Corona-Debatte im Bundestag - Geschlossene Gesellschaft

In einer Aktuellen Stunde hat heute der Bundestag wieder einmal über die Maßnahmen gegen das Coronavirus debattiert. Das Parlament scheint sich in einer zunehmend mürbe machenden Dauerschleife aus Vorschlägen, Verfehlungen und Vorwürfen zu verfangen.

Jens Spahn, Angela Merkel: Die Regierung reagiert lustlos auf Kritik / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Die Hölle, das sind die anderen. Dieser leider oft wahre Satz von Jean-Paul Sartre stammt aus seinem Drama „Geschlossene Gesellschaft“, in dem drei Menschen nach ihrem Ableben auf ewig dazu verdammt sind, miteinander in einen Raum gesperrt zu sein und sich gegenseitig vergeblich zu begehren, zu verachten und zu quälen. 

Mittlerweile, nach einem Jahr der Pandemie, bekommt man immer mehr den Eindruck, diese geschlossene Gesellschaft erwarte einen nicht erst im Jenseits wie bei Sartre, sondern schon im Diesseits. Ein gutes Beispiel dafür ist die heutige Aktuelle Stunde im Bundestag, die sich auf Wunsch der CDU, CSU und SPD mit dem Thema „Verantwortung und Risikoverringerung – Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie“ beschäftigte.

Die Argumente sind ausgetauscht

Da war wieder die Union, dieses Mal unter anderem in Gestalt von Carsten Linnemann, die immer wieder zu vergessen scheint, dass sie die Bundesregierung anführt. Die Wirtschaft brauche wieder eine Perspektive, sagte der CDU-Abgeordnete, als sei nicht auch seine Fraktion dafür zuständig, diese zu geben. Da war die AfD, in Gestalt von Armin-Paul Hampel, der der Regierung vorwarf, Angst zu schüren und alte Menschen im Stich zu lassen. Da war die SPD, die zu mehr Solidarität aufrief, da war die Linke, die FFP2-Masken für alle und Krankenhäuser in öffentlicher Hand forderte. Da waren die Grünen, die anmahnten, dass Populismus jetzt nicht helfe. Da war die FDP, die wieder einmal sagte, dass sie schon vor Monaten das gefordert habe, worüber immer noch diskutiert werde.

Die Argumente in Sachen Pandemie sind längst in aller Ausführlichkeit ausgetauscht. Auf der einen Seite gibt es die, die sagen, man müsse effizientere, kleinteiligere Maßnahmen treffen. Risikogruppen schützen, mehr testen, hier flexibel öffnen, da flexibel schließen. Auf der anderen Seite gibt es die, die vor jeglichen Öffnungen warnen, weil keiner die Gefahr der Mutationen kalkulieren könne. Und dazwischen sitzt die Bundesregierung und versucht, ihre getroffenen Maßnahmen zu rechtfertigen und das auszusitzen, was sie versäumt hat. Die Argumente sind ausgetauscht, aber wie in der „Geschlossenen Gesellschaft“ werden sie ständig wiedergekäut. 

Die Antworten bleiben aus

Und die Fragen sind gestellt, aber die Antworten bleiben aus. Warum stocken die Impfstoff-Lieferungen? Schweigen auf Regierungsseite. Warum werden die Risikogruppen nicht besser geschützt, wie es FDP und AfD fordern? Warum wird nicht das „Tübinger Modell“ in ganz Deutschland übernommen, wie es Michael Theurer von der FDP eindringlich forderte, als sei der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer nicht bei den Grünen, sondern ein Liberaler? Die Regierung sieht sich nicht in der Pflicht.

Der CDU-Abgeordnete Andreas Jung erwiderte auf Theurers Frage: Tübingen habe die gleiche Bundesregierung wie der Rest der Republik. Heißt also: Wenn Maßnahmen nicht getroffen werden, hat nicht der Bund sie versäumt, sondern die Kommunen. Das mag stimmen. Es zeigt aber auch die Schwäche des deutschen Förderalismus. Und es zeigt die Schwäche der Bundesregierung. Die scheint aber inzwischen selbst auf Kritik lustlos zu reagieren. 

Denn geht es nach der Union, soll die Schuldfrage wohl erst nach der Pandemie geklärt werden. Georg Nüßlein (CSU) versuchte, Vorwürfe dementsprechend beiseite zu wischen: Wenn man sich die Schuldzuweisungen anhöre, habe man den Eindruck, etliche glaubten, man sei über den Berg. Das sei aber noch längst nicht der Fall. Immerhin scheint Nüßlein klar zu sein, dass man mit der derzeitigen Strategie nicht mehr lange weiterkommt. Der Lockdown-Verdruss wachse, die Pandemie sei aber nicht mit dem 14. Februar vorbei, auf den die derzeitigen Beschränkungen vorläufig befristet sind. Danach müsse das Virus „effizienter“ bekämpft werden. Wie diese Effizienz konkret aussehen soll, vermochte der CSU-Abgeordnete nicht zu sagen.

Zermürbende Dauerschleife

Und damit ging die ganze Angelegenheit wieder von vorne los: Die AfD verlangte mehr gesunden Menschenverstand, die SPD warnte vor vorschnellen Lockerungen, die CDU schob die Verantwortung ab. 

Es ist diese Dauerschleife an Vorschlägen, Verfehlungen und Vorwürfen, die inzwischen nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Politik zu zermürben scheint. Und es sieht nicht danach aus, dass sich daran bald etwas ändern wird. Bis dahin heißt es weiterhin: geschlossene Gesellschaft.
            

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