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Von der Leyens Weißbuch - Wir müssen die Bundeswehr auch im Innern einsetzen

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Bundeswehr auch im Inland einsetzen. Der Aufschrei der SPD folgte prompt. Dabei ist ein breiteres Mandat der Streitkräfte zur Terrorabwehr richtig – und längst überfällig

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Nun kracht es mal richtig in der Politik, wenn es um die künftige Sicherheitspolitik in diesem Land geht. Und das ist gut so.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen plant in dem Weißbuch zur deutschen Sicherheitspolitik, das dieser Tage durchsickerte, dass Soldaten künftig auch in Terrorlagen im Inneren eingreifen dürfen. Die SPD ist empört.

Viel zu lange war es ein Igitt-Igitt-Thema, das man am liebsten als Politiker nur mit spitzen Fingern anfasste. Und allzu leicht war es, mit der Vergangenheitskeule zuzuschlagen, wenn es um den Einsatz der Streitkräfte ging.

Eine Parlaments- und keine Nazi-Armee


Um damit anzufangen: In der Bundeswehr dient heute schon lange keiner mehr, der auch nur noch im Zweiten Weltkrieg geboren, geschweige denn gedient hätte. Den alten, verbrecherischen Geist zu beschwören, der einem Diktator willfährig bei der Unterdrückung hilft, ist deshalb daneben. Wir haben eine Parlamentsarmee. Die demokratische Kontrolle ist sichergestellt, und das ist die entscheidende Errungenschaft, an der festgehalten werden muss.

Auf dieser festen Basis jedoch kann und muss diskutiert werden, wie es in Zukunft weitergehen muss mit den Aufgaben der Bundeswehr. Die Welt ist unruhig und unvorhersehbar geworden wie lange nicht. Das ist das Bedrückende dabei: Die nach dem Ende des Kalten Krieges so umjubelte Friedensdividende ist aufgebraucht.

Das ist die Grundidee des Weißbuches, das seit Monaten in der Bundesregierung erarbeitet wird. Es soll einen Kompass für die künftige Ausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik darstellen. Mit anderen Worten: Deutschlands Rolle in der Welt kommt auf den Prüfstand. Tabus darf es dabei nicht geben, sonst gehört das Weißbuch noch vor seinem Erscheinen gleich in den Papierkorb.

Die Verteidigungsministerin hat darin einen bemerkenswerten Satz untergebracht, der eines der vermeintlichen Tabus benennt. Es seien „Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen“.

Der Staat kommt an seine Grenzen


Das musste Krach auslösen. Bisher sind wir gut damit gefahren, die Bundeswehr aus der Kontrolle von Gefahrenlagen im Innern herauszuhalten. Aber die Wahrheit ist: Wir hatten solche Gefahrenlagen auch noch nicht. Noch nicht. Die Entwicklung der vergangenen Monate zeigt, dass der Staat im Sicherheitsbereich an seine Grenzen kommt. Die Bundespolizei ist überstrapaziert. Ein Terroranschlag wie in unseren Nachbarländern würde dies noch deutlicher offenlegen. Der Staat muss reagieren. Das ist er den Bürgern schuldig.

Das Mantra aber lautet bislang: Die Bundeswehr darf nicht im Innern eingesetzt werden. Als einzige Ausnahme gilt der Katastropheneinsatz. 1962 schickte der damalige Hamburger Innensenator Helmut Schmidt das Militär gegen die Sturmfluten. Seitdem sind Truppen bei zahlreichen Naturkatastrophen eingesetzt worden, zuletzt auch bei der Unterbringung von Flüchtlingen.

Das Mantra war also schon immer falsch. Ein einfacher Blick ins Grundgesetz zeigt, dass Streitkräfte nicht nur bei Naturkatastrophen eingesetzt werden dürfen, sondern auch zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Schließlich gibt es noch die Amtshilfe, mit der Tausende Soldaten zurzeit direkt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterstützen.

Gefährliche Zeiten


Das wird in den meisten Diskussionen geradezu vorsätzlich unterschlagen. Amtshilfe für andere Behörden – genau darum sollte es im Kern doch gehen – nicht mehr, nicht weniger. Es ist und bleibt klar, dass es Aufgabe der Polizei ist, für die Sicherheit zu sorgen, unterstützt im Übrigen von den Nachrichtendiensten. An diesem Grundsatz sollten wir nicht rütteln. Und wenn die Polizei überfordert ist, dann muss erst mal darum gehen, sie zu stärken. Das ist die Aufgabe, die die Politik als erstes angehen muss. Nicht irgendwann, jetzt.

Selbstverständlich muss der zuständige Innenminister die Leitung übernehmen, er trägt für die Sicherheit die politische Verantwortung. Das Verteidigungsministerium müsste sich an diese Ordnung halten.

Wir leben in bedrückend gefährlichen Zeiten. Wie die Juristen das angehen, ist dabei sicher nicht nebensächlich. Die Frage, ob wir eine Grundgesetzänderung tatsächlich brauchen, kann und muss diskutiert werden. Aber es braucht eine Grundlage, auf der die Politik aufbauen kann.

Der Staat ist also nicht so hilflos, wie die aufgeregte Diskussion es erscheinen lässt.  Aber wir leben nicht auf einer Insel der Seligen, auf der nicht passieren kann, was in unserer unmittelbaren Nachbarschaft bereits eingetreten ist. Es hat keinen Sinn, sich vor dieser Realität wegzuducken.   

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