Arabische Clans - „Ein guter Junge – aber der Nachname ist schlecht für unser Image“

Immer, wenn es ein arabischer Clan mit einem spektakulären Raub in die Schlagzeilen geschafft hat, kriegen Angehörige dafür die Quittung, obwohl sie sich von Kriminalität distanzieren. Einer ist Mohamed Chahrour. Seine Probleme thematisiert er jetzt in einem Podcast. Der kommt nicht überall gut an.

Lieblinge des Boulevards: Kriminelle Clan-Mitglieder machen ihren Angehörigen das Leben schwer / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Mohamed Chahrour, 27, ist Spross eines Clans, dessen Namen mit Kriminalität assoziiert wird, weil einzelne Mitglieder ihr Geld mit Drogen, Prostitution und Falschgeld verdienen. Die überwiegende Mehrheit hat damit nichts zu tun, wird aber in Sippenhaft genommen. Ihre Probleme thematisiert der Schauspieler, Musiker und Komponist in dem Podcast „Clanland“ bei Radio Fritz. 

Herr Chahrour, bei einer Polizeikontrolle hat ein Polizist nach einem Blick in Ihren Pass mal gesagt: „Chahrour, der Name bürgt für Qualität.“ Was hat er damit gemeint?

Ich kann nicht in den Kopf dieses Polizisten gucken, aber ich habe den Satz als Diskriminierung wahrgenommen. Er hat damit bestimmt nicht gemeint, dass die Familie Chahrour bekannt ist für ihre – keine Ahnung – tollen Eissorten oder so etwas. Es wird wahrscheinlich die kriminelle Qualität gemeint gewesen sein.

Die Bild-Zeitung hat 2018 über den Chahrour-Clan geschrieben, es gebe zwei Linien. Die eine verdiene ihr Geld mit Prostitution, die andere mit Drogenhandel und Falschgeld. Wo würden Sie sich verorten?

(Lacht.) Also, in meinem Podcast habe ich gesagt, ich hätte mich noch nicht entschieden. Aber Spaß beiseite: Die Aufteilung nach Linien in Kriminalitätsfelder bei Clans ist absolut fehl am Platz. Ich selbst bin überhaupt nicht kriminell, und wenn es Zweige in den Clans gibt, dann teilen die sich nach Abstammungslinien und nicht nach kriminellen Schwerpunkten. Aber so, wie es die Bild gemacht hat, verkauft es sich natürlich besser als würde man sagen, der eine stammt von Opa A ab, und der andere von Opa B.

Sie haben in Ihrem Podcast gesagt, Sie würden mit Ihren Eltern und drei Geschwistern in einer Dreizimmerwohnung leben. Hier die normale Familie, dort die Mitglieder, die ihr Geld mit Kriminalität verdienen. Kann man die eine Welt wirklich von der anderen trennen?

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Wir sollten langsam damit anfangen, dieses ekelhafte Framing aufzubrechen. Von uns wird immer diese Unterscheidung verlangt zwischen „den Guten“ und den „Schlechten“, weil Leute immer nur diesen einen Blick auf die Thematik haben. Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass es vereinzelt Kriminelle in unserem Clan gibt.

Aber Kriminelle gibt es doch bestimmt auch im engeren Umfeld Ihrer Familie. Wie verhalten Sie sich denn gegenüber Cousins, die straffällig geworden sind?

Die gibt es – auch welche, die kriminell gewesen sind und ihre Haftstrafe abgesessen haben. Es kommt aber niemand auf mich zu und sagt: „Hey, pass auf, ich war kriminell. Was sagst Du denn dazu? Sollte ich das sein lassen oder weitermachen?“ Meine Meinung dazu ist klar: „Lieber Cousin, lass das. Ich habe keine Lust, Dich im Gefängnis zu besuchen.“ 

Das heißt, Sie haben solche Gespräche noch gar nicht geführt?

Nein. Dadurch, dass ich eher in Künstlerkreisen verkehre und nicht auf der Straße, kommt es gar nicht erst zu solchen Gesprächen. Meine Cousins wissen ja, dass ich Kriminalität verurteile. Die reden mit mir über meine Musik oder über meinen Kampfsport. Die kommen auf mich zu und sagen: „Hey, Cousin, kannst Du mich trainieren?“ Aber wenn ich sehe, dass Jüngere Mist in der Schule bauen oder kiffen, nehme ich mir die zur Seite und rede ihnen ins Gewissen. Das ist das Schöne an der arabischen Kultur: der Respekt vorm Alter. Die müssen sich meine Standpauke anhören.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich sage denen dann, dass es im Gefängnis nicht cool ist. Und reich wird man mit Kriminalität auch nicht. Das ist diese Gangster-Romantik. Ich sage denen: „Ihr schafft es nicht, wie Pablo Escobar zu werden.“ Und selbst dieser Typ wurde am Ende brutal getötet. Ich frage sie dann, ob sie nicht lieber ihr Potenzial nutzen und Anwalt oder Arzt werden wollen. Oder Handwerker, irgendwas, um ein ruhiges Leben zu führen, ohne  Angst um ihre Familie haben zu müssen.

Wie groß ist denn der Anteil Krimineller an Ihrem Clan?

Also, die Großkriminellen, von denen man immer in der Zeitung liest, kann man an einer Hand abzählen. Es gibt aber auch Kleinkriminelle. Die machen aber nur einen sehr kleinen Anteil aus. 

Die Chahrours kamen in den achtziger Jahren als Flüchtlinge aus dem Libanon. Von welchen Faktoren hing es ab, ob der eine ein bürgerliches Leben führt und der andere ein kriminelles?

In der letzten Folge unseres Podcasts haben wir versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Wir mussten feststellen, dass es diese eine Antwort nicht gibt. Also, dass jemand an einem sozialen Brennpunkt wohnt, reicht als Erklärung nicht aus. Da leben auch viele, die nicht kriminell sind. Clanmitglied? Reicht auch nicht. Es gibt sauviele Clanmitglieder, die ganz bürgerlich leben. Arabischstämmig? Funktioniert auch nicht.

Wie wär’s mit dem Stichwort Integration? Spielt das nicht auch eine Rolle, ob man sich mit der Kultur in einem Land, in dem man lebt, identifizieren kann?

Nein, auch das erklärt es nicht. Auch Kriminelle sind super-integriert. Die sind hier zur Schule gegangen. Die sprechen besser Deutsch als jede andere Sprache. Kleinkriminelle gehen teilweise auch noch arbeiten.

Mohamed Chahrour und sein Podcast-Partner Marcus Staiger / privat

Gut, aber was nützt das, wenn sie ihr ganzes Leben lang in ihrer eigenen Community bleiben?

Die Frage ist doch: Was ist Integration? Ich bin hier zur Schule gegangen, ich bin hier aufgewachsen, wir haben alle so viel Deutsches an uns.

Wann ist Ihnen das bewusst geworden?

Ich war mal in Brasilien und stand an der Kasse, und es dauerte ewig lange, weil da Leute standen und sich ewig unterhielten. Ich hab die Krise bekommen. Ich habe gesagt: „Ey, ich bezahl dafür, ich hab keine Zeit. Was soll das denn jetzt?“ Also, diese Genauigkeit sitzt tief in mir.

Ich höre auch einen rotzigen Berliner Ton heraus.

Oh, bitte triggern Sie das nicht noch. Sonst berliner ich noch bis zum Ende des Interviews.

Heute muss sich die Politik den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Flüchtlingen keine Brücke gebaut und damit dazu beigetragen hätte, dass die sich in ihrem Paralleluniversum häuslich eingerichtet haben. Teilen Sie die Kritik?

Ja. Parallel zu dem Podcast schreiben mein Kollege Marcus Staiger und ich an einem Buch, und darin haben wir uns auch dieser Frage gewidmet. Es gab in den achtziger Jahren zum Beispiel keine Schulpflicht für Kinder und Jugendliche. Mein Vater durfte nicht arbeiten. Er hatte keine Möglichkeit, die Sprache zu lernen. Man hat alles getan, um den Leuten klarzumachen: „Ey, Ihr seid hier nicht willkommen.“

Immerhin gab es Sozialhilfe – für viele war das ein guter Grund, nach Deutschland zu kommen.

Ich sage ja auch nicht, dass der Staat nichts unternommen hat. Er hat nur das Falsche unternommen. Es ging nicht um Integration. Es ging um Desintegration.

Warum sind Ihre Eltern trotzdem geblieben?

Was blieb ihnen denn anderes übrig? Im Libanon war Bürgerkrieg. Da musste man Angst davor haben, dass man eine Kugel in den Kopf bekommt. Einem Onkel von mir ist das passiert. Der wurde mit einer Kalaschnikow erschossen In Deutschland konnte man wenigstens existieren. Dann beißt man halt in den sauren Apfel und ignoriert, dass man wie Dreck behandelt wird und in einer Duldungsschleife landet  Meine Mutter wurde wegen ihres Kopftuches angespuckt und nicht in den Bus gelassen. Aber das war dann das kleinere Übel.

In Ihrem Podcast sagen Sie, dass Sie heute regelmäßig Stress bekämen, wenn Sie ihren Namen sagen. Wann ist Ihnen das zuletzt passiert?

Als ich wegen einer Wohnung nachgefragt hatte. Ich hatte beim Vermieter angerufen für einen Besichtigungstermin. Ich hab mich mit meinem Namen vorgestellt. Dann wurde mir gesagt: „Chahrour wollen wir nicht“. Und dann wurde aufgelegt. Das hat mich so schockiert, dass ich zu meinen Cousins gegangen bin. Die hatten alle dieselbe Erfahrung gemacht. Andere erzählten mir, sei hätten kein Bankkonto oder keine Versicherung abschließen können. Das ist die eine Ebene.

Und die andere?

Auf der nächsten Ebene sind es übermotivierte Polizisten, die sagen, hey, das sind Jungs aus einem Clan, denen muss ich zeigen, dass ich der Chef bin. Nicht, dass ich falsch verstanden werden. Ich bin nicht gegen Polizei-Kontrollen. Die sollen junge Menschen kontrollieren und sie davon abhalten, Scheiße zu bauen. Alles gar kein Problem. Aber kontrolliert wurden immer nur die Araber, Kurden und Türken, nicht die Deutschen. Das ist nicht fair. Ich habe irgendwann den Komplex entwickelt, dass ich übertrieben höflich bin. Aber ich hab immer wieder erlebt: Das bringt nichts.

Welche Konsequenz haben Sie daraus gezogen? Hat Sie das zu Ihrem Podcast inspiriert?

Das ist nur ein erster Schritt, darüber zu sprechen. Aber die Leute, die darauf nicht hören möchten, werden sich das auch nicht anhören. Wir hatten zwar viele positive Reaktionen, aber viele haben auch gleich gesagt: Das ist doch gelogen, dass Clanmitglieder Steuern zahlen. Die leben von Hartz IV. Und dann wird auch immer der Islam herangezogen, seine destruktive Energie. Blablabla.

Sie klingen enttäuscht.

Es war nicht meine Absicht, zu behaupten, alle Clanmitglieder seien toll oder alle Araber seien toll. Das kann man, glaube ich, über keine Gruppe dieser Welt sagen. Ich wollte die Leute dazu bringen, ihre Vorurteile zu hinterfragen. Dass sie versuchen, die Menschen kennenzulernen, bevor sie sagen: „Du kriegst keinen Job.“ Genau das ist mir mit 17 passiert, nach meiner Probezeit als Lehrling im Einzelhandel. Da hieß es: „Voll der liebe Typ, ein guter Junge, aber Scheiße, die Sache mit deinem Nachnamen. Der ist schlecht für unser Image.“ Da kriegt man die Tür vor den Kopf geknallt und wird an den Rand gedrängt. Und wessen Nähe sucht man dann? Die seiner Familie.

Was sagen Ihre kriminellen Cousins zu dem Podcast?

So viele davon gibt es in meinem Umfeld nicht. Bislang hat sich nur einer geäußert, von dem ich weiß, dass er kriminell war, weil der eingesessen hat und jetzt wieder draußen ist. Der fand den Podcast richtig gut. Der hat schon gefragt: Wann kommen die nächsten Folgen?

Hat es eigentlich auch Vorteile, den Namen Chahrour zu tragen?

Natürlich. Es hat den Vorteil, dass man ein großes Netzwerk von Leuten hat, der eine ist Handwerker, der andere Elektriker. Der kennt den, und der kennt den und den. Das ist wundervoll. Wenn es Umzüge gibt, hat man immer Leute, die mit anpacken. Leider sind wir seit den neunziger Jahren nicht mehr umgezogen. Ich bin also immer der, der anderen helfen muss.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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