
- Es geht ums Ganze
Mit der Bundestagswahl im September steht eine Richtungsentscheidung an. Doch worum geht es genau? Der Politologe Wolfgang Merkel analysiert die politische Lage und erklärt, warum die Koalitionsoptionen den hehren Zielen und Vorstellungen entgegenstehen.
Eine Ära geht zu Ende. Die Kanzlerin, die am 26. September 2021 ganze 5.787 Tage regiert haben wird, verlässt die große politische Bühne. Sie tritt nicht mehr zur Wahl an. Dies, obwohl wir vermuten können, sie hätte die Union auch noch ein fünftes Mal zum Wahlsieg und sich selbst ins Kanzleramt geführt. Ob dies ein Reifezeugnis für die Bürgerinnen und Bürger ihres (unseres) Landes ist, mag man mit guten demokratischen Gründen bezweifeln. 14 Jahre Regierungszeit Konrad Adenauer (1949–1963), 16 Jahre Helmut Kohl (1982–1998) und Angela Merkel (2005–2021) belegen: Die deutschen Wähler lieben die Beständigkeit, wohl weil sie dahinter politische Stabilität vermuten.
„Keine Experimente“ war der Wahl- und Regierungsslogan von Konrad Adenauer und der von ihm sanft autoritär geführten christdemokratischen Union in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit wenigen Ausnahmen (1969 und 1972: Wahl Willy Brandts; 1998: Gerhard Schröder und erstmals Rot-Grün) ist das auch heute noch eine Grundmelodie deutscher Befindlichkeit. Angela Merkel brachte diese politische Trägheit der Deutschen bei den Bundestagswahlen 2013 in einer Debatte gegen den opulent parlierenden SPD-Kandidaten Peer Steinbrück auf den ebenso knapp-genialen wie wählerwirksamen Begriff: „Sie kennen mich.“