Coronavirus - Die Krise als Chance

Schon jetzt ist klar: Die Corona-Krise wird nicht spurlos an der Gesellschaft vorbeigehen. Was nach dem Chaos folgt, birgt Herausforderungen für die Gemeinschaft und die Politik. Vor allem aber ist es eine Chance.

In der Krise schlägt die Stunde der Volksparteien / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Nichts wird mehr so sein, wie es war“ – so lautete eine Lieblingsphrase nach dem 11. September 2001. Ähnliches konnte man auch nach der Lehman-Pleite 2008 lesen. Und auch jetzt wieder geben sich viele Auguren überzeugt, das Corona-Jahr 2020 markiere eine Zeitenwende. Keine Frage: Epidemien haben das Potential, Kulturen zu stürzen, Epochen zu beenden und Welten zu revolutionieren.

Man denke nur an die Pestwellen des sechsten Jahrhunderts, die das Ende der Antike einläuteten. Und der Schwarze Tod im 14. Jahrhunderts hinterließ so tiefgreifende ökonomische, soziale und kulturelle Folgen, dass mit ihm das Mittelalter unterging. Vergleichbare Folgen haben allenfalls Kriege. Nun ist Covid-19 weder die Pest noch ein Weltkrieg.

Die Gesellschaft wird nachhaltig verändert

Doch dass die Pandemie des Jahres 2020 das Potential hat, unsere Gesellschaften nachhaltig zu verändern, ist jetzt schon klar. Irgendwann, vermutlich im Laufe des April – länger ist das Szenario kaum durchhaltbar – wird man dieses Land wohl oder übel langsam wieder hochfahren.

Der dann entstandene Flurschaden wird beträchtlich sein, doch zeigt sich die Politik auf allen Ebenen entschlossen, auch mit gravierenden finanzpolitischen Maßnahmen hier Abhilfe zu schaffen. Es wird nicht jede Bar, jedes Restaurant oder jeder Einzelhändler überleben, doch werden sich die kurzfristigen Schäden des Wirtschaftsstillstandes zunächst in Grenzen halten.

Finanzpolitische Hemmungen fallen

Interessanter sind da schon die mittelfristigen Folgen auf die Kernbereiche der deutschen Wirtschaft und die Haushaltspolitik. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in der Krise auch die letzten finanzpolitischen Hemmungen fallen. Man wird Konzerne massiv unterstützen, man wird auch vor Verstaatlichungen nicht zurückschrecken, man wird Schuldenbremsen aussetzen, unbegrenzte Gelder zur Verfügung stellen und mit Ideen wie Helikoptergeld und Grundeinkommen hausieren gehen. Die Zeit liberaler Ordnungspolitik ist, wenn nicht alles täuscht, vorbei.

Und auch was die politischen Folgen angeht, stehen die Zeichen nicht eben auf Liberalismus. In Zeiten der Krise scharen sich die Wähler zunächst um das Althergebrachte und die Exekutive. Politische Gewinner dürften kurzfristig die alten Volksparteien seien, allen voran die Union und im Konkreten: Markus Söder.

Weckt das Virus etatistische Gelüste?

Die FDP hingegen hat in Phasen, in denen der starke Staat gefordert ist, traditionell wenig anzubieten. Die Grünen entlarven sich in dieser Krise als das, was sie sind: eine Schönwetterpartei für Wohlstandsbürger – wer redet jetzt noch von Greta? Und auch die AfD wirkt aus der Zeit gefallen. Die Stunde der Oppositionsparteien wird jedoch in den kommenden Monaten schlagen, wenn es darum geht, den derzeit allmächtigen Staat wieder zurückzuschrauben.

Denn es steht zu befürchten, dass digitale Überwachungsmaßnahmen, Bewegungsprofile und andere massive Interventionen etatistische Gelüste wecken: Kann man etwa, was sich bei Corona bewährte, nicht auch für soziales und ökologisches Wohlverhalten anwenden? Und wie sieht es mit den finanzpolitischen Maßnahmen aus? Wie wäre es mit Finanz-Nudging?

Schlüsselaufgabe der Opposition

Hier den Anfängen zu wehren und darauf zu pochen, Notmaßnahmen konsequent wieder zurückzufahren, wird eine Schlüsselaufgabe der Opposition in den kommenden Monaten sein. Viel und gerne wird derzeit darüber spekuliert, ob die Krise auch die Chance birgt, unsere Gesellschaft mental zu verändern.

Nicht wenige träumen nun von einer geläuterten, solidarischeren, menschlicheren und vielleicht auch ernsthafteren oder sogar wahrhaftigeren postepidemischen Gesellschaft. Ohne Zweifel: Notlagen haben einen enormen pädagogischen Mehrwert. Sie erinnern daran, dass es wichtigeres gibt als Meetings, Projekte, Termine, Selbstverwirklichung, Yogakurse und den Mallorca-Funurlaub.

Die evolutionäre Funktion der Krise

Wären solche Lehren allerdings nachhaltig – die Menschheit hätte sich schon vor Jahrtausenden in einen Club stoischer Philosophen verwandeln müssen. Hat sie aber nicht. Krisen, das zeigt die historische Erfahrung, ändern nicht die Conditio humana. Der Mensch wird durch sie nicht besser oder schlechter. Jeder wird sich vielmehr in seinem Weltbild bestätigt sehen: Jene, die schon immer Erfüllung in der Familie fanden ebenso wie jene, die meinen, der Sinn des Lebens bestehe in irgendwelchen Spaßevents.

Dennoch haben Krise eine evolutionäre Funktion. Sie holen Gesellschaften und jeden Einzelnen aus der Routine. Unter ihrem Bannstrahl schmelzen angebliche Gewissheiten und alte Überzeugung wie Eis in der Sonne. Auch wenn es in Tagen der Ausgangssperren paradox klingt: Das kann eine enorm befreiende Wirkung haben. Wir sollten diese Chance ergreifen.

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