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Bodo Ramelow - Der Versöhner

Es war ein nervenaufreibender Krimi in Erfurt. Im zweiten Wahlgang ist Bodo Ramelow in Thüringen zum ersten linken Ministerpräsidenten der Republik gewählt worden. Seine erste Geste: eine Entschuldigung an die Opfer der SED-Diktatur. Ramelow will die Wogen glätten

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Merle Schmalenbach

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Am Ende, als alles geschafft war, blickte Bodo Ramelow zur Zuschauertribüne und suchte seinen Freund. Dort oben saß Andreas Möller. Er war in der DDR-Zeit ein Opfer der Stasi gewesen. Möller hatte Ramelow oft wegen seiner Zugehörigkeit zur Linkspartei attackiert. „Das lässt mich nicht ohne Emotionen“, sagte Ramelow, der seit heute der erste linke Ministerpräsident Deutschlands ist. Er bat seinen Freund um Entschuldigung für das Unrecht, das in der DDR geschehen war. Mit Möller abgesprochen war diese öffentliche Ansprache wahrscheinlich nicht.

Doch Ramelow will unbedingt die Wogen glätten. Vor der Wahl hatte es regelrechte Hass-Ausbrüche gegen die Linkspartei gegeben. Mitglieder berichteten von zerstochenen Reifen, Drohanrufen und Beschimpfungen auf der Straße. Am Vorabend der Wahl gingen 1500 Bürger gegen Rot-Rot-Grün auf die Straße, sie skandierten „Stasi Raus!“.

Seine Wahl konnten sie dennoch nicht verhindern. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist für viele das Undenkbare geschehen. Für andere wiederum ging ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. „Heute ist ein großer, schöner Tag in meinem Leben“, sagte Gregor Gysi, Fraktionschef der Bundes-Linkspartei, nach der Wahl in die Fernseh-Kameras.

Spekulationen über den Bodo-Mörder


Für Ramelow müssen die vergangenen Tage aufreibend gewesen sein: Im Vorfeld der Wahl hatte es Gerüchte über einen SPD-Heckenschützen gegeben, der Ramelows Wahl verhindern wollte. Selbst über einen Bodo-Mörder aus der Linkspartei war spekuliert worden: Viele Linke hatte es verärgert, dass die DDR im Koalitionsvertrag als „Unrechtsstaat“ bezeichnet wird. Ein einziges „Nein“ eines SPD- oder Linken-Abgeordneten hätte an diesem Freitag gereicht, um Ramelow scheitern zu lassen: Es stand 46 zu 45.

Oben, auf der Tribüne, war es am Wahltag so überfüllt, dass viele Journalisten stehen mussten.  Als die Stimmen des ersten Wahlganges ausgezählt wurden, lehnte sich Ramelow tief in seinem Stuhl zurück. Dann ging ein Raunen durch den Saal: 45 Ja-Stimmen. 44 Nein-Stimmen. Zusammen macht das 90 Stimmen. Es saßen aber 91 Abgeordnete im Saal. Jemand hatte also seinen Wahlzettel ungültig gemacht. Und nicht nur Bodo Ramelow fehlte eine Stimme. Auch in der Opposition zog offenbar jemand sein eigenes Ding durch.

Erinnerungen an das Drama um Heide Simonis stiegen auf: 2005 war bei der Ministerpräsidenten-Wahl in Schleswig-Holstein ein „Heide-Mörder“ auf den Plan getreten und hatte ihre Wahl verhindert. Ohne sich zu outen. Bis heute kennt niemand seinen Namen.

Bodo Ramelow ließ sich nichts anmerken, als er im ersten Durchgang scheiterte. Wieder signalisierte seine Körperhaltung: „Ich bin lässig.“ Noch einmal ging er zur Wahlkabine. Doch dann, auf dem Rückweg, zögerte er. Seine Schritte waren langsam, er hielt inne, schaute sich um. Sehr langsam ging er auf seinen Platz zurück.

Dann nickten seine Verbündeten, kurz darauf wurde das Ergebnis verkündet: 46 Ja-Stimmen. Er hatte es geschafft.

AfD liebäugelte mit CDU-Fraktionschef Mohring


Der Thüringer CDU erspart das nun eine Debatte um die Ausrichtung ihrer Partei. Denn vor der Wahl hatten einige noch eine unerhörte Chance gewittert: Die Landes-AfD hatte die Landes-CDU umgarnt. Mit dieser Unterstützung und etwas Glück, so dachten einige, wäre es vielleicht möglich, Bodo Ramelow zu verhindern. Doch Christine Lieberknecht, bis dato amtierende Ministerpräsidentin, weigerte sich, in die „Arena des Löwen“ zu steigen, wie sie es ausgedrückt hatte.

Die AfD-Abgeordneten hätten sie ohnehin nicht gewählt – schließlich hatte sie im Wahlkampf eine gemeinsame Regierungsbildung vehement ausgeschlossen.

In Mike Mohring sahen einige AfD-Leute dagegen einen attraktiven Kandidaten. Er ist der Fraktionschef der Landes-CDU und hatte in der Vergangenheit öffentlich dazu aufgerufen, sich inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen. Er könne „nach menschlichem Ermessen mit allen elf Stimmen der AfD-Fraktion rechnen“, hatte der Fraktionschef der Alternative für Deutschland, Björn Höcke, wohl auch deshalb verkündet.

Doch gegen diese Idee regte sich erbitterter Widerstand. Zum einen in der AfD selbst, zum anderen in der CDU. Kurz vor der Wahl rissen tiefe Gräben zwischen Mike Mohring und dem Lager um Christine Lieberknecht auf. Gegen Mohring ging eine anonyme Strafanzeige ein. Darin heißt es, er habe Mitgliederzahlen in seinem Kreisverband manipuliert. Zufall war dieses Timing wohl eher nicht.

Eine tagelange Hängepartie begann, die auch an die Öffentlichkeit drang. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein und warnte die Landes-CDU davor, einen eigenen Kandidaten zu stellen. Eine bundesweite AfD-Debatte wollte sie unbedingt vermeiden. Nach tagelangem Hin und Her einigte sich die Landes-CDU schließlich darauf, die ersten zwei Wahlgänge auszusetzen und dann zu schauen, was passiert. Zuletzt schlug Alt-Ministerpräsident Bernhard Vogel vor, in diesem Fall den früheren Jenaer Universitätsrektor Klaus Dicke aufzustellen. Der hielt sich bereit.

Rot-Rot-Grün als Aufwärmübung für den Bund


Als Mohring morgens vor der Wahl im Landtag Interviews gab, konnte man eine unerwartete Charme-Offensive beobachten: CDU-Generalsekretär Mario Voigt, der vorher noch als erbitterter Mohring-Gegner gegolten hatte, ging an Mohring vorbei, knuffte ihn in den Arm und grinste. Auch Lieberknecht suchte die Nähe Mohrings, beide steckten den Kopf zusammen und tuschelten. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass der Machtkampf in der Landes-CDU fürs Erste befriedet wurde.

Auch Lieberknecht und Ramelow hatten sich vor der Wahl noch etwas zu sagen. „Ich behalte Dich im Auge“, sagte Ramelow zu Lieberknecht. Man sehe sich, erwiderte sie und streichelte seinen Arm. Beiden wird ein sehr gutes Verhältnis nachgesagt, obwohl sie politische Gegner sind.

Ramelow gilt als jemand, der das Gespräch sucht. Geboren am 16. Februar 1956 in Niedersachsen, hat er schon früh gelernt, sich durchzubeißen. Als Kind scheiterte er wegen seiner Legasthenie in der Schule und wurde von seiner Mutter dafür geschlagen. Später absolvierte er eine Lebensmittellehre als Kaufmann bei Karstadt und wurde gewerkschaftlich aktiv. 1990 ging er in den Osten, 1999 trat er in die damalige PDS ein. Er fühlt sich tief dem evangelischen Glauben verbunden – anderes als viele Linke, die ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche haben.

In Ramelow hat die SPD einen pragmatischen Partner gefunden. Selbst Thüringens früherer CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel geht davon aus, dass Ramelow wenig grobe Fehler machen wird. „Er wird auf leisen Sohlen regieren, er wird sehr friedlich und verbindlich die ersten beiden Jahre bestreiten“, sagte er der Zeit vor einer Woche. Kein Wunder, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel mit Wohlwollen nach Thüringen blickt. Für ihn ist das Modell eine willkommene Aufwärmübung für die nächste Bundestagswahl.

Will die SPD in absehbarer Zeit wieder einen Kanzler stellen, muss sie wohl auch auf Bundesebene mit der Linkspartei koalieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Ramelow ihr dafür gute Argumente liefern wird.

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