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Bundestagswahl - Deutsche zwingen Politiker ins Sparkorsett

Grüne und SPD sind mit einer Politik der Steuer- und Abgabenerhöhungen selbst an der eigenen Anhängerschaft gescheitert. Das sagt einiges über die Möglichkeiten politischer Gestaltung der künftigen Regierung aus

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Dieter Rulff ist freier Autor in Berlin.

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Die Bundestagswahl hat nicht allein über die neue Regierungskoalition entschieden und man muss kein Anhänger von SPD oder Grünen sein, um deren schlechte Wahlergebnisse zu bedauern. Denn sie enthalten eine Sub-Botschaft, die über das Wer der Kabinettsbildung hinausweisend dem Was der Arbeit jedweder künftigen Regierung entscheidende Schranken auferlegen wird.

Die Bürger im Allgemeinen und selbst die einkommensstarken und gemeinwohlorientierten Wähler der Grünen haben sich gegen Steuererhöhungen ausgesprochen, sie sind nicht bereit, zur Gestaltung des Gemeinwesens einen über den bislang gezahlten nennenswert hinausgehenden Beitrag zu leisten. Und sogar die Wählerschaft der Partei „Die Linke“, der man zu Recht nachsagen kann, dass ein Großteil von ihr zu den Profiteuren einer Politik der sozialen Umverteilung zählen würde, hat diese Aussicht nicht zahlreicher werden lassen – im Gegenteil.

Seit Jahren wird über die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland, über ein erhöhtes Armutsrisiko auf der einen und exorbitant steigende Kapitalerträge und Managerbezüge auf der anderen Seite berichtet. Den Wahlkampf mit einer Politik der Steuer- und Abgabenerhöhung zu bestreiten, war von daher ein ambitioniertes aber gut begründetes Unterfangen. Immerhin wird die obwaltende Ungerechtigkeit in Umfragen von einer großen Mehrheit der Bürger beklagt. Doch entspricht dem augenscheinlich keine Bereitschaft der Bürger, dazu einen eigenen Beitrag zu leisten.

Ist dies schon im nationalen Rahmen nicht möglich, so dürfte es erst recht für die Umverteilungen gelten, die zur Bewältigung der Eurokrise ins Auge gefasst worden sind.

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Merkel bezahlt für Europa erst kurz vor knapp


Ob die teilweise Streichung der griechischen Staatsschulden, Überweisungen zur Rettung von Banken oder Transferzahlungen zur Bekämpfung der Krisenauswirkungen – die Bereitschaft, sich für Europa in die Bresche zu schmeißen schwindet, wenn sie sich in Euro und Cent rechnet. Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Europapolitik dieser Reserve immer entsprochen, indem sie so spät wie möglich und so wenig wie möglich gezahlt und auf Gegenleistung beharrt hat. Auch wenn das ökonomisch womöglich am Ende teurer kam, so entsprach es doch der Haltung, die die deutsche Bevölkerung von ihrer Regierung erwartet.  

Eigentlich hatte die SPD mit Peer Steinbrück einen Kandidaten mit ausgewiesener Wirtschaftskompetenz aufgestellt. Dass sie dann darauf verzichtete, mit dem derzeit einzigen relevanten wirtschaftspolitischen Thema, der Eurorettung,  einen Wahlkampf zu führen, hat rein gar nichts mit einer asymmetrischen Demobilisierung der Kanzlerin, aber viel mit einer vorsorglichen Selbstdemobilisierung nicht nur der SPD zu tun.

Das oppositionelle Beschweigen der Europapolitik im Wahlkampf deutete darauf hin, dass sich Rote wie Grüne davon keinen nennenswerten Wählerzuspruch erhofften und man ahnt bereits, wie in einer künftigen Großen oder schwarz-grünen Koalition die europapolitische Arbeit verteilt sein wird: In den Grundlinien wird Gleichmarsch gepflegt und sobald die SPD oder die Grünen integrations- und wirtschaftspolitisch vorpreschen, wird das der Kanzlerin die willkommene Gelegenheit bieten, sich als das ausgewogene und letztlich entscheidende Mittelmaß zwischen diesem Integrationsbegehren und dem Finanzierungsvorbehalt der deutschen Wählerschaft zu präsentieren. Deren Zuspruch dürfte ihr solchermaßen auch weiterhin gewiss sein. 

Mit diesem Dilemma werden SPD und Grüne im anstehenden Europawahlkampf konfrontiert sein, sobald das Versprechen eines wirtschaftlichen Aufbaus oder der fiskalischen Konsolidierung in den  Schuldnerländern mit erkennbaren Belastungen des deutschen Haushaltes verbunden sein wird.

Das überwältigende Wahlergebnis von Angela Merkel ist vor allem auch auf ihren europapolitischen Kurs zurückzuführen. Die Austeritätspolitik der vergangenen Monate und Jahre wurde durch das Votum bestätigt und sie wird allenfalls modifiziert werden, wenn durch die politischen Auswirkungen in den Schuldnerländern der Euro gefährdet werden sollte.

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Auch in Deutschland herrscht das eiserne Regime der selbst auferlegten Sparsamkeit


Doch nicht nur der Euro-Raum, auch die Politik in Deutschland wird von einem Austeritätsregime beherrscht, das der Direktor des Max-Planck-Instituts in Köln Wolfgang Streeck als institutionelle Arrangements beschrieben hat, „die den demokratischen Druck zur Erhöhung der Staatsausgaben dadurch neutralisieren, dass sie dem ebenfalls demokratischen Druck zur Begrenzung der Staatseinnahmen Vorrang einräumen. Statt auf gestaltende Politik, die ihre Legitimation aus der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse nach öffentlichen Leistungen beziehen will, stützt sich das neue Regime auf Interessen, die für sich selbst sorgen wollen und können, nicht aber auch noch für andere. Wer aus ihm ausbrechen wollte, müsste größere Teile der Wählerschaft dafür gewinnen, sich höher besteuern zu lassen“.

Ein solcher Ausbruchsversuch ist am Wahlabend gescheitert. Und die Chancen, dass er erneut unternommen und dann erfolgreich ausgeführt wird, sinken eher. Denn auch in Deutschland ist in den zurückliegenden Jahren der Schuldenberg gewachsen, mithin auch der Anteil des Staatshaushalts, der für Zinsen aufgewandt werden muss.

Zugleich wächst der verfassungsrechtlich selbst auferlegte Druck, die Schulden zu begrenzen, und den Berg allmählich wieder abzubauen. Doch dürfte die Bereitschaft, dazu mit Steuererhöhungen beizutragen, beim Bürger noch geringer ausgeprägt sein, als bei Maßnahmen des sozialen Ausgleichs. Deshalb wird die erforderliche Neuordnung des Länderfinanzausgleichs auf ein Nullsummenspiel zu Lasten des Bundes hinauslaufen. Und dem drohen obendrein in den kommenden Jahren zusätzliche Ausgaben.

Denn beginnend in der neuen Legislaturperiode werden die starken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen. Damit steigen automatisch die Haushaltsbelastungen durch das System sozialer Sicherung. Diese lassen sich, wie das Beispiel der Riester-Rente zeigt, nur begrenzt auf die privaten Haushalte abwälzen. Gleiches dürfte auch für den Auf- und Ausbau der Pflegeversicherung gelten. Und mit der Energiewende steht Deutschland vor einer der größten Umbauvorhaben in seiner industriellen Geschichte. Deren bisherige Entwicklung zeigt, dass sie alles andere als kostenneutral sein wird.

Der Ausgabendruck wird sich in den kommenden Jahren erhöhen, im Gegenzug wird die Möglichkeit, ihn durch Neuverschuldung abzufedern, gen Null gehen. Den einzigen Ausweg aus diesem Dilemma, eine Erhöhung der Staatseinnahmen, ist der Bürger nicht bereit zu gehen.

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Jahrelang wurde ihm die Privatisierung als probate Strategie zur Minimierung staatlicher Ausgaben präsentiert, doch mittlerweile ist er mit den Nebenwirkungen in Form einer verschlechterten Daseinsvorsorge und den Folgewirkungen in Form steigender staatlicher Aufwendungen zur Linderung eben dieses Mangels der Privatisierung konfrontiert. Deshalb tendiert er in vielen Bereichen durchaus wieder zu einer Revision dieser Privatisierung und engagiert sich sogar erfolgreich in Bürgerinitiativen zur Rekommunalisierung von Versorgungseinrichtungen. Er will ein stärkeres Gemeinwesen, aber den Preis dafür nicht bezahlen.   

Dieser Ambivalenz entspricht die bisherige Politik der Regierung Merkel. Sie war je nach Adressaten sozial und marktradikal. Dabei konnte sie davon profitieren, dass die Konjunktur in Deutschland auf einem hohen Niveau stabil und die Steuereinnahmen entsprechend gut waren. Doch sie hat diese Gelegenheit für strukturelle Reformen kaum genutzt. Für diesen konzeptionellen Mangel der Merkelschen Politik des Durchwurschtelns wird in ihrer letzten Legislaturperiode der Preis zu entrichten sein – auch von ihrem Koalitionspartner.          

 

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