülern. Mit 16 steckt er sich eine Sicherheitsnadel ins Ohr. Beim Windsurfen schätzt er die Lage einmal so falsch ein, dass er fast ertrinkt. „Ich bin neugierig wie eine Ratte“, sagt er.

Nach der Schule will er sich nicht festlegen. Er schreibt sich für Medizin ein, studiert zudem Religionswissenschaften und Ethnologie, reist nach Indien, Schweden und England. Der Hunger nach Erkenntnis treibt ihn an. Kurz überlegt er, Pharmaforscher zu werden, aber er fürchtet, dass es in der Branche nur um Profit geht. Er tut lieber, was ihn interessiert, ohne Kosten-Nutzen-Rechnungen. Es sind Menschen wie Härtel-Petri, die Debatten in Gang bringen. Die Braven, die Karriereplaner warten lieber ab.

Weil Härtel-Petri sich gern in die Welt seiner Patienten vortastet, entscheidet er sich für die Psychiatrie. 1997 fängt er in Bayreuth an, wo er die erste Crystal-Patientin trifft. Er ist alarmiert. Und neugierig. Seine Kollegen im Krankenhaus ticken ähnlich. „Junge Männer, die unerforschte Gebiete reizen“, sagt er.

Insider nennen Bayreuth die „Kristallstadt"
 

Hilfe bekommen sie kaum. Fachliteratur? Sie haben einen Fernleiheausweis, und Härtel-Petri wird der Fernleiheausweisbeauftragte. Die Literatur wälzen sie am Wochenende. Bald kommen Süchtige aus ganz Deutschland zu ihnen. Insider nennen Bayreuth die „Kristallstadt“.
Der Stoff gelangt meist über die tschechische Grenze ins Land. Betroffen sind vor allem Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 2013 beschlagnahmten Fahnder in 3847 Fällen Crystal Meth, 10 Prozent mehr als 2012.

Es ist eine gefährliche Droge. Sie wird meist geschnupft und hat ein enormes Suchtpotenzial. Im schlimmsten Fall löst sie gewalttätige Psychosen und Selbstmordgedanken aus. Der Entzug ist hart, er dauert sechs bis zwölf Monate. Durch die US-Serie „Breaking Bad“, in der ein sterbenskranker Chemielehrer die Droge herstellt, wurde das Thema hierzulande bekannter. Die Droge, das ist das Tückische, steigert kurzfristig das Selbstbewusstsein. Sie löst Euphorie aus, hält tagelang wach. Sinnlose Tätigkeiten machen plötzlich Spaß. Der Sex ist intensiv. Besonders beliebt ist die Droge bei Skinheads, Hooligans und in Techno-Kreisen. Aber auch Menschen, die mitten im Leben stehen, nehmen Crystal Meth. Härtel-Petri zufolge sind vor allem jene gefährdet, die hart arbeiten müssen und am Wochenende Spaß haben wollen.

Sich hochzuputschen ist eine Flucht
 

Für den Arzt ist die Droge auch Ausdruck der Ego-Gesellschaft. Er geht durch seine Praxis in Bayreuth. Aus dem Regal zieht er „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley. Er findet das Buch aktueller denn je. Der Leistungsdruck der Gegenwart sei unerträglich. Sich hochzuputschen ist eine Flucht. Es ist still in seinen Räumen. Die Praxis hat er im Januar aufgemacht. Die Arbeit in der Klinik drohte ihn zu zerreiben. Öffentliche Auftritte dosiert er. Er will jetzt öfter Kanu fahren gehen.

An einem kühlen Abend sitzt er auf einer Bühne in Bayreuth. Er blickt ins Publikum, 180 Leute lauschen der Podiumsdiskussion, die Stühle sind knapp. Lehrer, aber auch Angehörige von Süchtigen sind gekommen. Der Veranstalter, ein junger Mann mit Politikambitionen, grinst wichtig. Eine Suchtberaterin kommt spontan auf die Bühne. Härtel-Petri macht Platz. Er schiebt seinen Stuhl an den Rand. Raus aus dem Scheinwerferlicht.

 

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